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Veröffentlicht am 17.08.2022 13:39

Weist München den deutschen Weg zu Olympia?

Die European Championships begeistern das Publikum in München. (Foto: Soeren Stache/dpa)
Die European Championships begeistern das Publikum in München. (Foto: Soeren Stache/dpa)
Die European Championships begeistern das Publikum in München. (Foto: Soeren Stache/dpa)

Proppevolle Sportstätten, mitreißende Stimmung, begeisterte Sportler: Die European Championships in München mit gleich neun Titelkämpfen in elf Tagen haben mancherorts die Lust auf Olympische Spiele in Deutschland geweckt.

Auf Funktionärsebene aber reicht die Euphorie noch nicht aus, nach zahlreichen gescheiterten Bewerbungen einen erneuten Versuch zu wagen - zumal auch vonseiten der Bundespolitik ein eindeutiges Signal bislang fehlt.

Lediglich Bayerns Innen- und Sportminister Joachim Herrmann erklärte: „Die phänomenale Stimmung, die Begeisterung und die erfolgreiche, nachhaltige Organisation für die European Championships sind Ermutigung und Ansporn für weitere Wettbewerbe solcher Art.“ Das Wort Olympia nahm aber auch der CSU-Politiker nicht in den Mund. Bei der Bundesregierung gibt es keine konkreten Pläne zu einer Bewerbung. Ein Sprecher des Innenministeriums sagte in Berlin, man unterstütze die Perspektive einer solchen Bewerbung und sei dazu auch mit dem Deutschen Olympischen Sportbund im Austausch. „Aber weder ein Wann noch ein Wo sind da bisher konkret Thema gewesen.“

Für DOSB-Chef Thomas Weikert sind die Championships ein Baustein für eine neue Bewerbung. „Ich denke, man kann auch Olympische Spiele ausrichten, ohne einen Gigantismus zu haben. Hier ist eine sehr gute Veranstaltung mit neun Sportarten und man sieht, dass man darauf gut aufbauen kann“, sagte der Funktionär der Sportschau.

„Ich glaube, wir müssen ein bisschen die Kirche im Dorf lassen. Ich will nicht sagen, dass ich nicht gerne Olympia in Deutschland hätte - das wäre total genial. Aber ich denke, dass erst einmal andere Sachen geklärt werden müssen und einige Zielstellungen vielleicht auch formuliert werden müssen“, sagte Beachvolleyballerin Karla Borger, die auch Präsidentin des Vereins Athleten Deutschland ist. Man solle diesen Schwung lieber erstmal mit in die Vereine, in den Nachwuchs nehmen. „Das heißt ja noch nicht, dass dieser Sport jetzt angekommen ist in der Gesellschaft und akzeptiert ist, weil einmal die Hütte voll ist - und das soll nicht despektierlich klingen.“

Im historischen Olympiapark hatten die Organisatoren zeitweise Mühe, den Publikumsandrang zu regulieren. „Es war natürlich der positiven Resonanz geschuldet. Aber dass der Olympiapark schließen muss, damit hatten wir überhaupt nicht gerechnet“, sagte Tobias Kohler, Leiter der Stabstelle Kommunikation der Olympiapark GmbH, der „Rheinischen Post“. In der ausverkauften Olympiahalle bejubelten 9000 Menschen die goldenen Übungen von Emma Malewski und Elisabeth Seitz. Auf dem Königsplatz beim Klettern feierten 5000 Fans eine Party. Beim Straßenrennen feuerten offiziellen Angaben zufolge 110.000 Menschen die Radfahrer an, während am Bahnrad-Oval an allen Entscheidungstagen die knapp bemessenen 1700 Plätze besetzt waren.

„Das war richtig cool, es hat richtig Spaß gemacht. Man fährt über die Ziellinie und wenn man gewinnt, freuen sich die Leute halt, die stehen da und rufen den Namen, Deutschlandflaggen - ich habe jedes Mal Gänsehaut bekommen“, sagte Bahnrad-Weltmeisterin Emma Hinze, mit gleich drei Titeln einer der deutschen Stars von München. „Wahrscheinlich die beste Atmosphäre, in der ich je geklettert bin“, sagte der tschechische Szenestar Adam Ondra, der Bronze im Bouldern und Gold im Lead gewann.

Richard Ringer, zum Auftakt der Leichtathletik-Titelkämpfe Sieger im Marathon, gab sich wie andere deutsche Sportler als Fan der European Championships zu erkennen. „Bei den European Games sieht man ja, wie das Konzept funktioniert, wenn du nicht ganz so viele Sportarten aufeinander hast. Das ist ein Riesen-Event, das ist supertoll“, sagte der Rehlinger der dpa, gab aber auch zu bedenken: „Olympische Spiele in der heutigen Zeit, das ist schon echt enorm.“ Man müsse überlegen, warum das kaum einer mache, ergänzte der 33-Jährige.

Sieben gescheiterte Bewerbungen seit den Olympischen Spielen in München vor 50 Jahren haben die deutsche Sportführung zwar nicht mutlos, aber dennoch vorsichtig gemacht. Zuletzt war insbesondere die mangelnde Zustimmung in der Bevölkerung ausschlaggebend dafür, dass eine deutsche Olympia-Kandidatur fehlgeschlagen ist - nicht zuletzt wegen der enormen Kosten, die auf den Steuerzahler zukommen. Selbst das Multi-EM-Event in München verschlingt rund 100 Millionen Euro, für die ebenfalls zu einem großen Teil die öffentliche Hand aufkommt.

Als „nicht lukrativ“ bezeichnete Monika Schöne, Geschäftsführerin des Olympiaparks, das Großereignis im Deutschlandfunk. Die Veranstaltung finanziere sich über Ticketing-Einnahmen und Sponsoring, „aber der größte Batzen kommt letztendlich von den öffentlichen Zuschussgebern“. Je mehr Eintrittskarten verkauft würden, desto geringer falle der Zuschuss aus.

„Die European Championships sind eigentlich so eine Art Meilenstein zu weiteren Großveranstaltungen hier in Deutschland, weil man einfach wieder das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen musste, dass solche Großveranstaltungen möglich sind, dass die Leute auch mit dabei sind und das ist genau das, was wir vermitteln wollen“, sagte Schöne im Bayerischen Rundfunk.

DOSB-Chef Thomas Weikert kündigte an, dass der Dachverband sich mit dem Thema Olympia befassen werde. Bei der DOSB-Mitgliederversammlung im Dezember soll ein möglicher Prozess für eine Olympia-Bewerbung präsentiert werden. „Das heißt aber nicht, dass wir uns direkt bewerben“, sagte Weikert. Stattdessen solle transparent und ergebnisoffen mit allen Beteiligten und Betroffenen diskutiert werden, „ob und unter welchen Voraussetzungen eine erneute Bewerbung Deutschlands überhaupt Sinn macht. Oder eben nicht“, sagte Weikert der „Stuttgarter Zeitung“ und den „Stuttgarter Nachrichten“. Der Gigantismus der jüngeren Vergangenheit sei out, Nachhaltigkeit hingegen in. Mittlerweile habe auch der Letzte erkannt, „dass es keine megateuren Prachtbauten braucht, in denen wenige Jahre später Unkraut wuchert“.

Das Bündnis NOlympia sieht trotz der Euphorie in München keine Grundlage für Olympische Spiele in Deutschland. „Die Rahmenbedingungen haben sich seit den letzten Bewerbungen nicht verändert: Das IOC (Internationale Olympische Komitee) ist immer noch das gleiche, inklusive Knebelverträge, die die finanziellen Risiken auf die Austragungsorte abwälzen nach dem Motto „Gewinne behalten wir, Verluste tragen die anderen““, sagte NOlympics-Sprecherin Katharina Schulze der dpa. Zudem betreibe das IOC eine massive Kommerzialisierung der Spiele. Dagegen stünden die European Championships für ein Konzept, welches auf Gigantomanie verzichte, die Wettkämpfe fügten sich gut in die Stadt ein, so Schulze.

© dpa-infocom, dpa:220817-99-417840/3

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