Sind neue Automarken auf dem Vormarsch? | FLZ.de

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Veröffentlicht am 13.05.2022 04:48

Sind neue Automarken auf dem Vormarsch?

V wie Victory? Wie erfolgreich neue Marken wie etwa Vinfast aus Vietnam in Europa werden, bleibt abzuwarten. (Foto: Vinfast/dpa-tmn)
V wie Victory? Wie erfolgreich neue Marken wie etwa Vinfast aus Vietnam in Europa werden, bleibt abzuwarten. (Foto: Vinfast/dpa-tmn)
V wie Victory? Wie erfolgreich neue Marken wie etwa Vinfast aus Vietnam in Europa werden, bleibt abzuwarten. (Foto: Vinfast/dpa-tmn)

Aiways, Genesis, e.Go, Lynk & Co, MG Motor und Nio: Schon mal von diesen Namen gehört? Nein? Verständlich. Marken wie diese gehören noch nicht zu den etablierten Automobilherstellern in Europa. Auch Ora, Wey, Togg und Vinfast stehen in den Startlöchern - alles Produzenten von E-Fahrzeugen. Ein Überblick.

Togg etwa ist ein Zusammenschluss fünf großer türkischer Unternehmen. Diese haben vor rund vier Jahren beschlossen, mehr als nur Autos zu bauen. „Wir wollen das Auto als Kernstück eines eigenen Ökosystems für Mobilität entwickeln. Das soll die Mobilität verändern“, sagt Mehmet Gürcan Karakas als CEO von Togg. Nicht mehr das Auto stehe im Mittelpunkt, sondern die Software für eine neue Art der Vernetzung und Mobilität.

Bis Anfang 2023 soll eine neue Fabrik in der Türkei entstehen, in der bis zu 175.000 Auto pro Jahr gebaut werden können. Das erste Modell, ein kompaktes, elektrisches SUV mit einer Reichweite von rund 500 Kilometern, soll Anfang 2024 auch nach Deutschland kommen - zu einem marktüblichen Preis der Wettbewerber, wie Karakas versichert.

Der chinesische Autokonzern Great Wall Motors (GWM) will dieses Jahr gleich mit zwei neuen Marken in Europa punkten: Ora und Wey. Letztgenannte soll die Luxusmarke werden und mit einem 4,90 Meter langen Plug-in-SUV und einem Preis von rund 50.000 Euro Kunden überzeugen. Das kompakte SUV Coffee 02 soll es für rund 30.000 Euro geben. Dafür hat das Unternehmen seine Europazentrale in München eröffnet und plant eine Fabrik in Europa.

Vinfast baut seit 2017 Elektromotorräder, bald auch elektrische SUV. Der erste vietnamesische Autohersteller hat in den vergangenen Monaten fünf verschiedene Modelle präsentiert, einige davon sollen 2024 nach Deutschland kommen. Vinfast plant zudem eine Produktionsstätte in Europa, im Gespräch ist unter anderem Thüringen. Bis zu 250.000 Fahrzeuge sollen dort jährlich entstehen.

„Neben dem Design, der Technik und der Garantie wird vor allem der Preis der Fahrzeuge für Kunden interessant sein“, sagt Le Thi Thu Thuy, Chefin von Vinfast. Es sei jetzt der richtige Schritt mit eigenen Autos auf den Markt zu kommen. „Viele Kunden steigen in den nächsten Monaten und Jahren vom Auto mit Verbrennungsmotor auf E-Autos um. Diese Kunden sind häufig markenoffener“, so die Chefin.

Der Vorteil neuer Hersteller: Aufgrund der Elektrifizierung der Fahrzeuge nimmt der Wartungsaufwand ab, dank Digitalisierung kann ein dichtes Servicenetz weniger wichtig werden. Für traditionelle europäische Autohersteller müsste das eine Warnung sein.

Etablierte Autohersteller sollten neue globale Marken ernst nehmen, vor allem chinesische. „China ist nach wie vor der wichtigste Automarkt, daher können es Marken, die in China erfolgreich sind, auch in Europa versuchen“, sagt Prof. Stefan Bratzel als Direktor des Center of Automotive Management (CAM). Great Wall Motor mit Ora und Wey sei nicht zu unterschätzen. Ebenso BYD, Geely, SAIC und BAIC.

Letztgenannte Marken stehen im CAM-Ranking der innovationsstärksten Automobilhersteller der E-Mobilität 2022 auf den Plätzen 4, 5, 7 und 12, Great Wall belegt Platz 14. Vorn liegt hier übrigens Tesla vor der Volkswagen Group und Hyundai.

Auch Nio (Platz 19) bietet eine neue Idee mit seinem Batteriewechselkonzept und hochvernetzten Fahrzeugen: In China gibt es bereits mehr als 800 Wechselstationen, in Europa befindet sich die Infrastruktur gerade im Aufbau, zunächst in Norwegen. Für Ende des Jahres plant Nio den Markteintritt in Deutschland.

Unbekannte Automarken, die auf den Markt drängen, sind nicht neu. Es ist eine zweite, große Welle, nach der ersten vor rund zehn Jahren. Damals kamen unter anderem Marken wie Landwind und später Borgward und Byton auf - und verschwanden wieder.

„Die neue Welle wird erfolgreicher sein, weil einige Hersteller Innovationen und einen Mehrwert bieten sowie technisch auf Augenhöhe zu etablierten Marken sind“, sagt Prof. Bratzel. Dazu zähle auch der der US-Hersteller Rivian, der seine Fahrzeuge aber vorerst nicht in Europa verkauft. „Bei Togg und Vinfast wird es noch einige Zeit dauern, bis sie auf dem europäischen Markt erfolgreich Autos verkaufen werden“, sagt Prof. Bratzel.

Chinesische Beteiligungen an europäischen Autohersteller gibt es aber schon länger. Geely besitzt unter anderem seit 2010 Volvo und seit 2015 Polestar. Firmeninhaber Li Shufu hält zudem fast 9,7 Prozent der Daimler-Aktien, die Marke Smart gehört zur Hälfte Geely. Beijing Automotive Group (BAIC), Joint-Venture-Partner von Daimler in China, besitzt einen Stimmrechtsanteil von 9,98 Prozent.

Alle Autohersteller arbeiten an den entscheidenden Bereichen wie Reichweite, Ladeleistung, Vernetzung und Design. Der Vorteil für Kunden bei neuen Marken liege meist im Preis.

„Neue Marken können konventionelle Strukturen aufbrechen und sich schlanker aufstellen. Heißt: ein möglichst digitales Kauferlebnis schaffen und Kooperation mit zuverlässigen Partnern eingehen“, sagt Prof. Bratzel. Statt einem großen Händlernetz können neue Marken Partner suchen, die Probefahrten, Servicearbeiten, Wartung und Reparaturen anbieten. Mit Servicewagen, die zum Auto kommen, könnten Wartungen direkt am Wunschort des Kunden durchgeführt werden.

Von heute auf morgen gehe das aber nicht. „Neue Marken müssen immer zuerst das Vertrauen der Kunden gewinnen, in die Fahrzeuge, einen reibungslosen Service und ein großes Netzwerk. Das dauert Jahre, wenn nicht sogar ein Jahrzehnt“, sagt Prof. Bratzel.

Dazu müsse die Produktqualität stimmen, einem Vergleich mit dem Wettbewerb standhalten und Garantie gegeben werden auf Batterien - etwa acht Jahre oder 150.000 Kilometer Laufleistung. „Nur über den Preis lassen sich neue Marken schlecht verkaufen“, sagt er.

Wie schwierig es ist, eine neue Marke zu etablieren, haben in der Vergangenheit Lexus und Infiniti gezeigt - Lexus hat es in Deutschland nie zum ernsthaften Konkurrenten der deutschen Premiumhersteller gebracht, Nissans Edeltochter Infiniti hat sich vor zwei Jahren aus Europa verabschiedet.

Dass es gelingen kann, zeigten in der Vergangenheit Hyundai, Kia oder Dacia. Anfangs belächelt, mittlerweile stark etabliert. Ebenso wie Tesla. Der amerikanische Hersteller produziert seine Fahrzeuge nun auch in Deutschland - und zählt zum Establishment.

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