Für den Bundeskanzler gibt es zu Hause eigentlich wichtige Dinge zu regeln. Der Bundeshaushalt 2024 ist Olaf Scholz wegen eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts um die Ohren geflogen. Mit Finanzminister Christian Lindner und Vizekanzler Robert Habeck muss er nun möglichst schnell 17 Milliarden Euro zusammenkratzen, um das Loch zu stopfen. Die Klimakonferenz mit Staats- und Regierungschefs aus 170 Ländern will Scholz sich trotzdem nicht entgehen lassen.
Am frühen Morgen um kurz nach 07.00 Uhr hebt er Richtung Dubai ab, wo die sogenannte COP28 dieses Jahr stattfindet - mit der Rekordzahl von rund 97.000 Teilnehmern. Am Abend vorher hat er noch bis in den späten Abend mit Lindner (FDP) und Habeck (Grüne) im Kanzleramt über den Haushaltsplänen gebrütet. Fortsetzung folgt - nach der Rückkehr am Wochenende.
Seinen Aufenthalt in Dubai hat Scholz wegen der Haushaltskrise um etwa acht auf 20 Stunden verkürzt. Ganz verzichten wollte er aber nicht. Wichtigster Punkt für ihn in Dubai: Der Klimaclub. Scholz hat ihn vor eineinhalb Jahren beim G7-Gipfel im bayerischen Elmau als Gruppe besonders ambitionierter Staaten im Kampf gegen den Klimawandel gegründet. Am Nachmittag erklärt er den losen Zusammenschluss von 35 Ländern und der EU für vollständig arbeitsfähig: „Jetzt kann es losgehen!“, sagt er.
Gemeinsames Ziel sei es, industrielle Prozesse treibhausneutral umzubauen und das Wirtschaftswachstum von klimaschädlichen Emissionen zu entkoppeln. Das Problem: Einige der größten Produzenten klimaschädlicher Treibhausgase gehören dem Club nicht an: China, Russland, Indien oder auch Brasilien.
Am Vortag hatte Deutschland viel Lob erfahren, weil die Bundesrepublik zusammen mit dem Gastgeberland je 100 Millionen US-Dollar für einen neuen Fonds zusagte, der Klimaschäden in armen Staaten ausgleichen soll. Es war wie ein Startschuss, weitere Zusagen folgten.
Seit langem schon sei Deutschland ein „good guy“ beim internationalen Klimaschutz, heißt es nicht ohne Stolz aus der Delegation in Dubai, im UN-Jargon COP28 genannt. Doch wie steht Deutschland eigentlich selbst da beim Klimaschutz? Die Bilanz könnte man so zusammenfassen: Es gibt viele Lücken und Baustellen, aber global gesehen schneiden sehr viele Staaten schlechter ab. Konkret:
Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland laut Umweltbundesamt rund 746 Millionen Tonnen klimaschädliche Treibhausgase freigesetzt - immerhin 40,4 Prozent weniger als 1990. Doch laut Klimaschutzgesetz müssen die Zahlen bis 2030 um satte 65 Prozent runter, und spätestens 2045 muss dann verbindlich Klimaneutralität erreicht werden. Dazu ist eine rasante Tempoverschärfung notwendig, und zwar mit Jahr für Jahr rund sechs Prozent weniger Emissionen. Doch: Seit 2010 hat Deutschland im Schnitt nicht einmal zwei Prozent geschafft.
Besonders schlecht läuft es im Straßenverkehr. Er ist der einzige Sektor, der 2022 gegenüber dem Vorjahr sogar mehr Treibhausgase ausgestoßen hat - trotz hoher Spritpreise und 9-Euro-Ticket. Kein Wunder: Allen Alarmrufen zum Trotz steigt die Zahl der Autos hierzulande immer weiter. Aktuell sind es 48,8 Millionen Pkw - und nur jeder 50. davon ist ein Elektroauto.
Stark stiegen zuletzt auch die Kohlendioxid-Emissionen aus den Kohlekraftwerken hierzulande - eine indirekte Folge hoher Gaspreise und der Energiekrise wegen des Ukraine-Kriegs. Auch musste massiv Energie vor allem nach Frankreich exportiert werden, wo die Hälfte aller Atomkraftwerke wegen Reparaturen nicht am Netz waren.
Deutschland kommt beim Klimaschutz also voran, wenn auch viel zu langsam. Damit steht die Bundesrepublik allerdings im internationalen Vergleich gar nicht übel da - weil viele Staaten noch viel weniger machen. Denn weltweit stoßen 139 Staaten aktuell sogar mehr Treibhausgas aus als 2005 - einige sogar doppelt so viel, wie das NewClimate Institute ermittelt hat. Ein Negativ-Beispiel ist China: 2005 setzte sie Volksrepublik 5,8 Milliarden Tonnen CO2 frei, doch 2021 waren es schon 11,5 Milliarden - also gut 30 Prozent aller Emissionen weltweit. Beim Pro-Kopf-Ausstoß liegt China inzwischen auf dem Niveau Deutschlands - allerdings noch weit hinter Staaten wie den USA, Australien, Kanada und Russland.
Der Klimaexperte Niclas Höhne vom New Climate Institute bilanzierte Mitte November, dass von einer radikalen Wende global nichts zu sehen sei. Er stützte sich auf neue UN-Berechnungen: Selbst wenn alle Klimaschutzversprechen gehalten werden - woran viele zweifeln - dürften die Emissionen 2030 nur zwei Prozent unter dem Stand von 2019 liegen. Um auf das 1,5-Grad-Ziel bei der Erderwärmung zu kommen, müssten sie sich bis dahin aber halbieren.
Das NewClimate Institute veröffentlicht auch regelmäßig das viel beachtete Analyse-Werkzeug „Climate Action Tracker“, das regelmäßig die Klimapolitik von mehr als 40 Staaten bewertet. Die deutsche Performance stufen die Experten trotz einzelner Fortschritte insgesamt als „ungenügend“ ein: Es scheine, als habe die Bundesregierung ihr eigenes Klimaschutzziel für 2030 aufgegeben. So sei es etwa unangemessen, dass Deutschland selbst einfache Maßnahmen wie ein generelles Tempolimit auf Autobahnen nicht umsetze. Ende August hatte auch ein vom Umweltbundesamt koordinierter Projektionsbericht der Bundesregierung ergeben, dass die Klimaziele bis 2030 und 2045 ohne zusätzliche Maßnahmen „gefährdet“ sind - was nicht recht zum Selbstlob der Regierung passt.
Positiv, auch im internationalen Vergleich, hebt der Climate Action Tracker hervor, dass die Bundesregierung systematisch Hindernisse für den Ausbau erneuerbarer Energien beseitigt habe. Bei der Solarenergie ist sie damit auf dem Weg, ihre eigenen Ausbauziele zu übertreffen, bei der Windenergie jedoch noch nicht.
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