Gleich vorneweg: Es ist eine ziemlich emotionslose Angelegenheit. Auf dem 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag ist ein Gottesdienst gefeiert worden, den Künstliche Intelligenz (KI) gestaltet hat. Mehrere Avatare sind abwechselnd auf einer Leinwand zu sehen. Sie zitieren aus der Bibel, halten eine Predigt, sprechen Gebete. Sie hätten aber auch genauso gut ein Angebotsblatt eines Discounters, den Beipackzettel für ein Medikament oder den Fahrplan der S-Bahn vorlesen können.
Wenn leises Gelächter in der Fürther Kirche St. Paul ausbricht, dann liegt es eher an manchen Phrasen: Das mit Voice-Assistant und mit Avataren arbeitende KI-System fordert zum Beispiel in der Predigt, man möge doch bitteschön regelmäßig beten, in der Bibel lesen und in die Kirche gehen. Klingt stark nach den 1950ern.
Direkt nach dem durch die KI gespendeten Segen werden einige Besucherinnen und Besucher des Gottesdienstes befragt. „Ich bin sehr beruhigt. Es ist sehr deutlich geworden, wo die Grenzen der KI sind. Die Apparate können nur sagen, was im Netz ist“, sagt ein Mann. Eine Frau findet es „unglaublich langweilig, ich habe abgeschaltet, so, wie ich es auch in nicht so schönen Gottesdiensten tue“. Erschreckt habe sie, „wie viel Müll, wie viele Standardsätze“ zu hören waren. „Ah, religiöses Bullshitbingo?“, antwortet Moderator Jürgen Pelzer.
Der Theologe Jonas Simmerlein hat diesen besonderen Gottesdienst vorbereitet. Er hat das KI-System mit diesen Eckdaten gefüttert: „Es ist Evangelischer Kirchentag 2023 in Nürnberg und Fürth.“ Das System solle einen Gottesdienst mit Predigt halten. „KI ist nicht allwissend, man muss ihr Stützräder geben.“
Wo also geht die Reise hin mit KI im Gottesdienst? Werden bald ein Screen und ein Tablet reichen, braucht man kein theologisches Personal mehr, das ja sowieso rar geworden ist, sowohl in katholischer als auch evangelischer Kirche? Ein Großteil des Kirchentagspublikums war alles andere als überzeugt. „Zu unpersönlich“, lautet etwa ein Feedback, das die Menschen online abgeben konnten. „Wir haben ein Experiment gewagt“, sagt die Generalsekretärin des Kirchentags, Kristin Jahn. Der Gottesdienst sei nicht nur ohne Gesang und ohne Orgel gewesen, sondern auch „ohne Gestik, ohne Mimik, ohne Herz“. Der Satz, gesprochen durch KI, könne zwar richtig sein, aber „der Glanz in den Augen fehlt“.
Simmerlein sagt: „Ich würde es sehr entspannt sehen, niemand will Kirchen und Pfarrer und Pfarrerinnen durch KI ersetzen. Kirchen gibt es, weil Menschen dort hingehen und sagen: Da finde ich Halt und Trost. Wenn jetzt Künstliche Intelligenzen es schaffen würden, dass Menschen sich jeden Sonntag etwas von einer KI erzählen lassen - dann ist es so.“ Das werde aber vermutlich nicht so sein. „Die allermeisten Menschen werden sagen: Ich möchte da vorne einen Menschen haben, der sterblich ist, der auch schon Trauer et cetera erlebt hat. Deshalb wird es für viele Menschen nicht so interessant sein. Aber das heißt nicht, dass sich Sachen nicht auch verändern können.“
Für einen Mittelweg in Sachen KI im Kontext Kirche und Theologie spricht sich der Erlanger Theologie-Professor und frühere Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, aus: „Bei KI würde ich zum gegenwärtigen Stand sagen: Ich habe größte Probleme, wenn im Internet Chatbots eingesetzt würden für Psychotherapie oder Seelsorge. Nach dem AI-Act, den die EU jetzt plant, ist deshalb zu Recht vorgesehen, dass bekannt gegeben werden muss, ob man mit einem Bot kommuniziert oder mit einem menschlichen Gegenüber.“
In anderen Bereichen sei es entspannter. „Wenn man beispielsweise in der Predigtvorbereitung mit ChatGPT ein Gespräch führt, ist das eine denkbare Möglichkeit - neben der Lektüre oder einem Gespräch in der Gemeindegruppe. Ob das genauso gut ist, sei dahingestellt. Man sollte die Technologie jedenfalls im religiösen Kontext nicht verteufeln, aber auch nicht in den Himmel loben.“
Auch die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, hatte sich bereits Ostern zum Thema KI geäußert: „Künstliche Intelligenz kann nicht lieben; sie kann sich nicht einfühlen, kann kein Verständnis zeigen.“ Diese sogenannten weichen Faktoren seien aber für das menschliche Leben entscheidend, sagte sie in einem Interview der Funke-Mediengruppe.
Das Christentum hat sich vor allem deshalb weiterverbreitet und 2000 Jahre gehalten, weil am Anfang Zeuginnen und Zeugen standen, die über Jesus sprachen, über seine Botschaft, über seine Auferstehung. Sie haben ihren Glauben und ihre Begeisterung weitergegeben. Das schafft KI (noch) nicht.
© dpa-infocom, dpa:230609-99-992805/4