Autobinnenfähre „Horst“ erprobt digitales Assistenzsystem | FLZ.de

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Veröffentlicht am 30.05.2023 10:56

Autobinnenfähre „Horst“ erprobt digitales Assistenzsystem

Die Fähre „Horst“, die für Forschungszwecke mit Assistenzsystemen ausgerüstet ist, verkehrt zwischen Ingelheim und dem Rheingau. (Foto: Sebastian Gollnow/dpa)
Die Fähre „Horst“, die für Forschungszwecke mit Assistenzsystemen ausgerüstet ist, verkehrt zwischen Ingelheim und dem Rheingau. (Foto: Sebastian Gollnow/dpa)
Die Fähre „Horst“, die für Forschungszwecke mit Assistenzsystemen ausgerüstet ist, verkehrt zwischen Ingelheim und dem Rheingau. (Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

Flott und präzise manövriert „Horst“ an die Anlegestelle von Ingelheim am Rhein. Schiffsführer Michael Maul ist erstaunt: „Manuell hätte ich das nie so schnell hingekriegt. Und wenn ein Kollege in dem Tempo rangefahren wäre, hätte ich laut gebrüllt.“

Maul ist Chef der Rheinfähre zwischen Oestrich-Winkel im hessischen Rheingau und dem rheinland-pfälzischen Ingelheim. Drei weißblaue Schiffe gehören dem kleinen Unternehmen: „Michael“, „St. Michael“ - und „Horst“, eine Versuchsfähre mit digitalen Assistenzsystemen, unterwegs in der Grundlagenforschung.

Mehr Sicherheit und weniger Emissionen

Spurhaltesystem, Kollisions- und Positionshalteassistent, acht Laserscanner für die nahe Umgebung und Steuerung der vier Propeller im Wasser in alle Richtungen: „Horst“ soll nahe Mainz und Wiesbaden für die bundesweit rund 100 Autobinnenfähren erproben, wie sie bei mehr Sicherheit Treibstoff und CO2-Emissionen sparen können.

Michael Maul, Spross einer Familie mit jahrhundertealter Fährtradition am Rhein, ist zufrieden: „Wir sparen mit dem digital optimierten Kurs elf Prozent Diesel und damit 10.000 bis 20.000 Euro im Jahr.“ Seine 1000-Meter-Fährstrecke ist mit ihren engen Passagen zwischen Sandbänken und der starken Strömung im sogenannten Inselrhein anspruchsvoll, vor allem bei niedrigen Pegelständen. Wie bei Autos auf Straßen könnten digitale Assistenzsysteme hier im Wasser die Sicherheit erhöhen.

Das Forschungsprojekt „Automatisierte und koordinierte Navigation von Binnenfähren“ (AKOON) mit Kosten von 3,57 Millionen Euro ist laut Bundeswirtschaftsministerium mit 2,25 Millionen Euro vom Bund gefördert worden.

Beteiligt sind neben dem Fährbetrieb das Institut für Regelungstechnik der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen und die Voith Group in Heidenheim an der Brenz, die auch Schiffspropeller produziert. Vierter Partner ist die Stuttgarter Firma Argonav, Spezialistin für Navigationssysteme von Binnenschiffen.

Fähre mit einem Joystick manövrieren

Die Idee für das Projekt ist laut Voith-Manager Dirk Jürgens bei einer Fachtagung seines Unternehmens 2017 in Heidenheim „beim Kaffee oder abends beim Bier“ geboren worden. 2019 begonnen, ist es offiziell Ende 2022 ausgelaufen, wird aber laut Michael Maul von den vier Partnern vorerst fortgesetzt. Darüber hinaus gebe es ein Nachfolgeprojekt mit einer Fähre auf der Ostsee bei der Insel Rügen, ergänzt der Schiffsführer, der auch Vorsitzender des Deutschen Fähr-Verbandes ist.

Mit Rundumblick sitzt er hoch oben im Steuerhaus seiner 1986 gebauten Fähre „Horst“, die er gebraucht als Ersatzschiff für Ausfälle seiner beiden anderen Wasserfahrzeuge gekauft hat, und steuert sie mit sechs Hebeln. Laut Philipp Koschorrek vom Propellerhersteller Voith ist es längerfristiges Ziel, eine Fähre mit einem einzigen Joystick manövrieren zu können. Maul blickt auf mehrere Bildschirme im Halbkreis um ihn herum. Sie zeigen Rheinverlauf und Fährstrecke, nahe und ferne Hindernisse, Position und Geschwindigkeit und einiges mehr.

Der Rhein ist eine der verkehrsreichsten Wasserstraßen der Welt: Ein großes Containerschiff kommt „Horst“ in die Quere - die Fähre muss warten. Maul schaltet den digitalen Positionshalteassistenten ein: Wie festgeschraubt auf dem Rheingrund verharrt „Horst“ auf der Stelle, trotz Strömung und Wind.

„Für einen Schiffsführer wäre das über längere Zeit ausgesprochen anstrengend“, sagt Maul. „Er würde es auch nie so genau hinkriegen.“ In dichtem Nebel schon gar nicht. Mit digitaler Unterstützung betrage die Abweichung vom Ruhepunkt dagegen nur höchstens zwölf Zentimeter.

Hightech-Grundlagenforschung am Rhein

Voith-Manager Jürgens erläutert: „Wir haben diese Fähre als digitalen Zwilling abgebildet.“ Das spare bei Versuchen Personal und Diesel. Schiffsführer Maul ergänzt: „Trotzdem haben wir auch viele reale Testfahrten in einem Rhein-Altarm ohne Schifffahrt gemacht. Teilweise ist das auch langweilig gewesen, zum Beispiel tagelang 100 Meter vor und zurückzufahren, um jede Funktion zu testen und einzustellen.“

Das Bundeswirtschaftsministerium spricht von einem erfolgreichen Projekt: Seine vier Partner hätten technisch bewiesen, „dass ein weitgehend autonomer, zumindest aber teilautonomer Fährbetrieb möglich ist“. Maul will „keinen Schiffsführer ersetzen, sondern ihn entlasten.“ Er überlege, eine weitere Fähre digital aufzurüsten.

Andere Fährbetriebe am Rhein beobachteten das Projekt mit großem Interesse. Schiffsbauexperte Jürgens sagt: „Wir mischen hier vorne mit im weltweiten Wettbewerb.“ Auch andere Forschungsteams, etwa in Skandinavien, trieben die Digitalisierung von Fähren voran.

Michael Maul sagt: „Dass wir hier als kleines Unternehmen in einer beschaulichen Gegend Hightech-Grundlagenforschung machen, merken unsere Fahrgäste leider gar nicht.“

© dpa-infocom, dpa:230530-99-873923/3


Von dpa
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