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Veröffentlicht am 24.03.2023 11:20

Wann das Kind in die Notaufnahme muss

Schnell ist es passiert - das Kind hat sich verletzt. Doch nicht immer ist die Notaufnahme die richtige Anlaufstelle. (Foto: Christin Klose/dpa-tmn)
Schnell ist es passiert - das Kind hat sich verletzt. Doch nicht immer ist die Notaufnahme die richtige Anlaufstelle. (Foto: Christin Klose/dpa-tmn)
Schnell ist es passiert - das Kind hat sich verletzt. Doch nicht immer ist die Notaufnahme die richtige Anlaufstelle. (Foto: Christin Klose/dpa-tmn)

Bei Unfällen oder Verletzungen steht für viele Eltern mit dem ersten Schock fest: Wir fahren mit dem Kind zur Notaufnahme. Doch nicht immer ist das notwendig. In vielen Fällen sind die Kinder auch in der Kinderarztpraxis gut aufgehoben.

Wann der Notruf 112 angesagt ist

Das Wichtigste zuerst: „Ist das Bewusstsein getrübt oder die Atmung des Kindes gestört, ist die Selbsthilfe beendet und man wählt den Notruf 112“, sagt Michael Achenbach. Er ist Kinderarzt in Plettenberg und Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte. „Ansonsten sollte man auf die 112 nur zurückgreifen, wenn man nicht sicher ist, ob das Kind sofortige Hilfe braucht.“

Ein Fall für den Notruf oder die Notaufnahme ist es auch, wenn das Kind auf den Kopf gestürzt ist und „danach mehrfach erbricht, wesensverändert ist, Erinnerungslücken hat oder gar nicht mehr ansprechbar ist.“ Das sagt der Kinderchirurg Till Rausch. Er hat mit seinem Kollegen Benedict Sannwaldt das Buch „Verknackst, Verschluckt, Verbrannt: Wie ihr euren Kids zu Hause helft - und wann ihr in die Klinik solltet“ geschrieben.

Auch Stürze aus größerer Höhe auf den Bauch müssen direkt abgeklärt werden, denn sie können gefährliche innere Verletzungen verursachen. Lebensgefährlich können auch verschluckte Knopfbatterien oder Magneten sein. „Dadurch können Verletzungen am Magen-Darm-Trakt entstehen“, sagt Till Rausch.

Mit Ruhe und einem beobachtenden Blick

Oft aber können Eltern selbst gut einschätzen, wie gravierend die Verletzungen ihrer Kinder sind. Dazu gibt es verschiedene Anhaltspunkte.

Zum Beispiel können Eltern durch das Beobachten ihres Kindes Hinweise gewinnen, wie ernst eine Verletzung ist. Hat es sich am Arm wehgetan und bewegt ihn auf einmal wieder? „Dann ist das ein gutes Zeichen“, sagt Kinderarzt Achenbach. Denn Kinder schonen ähnlich wie Erwachsene die verletzte Stelle instinktiv.

Am Schreien des Kindes sollte man sich besser nicht orientieren. „Das sagt mir nur, dass das Kind noch bei Bewusstsein ist“, sagt Michael Achenbach. „Aber es gibt Kinder, die schreien bei jeder Kleinigkeit und andere bleiben sogar still, wenn sie etwas Schweres haben.“

Viele schreien auch vor Angst. Deswegen ist es wichtig, dass Eltern Ruhe bewahren. „Panik überträgt sich auf das Kind: Sind die Eltern nervös, werden es die Kinder auch“, sagt Michael Achenbach. Und in Panik setzt oft der Verstand aus. Eltern können sich folgendes Mantra vorsagen: Meine Ruhe ist deine Ruhe.

Ruhe auszustrahlen geht zudem leichter, wenn man entsprechendes Hintergrundwissen zu Unfällen und Verletzungen hat. „Hierfür gibt es Erste-Hilfe-Kurse für Eltern“, sagt Achenbach. Viele Organisationen bieten solche Kurse an.

„Und wenn Nachdenken nicht mehr klappt: Ablesen und Eintippen schafft jeder“, sagt Kinderarzt Achenbach. Heißt: Eine Liste mit Notrufnummern gehört in jedes Telefon eingespeichert und sichtbar an den Kühlschrank geheftet.

Eine erste Einschätzung bei Vergiftungen

Dazu gehört zum Beispiel die Nummer des Giftnotrufs, die je nach Region unterschiedlich ist. Sie sollte schnell zur Hand sein, wenn das Kind zum Beispiel den Putzmittelschrank erkundet hat und die Gefahr einer Vergiftung besteht.

„Man sollte ohne Zögern sofort die Giftzentrale des eigenen Bundeslands anrufen und die Reinigungs- oder die Waschmittelverpackung griffbereit haben“, rät Achenbach. „Denn wenn ich nicht weiß, was das Kind geschluckt hat, weiß ich nicht, wie ich reagieren muss: Manche Dinge müssen raus, bei anderen muss man keine Panik schieben.“

Die Giftzentralen können auf Datenbanken zugreifen und so die Dringlichkeit anhand der Inhaltsstoffe einschätzen.

Das gilt bei Wunden und Blut

In anderen Fällen reicht der Gang zum Kinderarzt oder zur Kinderärztin aus. Denn auch er oder sie hat den Auftrag einer sogenannten Akutversorgung.

Ein Beispiel: „Bei einem eingeklemmten Finger schaut es oft schlimmer aus, als es ist“, sagt Achenbach. Sofern keine Bildgebung - Röntgen bei Knochenbrüchen etwa - erforderlich ist, können die Kinderärzte auch die kleine Chirurgie und die Unfallversorgung machen. Also: Schnittwunden kleben oder Schürfwunden versorgen.

Auch Kinderchirurg Till Rausch sagt: „Nicht alles was blutet, muss in die Notaufnahme.“ Blut versetze viele Eltern zwar in Panik. „Aber die meisten Wunden sind halb so wild. Häufig reicht eine Desinfektion aus.“ Auch bei der Frage nach einem Nasenbruch nach einem Sturz gibt der Experte Entwarnung. „In den allermeisten Fällen wartet man ein paar Tage ab, bis die Nase abgeschwollen ist.“ Dann kann der Arzt oder die Ärztin prüfen, ob die Nase gebrochen ist.

Sollte man kennen: die Nummer 116 117

Trotzdem kommt es immer wieder vor, dass Eltern mit dem Kind in die Notaufnahme kommen, obwohl das nicht nötig wäre. Das liegt manchmal auch einfach daran, dass die Kinderarztpraxis nicht erreichbar ist. Oder gerade geschlossen hat.

Dafür gibt es den ärztlichen Bereitschaftsdienst, der unter der Telefonnummer 116 117 erreichbar ist - und Rat geben kann, wohin man sich im konkreten Fall am besten wendet. „Diese Notfallpraxen der Kassenärztlichen Vereinigung sind quasi die Kinderärzte außerhalb der normalen Praxiszeiten“, sagt Kinderchirurg Benedict Sannwaldt. Auch in einigen Kinderkrankenhäusern befinden sich solche Praxen.

So läuft es in der Notaufnahme ab

Und was ist wichtig zu wissen, wenn das Kind doch in die Notaufnahme sollte? Dort heißt es erst mal: abwarten. Zuerst werden die Patientendaten aufgenommen, dann wird das Kind durch eine Pflegefachkraft triagiert. Heißt: Anhand einer Symptomliste wird eingeschätzt, wie dringend der kleine Patient oder die kleine Patientin behandelt werden muss.

Till Rausch betont: „Wir sind verpflichtet, uns an diese Triage zu halten.“ Das bedeutet auch, dass ein weniger dringlicher Fall nach hinten rutschen kann, wenn neue höher eingestuft werden. „Die Frage 'Wie lange genau muss ich noch warten?' kann man also nicht richtig beantworten.“

© dpa-infocom, dpa:230324-99-72758/2


Von dpa
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