Eigentlich wollte Karen Duve ein Buch über Pferde schreiben. Aber dann ist es doch ein Roman über Elisabeth von Österreich geworden. Klingt verrückt? Nicht unbedingt.
Auch im Leben der als „Sisi“ legendär gewordenen Kaiserin spielten Pferde eine zentrale Rolle. „Davon wusste ich vorher gar nichts, ich kannte nur die Filme mit Romy Schneider und stand Sisi eher gleichgültig gegenüber“, sagt Duve. „Das blieb dann aber nicht so. Wie alle, die je mit ihr zu tun hatten, war ich schnell fasziniert.“ Das ist ihrem Roman „Sisi“ von Anfang bis Ende anzumerken.
„Ihre Hofdamen, ihre Reitlehrer, ihre Kavaliere, die waren ja allesamt verstrahlt, verliebt, außer Rand und Band“, sagt die in Hamburg geborene Autorin („Regenroman“, „Taxi“), die inzwischen unweit von Berlin in der Märkischen Schweiz wohnt. „Man trat mit Vorbehalten oder sogar Abneigung in ihren Dienst, und zwei Wochen später war man ihr völlig verfallen.“
Duve (60), die ihre Vorliebe für Pferde mit Sisi teilt, habe regalmeterweise Literatur über die Kultkaiserin (1837 bis 1898) gelesen. „Als ich merkte, wie viel Material da ist: Oh Gott, du kannst das genau rekonstruieren“, erzählt sie über ihre Recherchen. „Über fast jeden einzelnen Tag in Elisabeths Leben ist berichtet worden, manchmal gibt es Aufzeichnungen von sieben verschiedenen Leuten über ein und dieselbe Stunde.“ Die Autorin konzentriert sich in ihrem Roman auf Sisi in ihren Enddreißigern - ähnlich wie Marie Kreutzers Historiendrama „Corsage“, das Anfang Juli in die Kinos gekommen ist.
Es sei ein hochdramatischer Abschnitt in Sisis Leben, sagt Duve. „Es ist der Moment, in dem die schönste Frau der Welt zu altern beginnt.“ Pferde, ihre Lieblingstochter und ihre eigene Schönheit - das seien Sisis Passionen gewesen. „Vielleicht denkt sie: Wenn ich wahnsinnig schön bin, bin ich in Sicherheit, der Glaube, dass ihre Macht auf ihrer Anziehungskraft und Schönheit beruht.“
Darin steckt eine ungeheure Dramatik, findet Duve. Altern sei schließlich nichts für Feiglinge. „Wenn Sisi nicht reitet, ist sie damit beschäftigt, das Altern hinauszuzögern und stattdessen noch schöner zu werden. Sie turnt, hungert und legt sich Kalbsschnitzel aufs Gesicht“, erzählt die Schriftstellerin. „Allein dieser Wahnsinn mit den Haaren, die mehr als ein Kilo gewogen haben dürften und ihr ins Bett hinterhergetragen werden mussten, sich damit herumzuquälen.“
Duve porträtiert Sisi gleichzeitig als geradezu besessene Reiterin, die im Sattel kein Risiko scheut, sondern die Gefahr sogar sucht. Bevorzugt reist sie dafür nach England, um dann an Fuchsjagden teilzunehmen, die in dem Ruf stehen, buchstäblich halsbrecherisch zu sein. „Ach Festi“, sagt sie zu ihrer vertrautesten Hofdame, die deswegen mal wieder Panik bekommt. „Nun machen Sie sich doch nicht solche Sorgen.“ Ganz unberechtigt sind die aber nicht: „Das House of Lords ist voller Rollstühle - alles Jagdunfälle“, wie Duve mit großem Sinn für Komik schreibt.
Sisi lässt so etwas unbeeindruckt. Das Jagdreiten ist ihre Welt, nicht die des steifen Hofzeremoniells in Wien, wo ihr Mann Kaiser Franz Joseph jede Nacht vor Morgengrauen aufsteht, um sich den Regierungsgeschäften zu widmen, für die sich Sisi nicht die Bohne interessiert. Kein Wunder, dass Captain Bay Middleton ihr in England so nahekommt, ein brillanter Reiter wie sie. Wie weit das ging, ist historisch nicht geklärt.
Duves Sisi ist vielschichtig. Sie kann empfindsam und dann wieder gefühllos sein, manchmal geradezu intrigant - zu ihrem Personal genau wie gegenüber engen Verwandten. „Sisi besteht aus zehn verschiedenen Personen, von denen vier unsympathisch und sechs ganz reizend sind“, sagt Duve. „Aber man weiß nie, auf welche man gerade trifft.“ Glücklich ist sie nur beim Reiten - dann leuchtet sie geradezu, dann ist ihr kein Hindernis zu schwer, kein Graben zu breit. Doch damit ist das Glück begrenzt: Schließlich muss auch eine Kaiserin hin und wieder absatteln.
Karen Duve: Sisi. Galiani Berlin, 408 Seiten, 26 00 Euro, ISBN 978-3-86971-210-9
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