Überschuldet? So hilft die Privatinsolvenz aus der Klemme | FLZ.de

arrow_back_rounded
Lesefortschritt
Veröffentlicht am 04.12.2023 15:14

Überschuldet? So hilft die Privatinsolvenz aus der Klemme

Geht nicht von jetzt auf gleich: die Eröffnung eines Privatinsolvenzverfahrens. (Foto: Fernando Gutierrez-Juarez/dpa-Zentralbild/dpa-tmn)
Geht nicht von jetzt auf gleich: die Eröffnung eines Privatinsolvenzverfahrens. (Foto: Fernando Gutierrez-Juarez/dpa-Zentralbild/dpa-tmn)
Geht nicht von jetzt auf gleich: die Eröffnung eines Privatinsolvenzverfahrens. (Foto: Fernando Gutierrez-Juarez/dpa-Zentralbild/dpa-tmn)

Krankheit, Arbeitslosigkeit, Scheidung: Es gibt viele Gründe, warum sich die eigene finanzielle Situation auf einmal rapide verändern kann.

Wer seine Rechnungen nicht mehr begleichen kann, ist faktisch überschuldet. Viele Menschen haben es sich in diesem Zustand eingerichtet.

Sie leben zum Teil bis an ihr Lebensende mit Pfändungsschutzkonto und Besuchen von Gerichtsvollziehern. Ein Privatinsolvenzverfahren könnte aus der Klemme helfen.

„Man geht heute von sechs bis acht Millionen Überschuldeten aus“, sagt Rechtsanwalt Kai Henning. Das sind fast zehn Prozent der Bevölkerung. Doch nur ein Bruchteil der Betroffenen geht in ein Privatinsolvenzverfahren, auch bekannt als Verbraucherinsolvenzverfahren, um seine Schulden loszuwerden.

Schulden und Scham

Henning ist Sprecher der Arbeitsgruppe Verbraucherinsolvenz beim Deutschen Anwaltverein. Warum viele Menschen den Schritt des Insolvenzverfahrens scheuen, kann er nur mutmaßen. Er sagt, das spreche für eine gute Zahlungsmoral der Deutschen. Viele versuchen dem Rechtsanwalt zufolge lange auf eigene Faust, ihrer finanziellen Probleme Herr zu werden, indem sie sich stark einschränken.

Doch das ist nicht der einzige Grund. „Schulden zu haben, ist immer noch mit viel Scham besetzt“, sagt Maria Loheide, Vorständin bei der Diakonie Deutschland. Für Betroffene ist die Entscheidung, in ein Insolvenzverfahren zu gehen, darum stark emotional besetzt.

„Mit diesem Schritt muss ich mir das wirtschaftliche Scheitern eingestehen“, sagt auch Kai Henning. „Aber natürlich scheitere ich nicht durch die Insolvenz.“ Denn die sei Problemlöser, nicht Verursacher der Krise.

Verfahrensdauer ist verkürzt worden

Im Laufe der Jahre ist die Privatinsolvenz für Schuldner zunehmend attraktiv geworden. Denn die Verfahrensdauer wurde immer weiter verkürzt. Brauchte es zunächst sieben Jahre, um schuldenfrei zu werden, wurden daraus später sechs - inzwischen sind es drei Jahre.

Der Grund: Viele Betroffene können während des Verfahrens laut Rechtsanwalt Henning ohnehin kaum Schulden bei ihren Gläubigern begleichen. Für Gläubiger ist es also praktisch egal, ob sie sieben, sechs oder drei Jahre kein Geld sehen. Für die Gerichte, aber vor allem die betroffenen Schuldner, macht es sehr wohl einen Unterschied, wie lange das Verfahren geht.

Professionelle Hilfe kostet möglichst nichts

Doch wie läuft so ein Privatinsolvenzverfahren überhaupt ab? Zu Beginn steht für Zahlungsunfähige der Gang zur Schuldnerberatungsstelle oder dem auf Insolvenzrecht spezialisierten Rechtsanwalt.

Ines Moers von der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung rät so früh wie möglich zu diesem Schritt. „Spätestens dann, wenn Sie merken, dass Sie Bauchschmerzen bekommen, wenn Sie Briefe öffnen.“ Ihre Erfahrung: Die Menschen kommen in der Regel zu spät.

Wichtig dabei: Die Schuldnerberatungsstelle sollte kostenfrei unterstützen. Die nächste Beratungsstelle finden Betroffene unter meine-schulden.de. Wer den Gang zum Rechtsanwalt vorzieht, sollte laut Moers vorher prüfen, welche Kosten anfallen. Von Vorteil sei, wenn die Anwaltskosten von der Prozesskostenhilfe getragen würden, damit Schuldnern keine zusätzlichen Forderungen ins Haus stehen.

Gemeinsam klären Schuldner und professionelle Berater, welche Schulden bei welchen Gläubigern bestehen. Beratungsstelle oder Anwalt müssen versuchen, die Schuldensituation außergerichtlich zu bereinigen.

Platzende Einigung macht Insolvenzantrag möglich

Gläubigern wird ein Vorschlag zur Entschuldung unterbreitet, nach dem diese in der Regel auf einen Großteil der Forderungen verzichten sollen. Das lehnen laut Henning 90 Prozent der Gläubiger ab, die Einigung platzt. Um das Insolvenzverfahren abzuwenden, müssten alle Gläubiger zustimmen. Die Absage bescheinigen Schuldnerberater oder Rechtsanwalt. „Erst damit kann man einen Insolvenzantrag stellen“, sagt Henning.

Bevor das Gericht das Insolvenzverfahren eröffnet, kann es den Gläubigern seinerseits erneut einen Plan zur Entschuldung, den sogenannten Schuldenbereinigungsplan, unterbreiten. Das kann zum Beispiel sinnvoll sein, wenn Schuldner in der Zwischenzeit aus dem privaten Umfeld Geld beschafft haben, das sich unter den Gläubigern aufteilen lässt. Das neue Angebot gilt als angenommen, wenn die Mehrzahl der Gläubiger zustimmt und auf die zustimmenden Gläubiger mehr als die Hälfte der Schuldensumme entfällt.

Noch vorhandenes Vermögen für Verfahrenskosten

Spätestens wenn der zweite Entschuldungsvorschlag abgelehnt ist, wird das Insolvenzverfahren eröffnet. „Mit der Eröffnung wird ein Insolvenzverwalter eingesetzt, die drei Jahre beginnen zu laufen“, sagt Henning. Der Verwalter ist dafür zuständig, das noch vorhandene Vermögen zu bestimmen und für die Begleichung der Verfahrenskosten sowie die Schuldentilgung einzusetzen. Besitzen Schuldner zum Beispiel noch Sachwerte wie eine eigene Immobilie, können diese zu Geld gemacht werden.

Schuldner befinden sich dann in der sogenannten Restschuldbefreiungszeit. Haben sie ein geregeltes Einkommen, wird ein Teil davon gegebenenfalls gleich vom Arbeitgeber einbehalten und unter den Gläubigern verteilt.

Wie hoch der pfändbare Betrag des Einkommens ausfällt, hängt von der Höhe des Nettolohns und von etwaigen Unterhaltspflichten ab - er ist der Pfändungstabelle zu entnehmen. Wer ohne Unterhaltspflichten ein Nettoeinkommen von 2000 Euro monatlich bezieht, muss derzeit zum Beispiel rund 418 Euro abgeben. Was Schuldnerinnen und Schuldner mit dem unpfändbaren Teil des Geldes machen, bleibt ihnen überlassen, sagt Ines Moers.

Sind die drei Jahre vorüber, wird die Restschuldbefreiung erteilt. „Damit werden die Forderungen dann nicht komplett gestrichen, aber sie werden zu unvollkommenen Forderungen“, sagt Kai Henning. Schuldner können die Schulden zwar noch freiwillig bezahlen, Gläubiger dürfen diese aber nicht mehr einfordern. Sechs Monate nach Abschluss des Verfahrens wird der entsprechende Schufa-Eintrag gelöscht.

Schulden aus Straftaten werden nicht erlassen

Wie hoch die Forderungen zu Beginn des Insolvenzverfahrens waren, hat weder für das Verfahren noch für die Restschuldbefreiung eine Bedeutung. Die einzigen Schulden, die nach abgeschlossener Privatinsolvenz bestehen bleiben, sind nach Angaben von Henning Forderungen aus Straftaten. Also zum Beispiel Strafzahlungen wegen Steuerhinterziehung.

Grundsätzlich stehe es jeder überschuldeten Privatperson frei, ein Verbraucherinsolvenzverfahren zu durchlaufen, sagt der Rechtsanwalt - sogar Jugendlichen und Strafgefangenen. Ein Jahr vor Beginn des Verfahrens dürften Betroffene aber keine „unverhältnismäßigen Verbindlichkeiten“ mehr eingegangen sein, keine Sach- oder Geldwerte verschenkt haben, sagt Ines Moers.

Wer bereits ein Privatinsolvenzverfahren durchlaufen hat, unterliegt unter Umständen einer Sperrfrist. Auch bei Selbstständigen oder ehemals Selbstständigen gibt es Ausnahmen. Sie dürften nicht mehr als 19 Gläubiger oder Schulden aus unbezahlten Krankenkassenbeiträgen haben, sagt Ines Moers.

Eine Besonderheit gibt es bei gemeinsam aufgenommenen Schulden: Hat zum Beispiel ein Ehepaar gemeinsam Kreditverträge unterzeichnet, müssen beide Partner in ein separates Verfahren, um die Schuldenfreiheit zu erlangen.

Es gibt viel zu wenig Schuldnerberatungsstellen

„Wenn man's ganz rational betrachtet, gibt es eigentlich keine Nachteile des Privatinsolvenzverfahrens“, sagt Henning. „Wirtschaftlich betrachtet kann ich mich gegen sehr kleine Münze von den Schulden befreien.“ Ein Selbstläufer ist das Verfahren trotzdem nicht. Schon die Vorbereitung braucht laut Ines Moers mindestens ein halbes Jahr oder Jahr.

Maria Loheide sieht vor allem Verbesserungsbedarf bei der Anzahl der Schuldnerberatungsstellen. Davon gebe es viel zu wenig, woraus für Betroffene teils monatelange Wartezeiten resultieren. Für Menschen, die bereits in einer angespannten Situation sind, verschlimmere sich die Situation dadurch enorm.

Frühzeitig Hilfe suchen

Doch wie sehen die Alternativen zur Verbraucherinsolvenz aus? Mit den Schulden leben? „Das macht ja die Mehrheit“, sagt Henning. Im Gegensatz zu juristischen Personen, also zum Beispiel Unternehmen, sind Privatpersonen bei Zahlungsunfähigkeit nicht zur Insolvenzanmeldung gezwungen.

Dieser Teil lebt dann in der Regel mit einem Pfändungsschutzkonto, bei dem ein bestimmter Betrag der Einlagen vor dem Zugriff der Gläubiger geschützt ist. Alle drei Jahre kommt Henning zufolge der Gerichtsvollzieher und pfändet, was an Vermögensgegenständen zu holen ist.

Sucht man frühzeitig professionelle Hilfe, sei das Insolvenzverfahren aber häufig abwendbar, sagt Ines Moers. Dann gebe es oft noch Gegenwerte wie Immobilie oder Auto, die genutzt werden können, um Teile der Schulden zu begleichen. Gläubiger zeigen sich Moers zufolge oft gesprächsbereit, wenn Schuldnerberatungen mit Vergleichen oder Ratenzahlungen anklopfen. Immerhin bekämen sie so zumindest einen Teil der Forderungen bezahlt.

© dpa-infocom, dpa:231204-99-178341/2


Von dpa
north