Mit dem Projekt „VerVolkt - Kann Spuren von Nazis enthalten“ dokumentiert die Stadt Memmingen die Vergangenheit und Gegenwart von Rechtsextremismus im Allgäu. Nach fast zwei Jahren Arbeit an dem Projekt ist nun ein umfangreicher Katalog erschienen, der die Ergebnisse darstellt. In der Vergangenheit gab es im Rahmen von „VerVolkt“ zwei Hauptausstellungen und weitere Randprojekte.
Das neue Buch zeige, wie dringend es notwendig sei, sich mit dem Thema zu befassen, erläutert Regina Gropper, Kuratorin des Memminger Stadtmuseums. Seit 2021 sammelten Gropper und andere Beteiligte Beschreibungen über frühere Aktivitäten von Nationalsozialisten sowie Lebensumstände von Juden oder Sinti und Roma.
„Es ist schockierend, was wir im Rahmen von „VerVolkt“ über das Allgäu zusammengetragen haben“, sagt Gropper. Sie verweist beispielsweise auf rechte Aktivitäten in Kempten und Memmingen vor und während des Zweiten Weltkrieges.
Darüber hinaus reicht das Projekt allerdings bis in die Gegenwart. Beispielsweise werden die Proteste während der Pandemie thematisiert. Die Teilnehmer von Corona-Demonstrationen hätten häufig die Schoah relativiert und die Opfer verhöhnt, „indem sie sich wie die Juden im Dritten Reich als Verfolgte und die BRD als vergleichbares Terror- Regime darstellen“, heißt es in dem Buch.
Auch Umtriebe der rechtsextremen Szene wie etwa die der Skinheadkameradschaft „Voice of Anger“ werden im Katalog thematisiert. Bei der Gruppe hatte die Polizei im vergangenen Jahr eine Razzia gemacht. Laut bayerischem Verfassungsschutz hat sich die Gruppe von Memmingen aus mittlerweile auch auf andere Bundesländer ausgeweitet. Eine Führungsfigur betreibe einen Versandhandel für „Szeneartikel und Tonträger“. In dem Buch wird dieses Plattenlabel als „Soundtrack zu Rassenkrieg und Nationalsozialismus“ bezeichnet.
Wie hoch der Redebedarf zum Thema Rechtsextremismus sei, habe Gropper bei der ersten Ausstellung erfahren, deren Exponate laut der Kuratorin mehrfach Opfer antisemitischer Angriffe waren. „In Gesprächen mit Besuchern kamen so viele Informationen zusammen, dass wir eine Folgeausstellung organisiert haben“, sagt sie. „Das Thema ist noch nicht abgeschlossen. Wir bleiben dran.“
Auch in Kempten ist die Aufarbeitung der rechten Vergangenheit der Kommune längst noch nicht abgeschlossen. Dies zeigte zuletzt die Umbenennung einer Straße. Die Knussertstraße heißt nun Franz-Sperr-Straße, weil die NS-Vergangenheit ihres ursprünglichen Namensgebers publik wurde.
Der Kemptener Richard Knussert war laut der Stadtverwaltung zur NS-Zeit Mitglied der NSDAP und Funktionär in leitender Position. Der zeitweise in Kempten aufgewachsene Franz Sperr dagegen gilt als Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime und wurde 1945 von den Nationalsozialisten ermordet.
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