Preisgekrönte Doku über die Künstlerin Nan Goldin | FLZ.de

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Veröffentlicht am 24.05.2023 11:15

Preisgekrönte Doku über die Künstlerin Nan Goldin

Die Künstlerin und Aktivistin Nan Goldin in einer Szene des Dokumentarfilms  „All the Beauty and the Bloodshed”. (Foto: T.W. Collins/Participant Film/Plaion Pictures /dpa)
Die Künstlerin und Aktivistin Nan Goldin in einer Szene des Dokumentarfilms „All the Beauty and the Bloodshed”. (Foto: T.W. Collins/Participant Film/Plaion Pictures /dpa)
Die Künstlerin und Aktivistin Nan Goldin in einer Szene des Dokumentarfilms „All the Beauty and the Bloodshed”. (Foto: T.W. Collins/Participant Film/Plaion Pictures /dpa)

Nan Goldin ist heute eine angesehene, hochdekorierte Fotografin, doch die Kunst begann für sie einst an ganz elementarer Stelle: Überleben. Missbrauch, Drogenabhängigkeit, Gewalt - und dazwischen immer wieder die Kunst als Mittel, sich zu behaupten. Davon erzählt das Leben der 69-Jährigen, das nun mit der Doku „All the Beauty and the Bloodshed“ in die Kinos kommt.

Der Film von Laura Poitras - bekannt für ihren oscarprämierten Dokumentarfilm „Citizenfour“ über Edward Snowden - gewann 2022 bei den Filmfestspielen von Venedig den Goldenen Löwen. Die Jury hatte dieser emotionale und intime Film, der so reich an Leben ist, begeistert.

Beiläufig fotografierte Außenseiter

Nan Goldin begann schon im Teenager-Alter, zu fotografieren. Mit Fotos, die in einer Art Schnappschuss-Ästhetik ihr eigenes unkonventionelles Leben und das ihres Umfelds dokumentierten, schuf sie eine neue Ästhetik. Man hatte solche Fotos vorher in der Öffentlichkeit nicht gesehen: Leute beim Sex, im Nachtleben oder im vertrauten Zuhause. Nicht inszeniert, sondern beiläufig fotografiert. Ihre Freunde waren Drag Queens und queer, bevor dieses Wort in dem Sinne gebräuchlich war. Die US-Amerikanerin war eine Vorreiterin nicht nur für viele Fotografinnen und Fotografen, sondern eigentlich auch für alle, die heute Schnappschüsse ihres privaten Lebens auf Instagram teilen.

Beispielhaft ist auch ihr politischer Aktivismus. „All the Beauty and the Bloodshed“ beginnt mit Nan Goldins Kampf gegen die US-amerikanische Familie Sackler - den Eigentümern eines Pharma-Unternehmens, das mit für die Opioid-Krise in den USA verantwortlich gemacht wird. Auch Goldin war zwischenzeitlich nach einem von der Firma vertriebenen Schmerzmittel namens Oxycontin süchtig. Es war ihr nach einer Operation verschrieben worden. Die Sacklers sind gleichzeitig für Kultursponsoring bekannt. Flügel von Museen sind oder waren nach der Familie benannt.

Oxycontin wurde von der Pharmafirma aggressiv und unter Verschleierung des Suchtpotenzials beworben. Deswegen gab es schon einige Gerichtsstreits in den USA. Die Abhängigkeit davon habe sie fast zugrunde gerichtet, erzählte Goldin. Nach dem erfolgreichen Entzug gründete sie eine Aktivistengruppe und kämpfte mit anderen dagegen, dass der Name der Sackler-Familie in berühmten Museen auftauchte. Das ist in der Doku zu sehen.

„Überleben war eine Kunst“

Gleichzeitig blickt der Film auf Goldins Leben, das ein sehr bewegtes war. Erzählt wird etwa davon, dass Goldins ältere Schwester Suizid beging, nachdem sie wegen ihrer Unangepasstheit und einer falschen Diagnose in psychiatrische Anstalten eingewiesen worden war. Beide Schwestern hatten Konflikte mit den Eltern. Goldin verließ im Alter von 14 Jahren ihr konservatives Elternhaus und kam in verschiedene Pflegefamilien. Schließlich fand sie in der Bostoner Drag-Queen-Szene eine Ersatzfamilie. „Überleben war eine Kunst“, sagt Goldin im Film einmal. „Du konntest dafür verhaftet werden, in Boston über die Straße zu laufen.“

Poitras hat Goldin für „All the Beauty and the Bloodshed“ viele Male interviewt. Goldins Erzählungen führen als Voice-Over durch den Film, dazu werden Videos und Fotos aus dem Leben der 1953 geborenen Künstlerin gezeigt.

Egal, ob es um ihren Aktivismus, ihre Kunst oder ihr Leben geht: Alles, sagte die Fotografin in Venedig, sei eigentlich einer Sache gewidmet - dem Kampf gegen Stigmatisierung. Seien es Drogensucht, häusliche Gewalt, nicht-heterosexuelle Geschlechtsidentitäten oder Krankheiten.

Wir sehen Fotos ihrer Freundinnen und Freunde in Bars oder Schlafzimmern. Ineinander verschlungen oder rauchend einander abgewandt. Goldin war Teil einer Gemeinschaft, die nach alternativen Formen des Zusammenlebens suchte. Viele Weggefährten sind auf den Fotos verewigt, die die Künstlerin später in der Aids-Pandemie verlor.

Und dann gibt es jene Fotos von Goldin selbst, die sie brutal von einem Partner zusammengeschlagen zeigen. Mit diesen Fotografien begann ihr berühmter Werkzyklus „The Ballad of Sexual Dependency“. Was für ein Schmerz aus diesen Fotos spricht. Was für eine Beharrlichkeit, trotz allem weiterzumachen.

All the Beauty and the Bloodshed, USA 2022, 127 Minuten, FSK ab 12, von Laura Poitras, mit Nan Goldin,

© dpa-infocom, dpa:230519-99-752433/4


Von dpa
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