Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage | FLZ.de

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Veröffentlicht am 07.06.2023 05:09

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Bewohner werden aus einem überfluteten Viertel in Cherson evakuiert. (Foto: Roman Hrytsyna/AP/dpa)
Bewohner werden aus einem überfluteten Viertel in Cherson evakuiert. (Foto: Roman Hrytsyna/AP/dpa)
Bewohner werden aus einem überfluteten Viertel in Cherson evakuiert. (Foto: Roman Hrytsyna/AP/dpa)

Nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der Ukraine wächst die Sorge um die in den Überschwemmungsgebieten lebenden Menschen. Nach russischen Angaben waren bis zu 40.000 Menschen in dem durch Russland besetzten Teil der Region Cherson betroffen. Die Ukraine hatte zuvor mitgeteilt, dass auf der durch ihre Truppen befreiten rechten Seite des Flusses Dnipro rund 17.000 Menschen ihre Häuser verlassen mussten.

Der Damm war am Dienstagmorgen gebrochen, die darauf freigesetzten Wassermassen überfluteten weite Landstriche im Süden des Landes. Kiew und der Westen bezichtigten russische Besatzungstruppen, den von ihnen kontrollierten Damm gesprengt zu haben. Ziel sei es, die erwartete ukrainische Gegenoffensive aufhalten zu wollen. Moskau hingegen machte Kiew für die Katastrophe verantwortlich. Die Ukraine betonte, die eigenen militärischen Pläne könnten trotzdem umgesetzt werden.

Russische Besatzer: Menschen in Fluten eingeschlossen

Die russischen Besatzer in der Ukraine gehen davon aus, dass in dem von ihnen kontrollierten Teil des Gebiets Cherson bis zu 40.000 Menschen von den schweren Überschwemmungen betroffen sind. Laut staatlicher russischer Nachrichtenagentur Tass wurde dort der Notstand ausgerufen. „Nach vorläufigen Prognosen sind es zwischen 22.000 und 40.000“, sagte der von Moskau in Cherson eingesetzte Verwaltungschef Wladimir Saldo am Mittwochvormittag im russischen Staatsfernsehen auf die Frage, wie viele Menschen im Katastrophengebiet lebten.

Der Besatzungschef der Staudamm-Stadt Nowa Kachowka, Wladimir Leontjew, sagte zudem, dass dort rund 100 Menschen von den Wassermassen eingeschlossen seien und gerettet werden müssten. Sieben Anwohner werden den Angaben zufolge derzeit vermisst, rund 900 sollen angeblich schon in Sicherheit gebracht worden sein. Leontjew sprach zudem von mehreren komplett oder teilweise überfluteten Orten. „Der Ort Korsunka steht - mit Ausnahme der letzten Straße - komplett unter Wasser“, sagte er im russischen Fernsehen.

Am Dienstag hatte bereits die Ukraine mitgeteilt, dass auf der durch ihre Truppen befreiten rechten Seite des Flusses Dnipro rund 17.000 Menschen ihre Häuser verlassen müssten.

IRC warnt vor humanitärer Notlage

Das International Rescue Committee (IRC) verurteilte den Angriff auf den Staudamm als „schwerwiegenden Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht“ und zeigte sich besorgt um die betroffenen Menschen. Die schweren Überschwemmungen verursachten schwere Verluste bei der Zivilbevölkerung, hieß es in einer Mitteilung der in der US-Metropole New York ansässigen Hilfsorganisation für Flüchtlinge und Kriegsopfer am Mittwoch. „Im vergangenen Jahr haben unzählige Menschen in der Region unter ständigem Beschuss gelebt, ohne ausreichenden Zugang zu Medikamenten oder Strom“, so die Mitteilung weiter. Durch den Dammbruch seien Tausende Menschen in Gefahr, ihr Leben oder ihr Zuhause zu verlieren. Zehntausende könnten den Zugang zu sauberem Trinkwasser verlieren.

UN-Organisation: Staudamm-Zerstörung vernichtet Getreide

Die Welternährungsorganisation (WFP) warnte vor verheerenden Konsequenzen für hungernde Menschen weltweit durch den Dammbruch. „Die massiven Überflutungen vernichten neu angepflanztes Getreide und damit auch die Hoffnung für 345 Millionen Hungerleidende auf der ganzen Welt, für die das Getreide aus der Ukraine lebensrettend ist“, sagte der Leiter des Berliner WFP-Büros Martin Frick der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch.

Nach der Zerstörung des Staudamms im Süden der Ukraine rechnet das ukrainische Agrarministerium ersten Schätzungen zufolge mit der Überschwemmung von etwa 10.000 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche am nördlichen Ufer des Dnipro in der Region Cherson. Am südlichen Ufer, im russisch besetzten Gebiet werde ein Vielfaches dieser Fläche überflutet, teilte das Ministerium am Dienstagabend auf seiner Webseite mit.

Frick sagte: „Die Weltmarktpreise für Nahrungsmittel befinden sich nach wie vor auf einem 10-Jahreshoch.“ Die Zerstörung des Staudamms dürfe keine weiteren Preisexplosionen nach sich ziehen. „Noch mehr Leid können wir uns nicht leisten.“

Russischer Besatzungschef sieht taktischen Vorteil

Der russische Besatzungschef im südukrainischen Gebiet Cherson, Wladimir Saldo, bestätigte, dass die eigene Armee aus der Zerstörung des Staudamms einen militärischen Vorteil gezogen hat. „Aus militärischer Sicht hat sich die operativ-taktische Situation zugunsten der Streitkräfte der Russischen Föderation entwickelt“, sagte Saldo am Mittwoch im russischen Staatsfernsehen angesichts des verheerenden Hochwassers, das der Dammbruch in der Region ausgelöst hat. „Sie können nichts machen“, so seine Sicht auf die ukrainischen Truppen, die eine Gegenoffensive zur Befreiung der besetzten Gebiete planen.

Angesichts des um ein Vielfaches seiner eigentlichen Größe angeschwollenen Flusses Dnipro sagte Saldo: „Für unsere Streitkräfte hingegen öffnet sich jetzt ein Fenster: Wir werden sehen, wer und wie versuchen wird, die Wasseroberfläche zu überqueren.“

London: Ukrainischer Damm könnte weiter Schaden nehmen

Britische Geheimdienste rechnen unterdessen mit weiteren Folgen. „Die Struktur des Damms wird sich in den nächsten Tagen voraussichtlich weiter verschlechtern, was zu weiteren Überschwemmungen führen wird“, teilte das britische Verteidigungsministerium am Mittwoch mit. Auf Fotos und Videos hat es den Anschein, dass ein Teil der Staumauer noch steht. Weitere Angaben machte die Behörde nicht, auch nicht dazu, wer für die Zerstörung verantwortlich sein könnte. In den überfluteten Ortschaften stieg auch am Mittwoch weiter das Wasser.

© dpa-infocom, dpa:230607-99-966732/22


Von dpa
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