„Der Gymnasiast“ zwischen Trauerbewältigung und Sexdates | FLZ.de

arrow_back_rounded
Lesefortschritt
Veröffentlicht am 30.03.2023 00:17

„Der Gymnasiast“ zwischen Trauerbewältigung und Sexdates

Paul Kircher als Lucas Ronis - er gewann bereits einen Schauspielpreis als bester Darsteller. (Foto: Jean Louis Fernandez/Salzgeber/dpa)
Paul Kircher als Lucas Ronis - er gewann bereits einen Schauspielpreis als bester Darsteller. (Foto: Jean Louis Fernandez/Salzgeber/dpa)
Paul Kircher als Lucas Ronis - er gewann bereits einen Schauspielpreis als bester Darsteller. (Foto: Jean Louis Fernandez/Salzgeber/dpa)

Der französische Regisseur Christophe Honoré ist ein Meister melancholischer Filme. In seinem bisher wohl persönlichsten Kinowerk erzählt der 52-Jährige, der als Teenager seinen Vater durch einen Unfall verlor, von einem 17 Jahre alten Schüler, der im Laufe eines Winters eben dies auch erlebt. „Der Gymnasiast“ („Le Lyceen“) spielt in den französischen Alpen und in Paris - und kommt jetzt in ausgewählte Kinos in Deutschland.

Der Newcomer Paul Kircher gewann 2022 beim Festival von San Sebastian eine Silberne Muschel (Preis als bester Darsteller). Juliette Binoche spielt seine Mutter Isabelle, Vincent Lacoste den großen Bruder. Honoré selbst ist kurz als Vater zu sehen. Der Regisseur hat schon einige radikale Filme geschaffen, darunter die Musical-Tragikomödie „Chanson der Liebe“, ein bisexueller Beziehungsreigen mit Todesfall.

In „Die Liebenden“ zogen Catherine Deneuve und ihre (echte) Tochter Chiara Mastroianni durch Liebeswirrungen in mehreren Jahrzehnten. Und in „Sorry Angel“ wurde eine schwule Liebesgeschichte in Zeiten der HIV- und Aids-Krise der 90er Jahre erzählt - ohne Happy-End.

Umgang mit Trauer und Verlust

In „Der Gymnasiast“ hat Lucas, der mit seinem Freund Oscar rummacht, aber darin nicht die große Liebe sieht (wie er betont), zu Beginn mit seinem Vater einen vergleichsweise harmlosen Autounfall. Es scheint ein Zeichen, denn wenig später stirbt Lucas' Vater tatsächlich am Steuer seines Wagens. Es gelingt dem Film, die Wellen von Wut und Trauer schmerzlich einzufangen. Mutter Isabelle, der in Paris lebende Künstler-Bruder Quentin, andere Verwandte - alle haben ihr eigenes Tempo, ihre eigene Art, mit dem Verlust umzugehen.

Zur Ablenkung besucht Lucas seinen Bruder in Paris, mit dem er ein Verhältnis zwischen Aggression und Zärtlichkeit unterhält. Er beginnt, sich für Quentins Mitbewohner Lilio (Erwan Kepoa Falé) zu interessieren. In einer Kirche spricht Lucas mit einem Priester über die Auferstehung Jesu, hat aber auch ein Sexdate via Dating-App mit einem Unbekannten in dessen Wohnung. Wie das Leben halt so spielt.

Bedeutsam ist bei Honoré wieder die Rolle von Musik: Sie wird gemeinsam gehört, gegenseitig vorgespielt. Wenn Isabelle und ihre Söhne einen Song für die Trauerfeier suchen und auf „Electricity“ von OMD (Orchestral Manoeuvres In The Dark) stoßen, blitzt beim Tanzen die Hoffnung auf, es könne doch mal wieder schön werden. Später hört der depressive und suizidgefährdete Lucas das für eine Beerdigung zu treibende Lied beim Sex mit seinem Freund. Da passt es besser. Am Ende reift die Erkenntnis: Erinnerung und Bewältigung sind möglich.

Der Film ist ab heute (30. März) in Aachen (Apollo Kino & Bar), Berlin (delphi LUX, Xenon Kino), Bremen (City 46), Frankfurt/Main (Mal Seh'n Kino), Halle (Saale) (Zazie Kino & Bar), Karlsruhe (Kinemathek), Köln (Filmpalette), Leipzig (Passage Kino), Mannheim (Cinema Quadrat), München (Arena), Nürnberg (Filmhaus Kino), Saarbrücken (Kino Achteinhalb) und ab 6. April auch in Hamburg (3001 Kino) zu sehen.

© dpa-infocom, dpa:230323-99-57396/2


Von dpa
north