Dorf der Hundertjährigen auf Sardinien hält Guinness-Rekord | FLZ.de

arrow_back_rounded
Lesefortschritt
Veröffentlicht am 30.09.2022 13:08

Dorf der Hundertjährigen auf Sardinien hält Guinness-Rekord

Am Ortseingang macht eine steinerne Tafel auf den Rekord aufmerksam. Perdasdefogu ist als Dorf der Hundertjährigen bekannt und hat es damit ins Guinnessbuch der Rekorde geschafft. (Foto: Johannes Neudecker/dpa)
Am Ortseingang macht eine steinerne Tafel auf den Rekord aufmerksam. Perdasdefogu ist als Dorf der Hundertjährigen bekannt und hat es damit ins Guinnessbuch der Rekorde geschafft. (Foto: Johannes Neudecker/dpa)
Am Ortseingang macht eine steinerne Tafel auf den Rekord aufmerksam. Perdasdefogu ist als Dorf der Hundertjährigen bekannt und hat es damit ins Guinnessbuch der Rekorde geschafft. (Foto: Johannes Neudecker/dpa)

Mit seiner vorromanischen Kirche, dem zentral gelegenen Platz und den kleinen Geschäften könnte Perdasdefogu ein Ort wie jeder andere in Italien sein.

Überschaubar, schnuckelig, aber wenig aufsehenerregend. Die Ortschaft im Südosten der beliebten Ferieninsel Sardinien ist jedoch eine Rekordhalterin.

Perdasdefogu ist als Dorf der Hundertjährigen bekannt und hat es damit ins Guinnessbuch der Rekorde geschafft.

Der beschwerliche Weg dorthin lässt das nicht vermuten. Eine enge, kurvige Straße schlängelt sich hoch zu dem Ort in den schroffen Bergen Sardiniens. Schon am Ortseingang macht eine steinerne Tafel auf den Rekord aufmerksam. Im Dorf erinnert die Piazza Longevità (Platz des langen Lebens) daran. Die Rentner, die sämtliche italienische Regierungen und Krisen miterlebten, sind das Aushängeschild.

Der Stolz der Gemeinde wird auch an der Hauptstraße sichtbar, die durch den Ort führt. Die pastellfarbenen Fassaden der Häuser sind verziert mit Schwarz-Weiß-Fotos der Methusalems mit deren Namen und Geburtsjahr.

Höchste Quote an 100-Jährigen

Da ist zum Beispiel Vittorio Lai. Verschmitzt lächelt er in die Kamera, auf dem Bild trägt er eine feinkarierte Schiebermütze und eine Winterjacke, die so gar nicht zur Wärme des endenden Sommers passt. Darunter: weißes Hemd mit Fliege. Die Mütze setzte er auch auf, als er am vergangenen Sonntag ins Wahllokal ging, um über das neue italienische Parlament abzustimmen. Auf seiner Wählerkarte, die auf einem in der Facebook-Gruppe des Ortes veröffentlichten Foto zu sehen ist, steht sein Geburtsdatum: 12. Februar 1922.

Lai ist einer der neun 100- und über 100-Jährigen, die derzeit in Perdasdefogu leben. Das Guinness-Buch bescheinigt dem Ort, derjenige mit der höchsten Quote an Einwohnern zu sein, die ein solches Alter erreicht haben.

Lai ist so lange verheiratet, wie das Leben vieler nicht einmal wird: 78 Jahre. Das spreche wohl auch für seinen Charakter und den seiner Frau, kommentiert die Reporterin des Fernsehsenders Rai. „Na ja, manchmal sagt sie, ich sei ein bisschen frech“, antwortet Lai in einem jüngst ausgestrahlten Beitrag. „Ich sage, einmal bin ich frech, ein andermal du, also gleichen wir uns aus.“

Leben im Rhythmus der Natur

Annunziata Stori ist die jüngste 100-Jährige in dem Ort mit seinen 1780 Einwohnern. Sie feierte den Eintritt in ihr zweites Lebensjahrhundert am 16. August. Da kam dann natürlich auch Bürgermeister Bruno Chillotti, um persönlich zu gratulieren.

„Gesund wie ein Fisch“ sei sie. Lebhaft und fröhlich, nehme keine Medikamente und koche ihre Minestrone immer noch mit selbst gemachter Fregula, der typisch sardischen Nudelsorte, schreibt der Regisseur Pietro Mereu. Der hatte der vor ein paar Jahren die Dokumentation „Der Club der Hundertjährigen“ gedreht. Auf Facebook veröffentlichte Mereu ein Foto von sich und Stori, auf dem sie - ganz in schwarz gekleidet und mit Kopftuch - an einem Tisch steht. In einer der großen Schalen vor ihr Tomaten, eine Aubergine und Paprika.

Ist die Ernährung also das Geheimnis der Hundertjährigen? Mereu sagt, die Menschen in der Provinz Ogliastra hätten ein sehr hartes Leben gelebt, aber mit viel weniger Stress als heutzutage. Statt dem Rhythmus von Handy und E-Mails seien sie dem der Natur gefolgt.

Gute Gene und ein soziales Netz

Der Ort sei von der Landwirtschaft geprägt gewesen, sagt auch Antonio Brundu. Er ist der älteste Bewohner des Ortes. „Die Leute haben immer an der frischen Luft gearbeitet“, erzählt er der Rai. Seine Haut ist noch straff, leicht gebräunt - nur an den fehlenden Vorderzähne sieht man ihm sein Alter an. Er ist 104 Jahre und fünf Monate alt. Die exakte Lebensdauer, sie gehört im hohen Alter wieder betont.

Salvatore Mura, Historiker und Gemeinderat in Perdasdefogu, nennt mehrere Gründe, mit denen sich das lange Leben vieler Bewohner erklären lasse. Die Gene seien ein Faktor. Hinzu komme, dass sich die Dorfältesten seit jeher von Produkten aus „Null Metern Entfernung“, also aus ihrem eigenen Garten, ernährten. Doch auch das soziale Netz spiele mit rein. „Bis zu ihrem letzten Tag leben sie in der Familie“, sagt Mura. Auch das halte physisch und körperlich fit.

Statt die Hochbetagten an einem Tag wie dem Internationalen Tag der älteren Menschen am 1. Oktober zu ehren, wird jeder 100. Geburtstag in Perdasdefogu gefeiert. Mura sagt, dieses Jahr stehe kein weiterer mehr an, dafür könnte es nächstes Jahr neue Hundertjährige geben.

Wissenschaft will es ganz genau wissen

Auf der Straße aber begegne man den Hundertjährigen nicht mehr so oft, sagt Massimo. Er ist Barista im Café an der zentralen Piazza Europa und bedient gerade seine Gäste. Im Sommer sei es vielen zu heiß. Und nicht allen gehe es prächtig. Eine Frau könne zum Beispiel kaum mehr sprechen und sei in einer Pflegeeinrichtung untergebracht. Massimos Frau sei die Nichte einer, die weit mehr als 100 Jahre alt wurde, sagt der Kellner.

Warum die Menschen ausgerechnet in Pedasdefogu so alt werden? „Das liegt einfach am sardischen Lebensstil“, sagt er. Im Ort gebe es kein Drogenproblem, die Leute ernährten sich gesund, ihr Leben sei einfach und ruhig.

Auch die Wissenschaft beschäftigt sich mit der Langlebigkeit der Sarden. Ein Projekt will 13.000 DNA-Proben von Einwohnern der Provinz Ogliastra sequenzieren, um Erklärungen für das Phänomen zu finden, berichtete die Nachrichtenagentur Ansa kürzlich. Auch die Universität Sassari ist an der Untersuchung beteiligt. Rektor Gavino Mariotti sagt: „Wir hoffen, zeigen zu können, dass die Menschen auf Sardinien gut leben, auch als Werbefaktor für unser Land.“

© dpa-infocom, dpa:220930-99-957174/4

north