IOC verschärft Kontroverse mit Rückkehr von Russen im Sport | FLZ.de

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Veröffentlicht am 29.03.2023 08:50

IOC verschärft Kontroverse mit Rückkehr von Russen im Sport

Präsident des Internationalen Olympischen Komitees: Thomas Bach. (Foto: Laurent Gillieron/KEYSTONE/dpa)
Präsident des Internationalen Olympischen Komitees: Thomas Bach. (Foto: Laurent Gillieron/KEYSTONE/dpa)
Präsident des Internationalen Olympischen Komitees: Thomas Bach. (Foto: Laurent Gillieron/KEYSTONE/dpa)

Das Internationale Olympische Komitee hat mit der Wiederzulassung von russischen und belarussischen Sportlern die Kontroverse im Weltsport verschärft und viele Fragen aufgeworfen.

Nun müssen die Weltverbände entscheiden, ob und wie sie die IOC-Vorgaben umsetzen und die Neutralität der Athleten dieser beiden Länder bei Starts überwachen. Dass mitten im Krieg russische und ukrainische Sportler wieder auf internationalen Sportbühnen aufeinandertreffen sollen, dürfte heikel werden.  

Diese Sportler sollen als neutrale Einzelstarter unter der französischen Abkürzung AIN geführt werden. Ihre Wettkampfkleidung soll entweder komplett weiß oder in einer anderen einzelnen Farbe gestaltet sein. Teamlogos sind Russen und Belarussen ebenso untersagt wie nationale Symbole, Flaggen und das Abspielen ihrer Hymnen. Sportler aus beiden Ländern mit Verbindung zu Militär und Sicherheitsorganen sowie Mannschaften bleiben ausgesperrt. 

Den zugelassenen russischen und belarussischen Sportlern soll es zudem verboten sein, bei offiziellen Wettkämpfen, in Interviews und in den sozialen Netzwerken ihre Unterstützung für ihre Länder und den Krieg in der Ukraine zu zeigen. Im Falle eines Verstoßes sollen die Weltverbände umgehende Strafen aussprechen.

Für den deutschen Handball-Präsidenten Andreas Michelmann hat dieses Verbot eine für den Teamsport „nachvollziehbare Klarheit“. Eine neutrale Mannschaft aus Russland oder Belarus wäre immer als Russland oder Belarus erkennbar - „und das widerspricht dem Geist der weiter geltenden Sanktionen“. Die Definition von Teamsportarten und -wettbewerben soll sich nach dem IOC-Vorschlag an den Regeln des Weltverbandes orientieren. Bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio hat Russland 21 Medaillen in Teamsportarten gewonnen, darunter sieben aus Gold.

Der olympische Dachverband hat den Weltverbänden zur Einrichtung eines unabhängigen Gremiums geraten. Damit soll eine einheitliche Auslegung der beschlossenen Richtlinien für die Rückkehr der Athleten beider Länder in den Weltsport gesichert werden. Laut IOC-Vorschlag könnte das Gremium unter dem Dach der Vereinigungen der Sommer- und Wintersportverbände sowie der nichtolympischen Weltverbände gegründet werden. 

Das russische Verteidigungsministerium hat erklärt, dass mehr als 20 der Medaillengewinner des Landes bei den Tokio-Spielen einen militärischen Dienstgrad haben. Von den 71 Medaillen, die in Japan gewonnen wurden, stammten 45 von Athleten, die dem Zentralen Sportverein der Armee angehören. Traditionell gehören Clubs wie ZSKA oder Dynamo, die Verbindungen zum Militär oder Geheimdienst haben, zu festen Größen in fast allen russischen Sportarten.

Die deutschen Spitzensportverbände reagierten zurückhaltend. Sie müssen nun die Umsetzungsvorschläge der Weltverbände abwarten. Der Unterstützung des Bundesinnenministeriums können sie sich sicher sein. Das BMI wolle dafür Sorge tragen, „Nachteile für deutsche Athletinnen und Athleten mit Blick auf die Qualifikation für Olympische Spiele zu vermeiden“, teilte ein Sprecher des Ministeriums mit. Deutsche Athleten dürften „nicht die Leidtragenden von Entscheidungen internationaler Sportverbände sein“.

Die Vereinigung Athleten Deutschland hält den IOC-Beschluss für falsch. „Ein kollektiver Ausschluss wäre – nach mehrfachen Brüchen mit den Werten und Regeln der olympischen Bewegung – ein geeignetes und legitimes Mittel gewesen, auch ohne gegen Diskriminierungsverbote zu verstoßen“, hieß es in einer Mitteilung. 

Russlands Sportminister Oleg Matyzin kritisierte die IOC-Entscheidung als „inhuman“. „Die Empfehlungen des IOC, russische Sportler zu klassifizieren, sind unrechtmäßig und die Einzelentscheidung zu den Mannschaftssportarten offen diskriminierend“, schrieb Matyzin auf dem Telegram-Kanal seines Ministeriums. Auch das russische Nationale Olympische Komitee sprach von Diskriminierung und Ausgrenzung. Das IOC-Verbot für Athleten, sich in den Medien positiv über Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine zu äußern, prangerte das NOK als politische Bevormundung an.

Die Ukraine will weiter eine Teilnahme russischer und belarussischer Sportler an internationalen Wettkämpfen verhindern. „Wir werden gemeinsame Anstrengungen unternehmen, damit kein z-Patriot in die internationalen Sportarenen gelangt“, schrieb der Sportminister und Chef des Nationalen Olympischen Komitees, Wadym Hutzajt, bei Facebook. Der Buchstabe Z steht als offizielles russisches Symbol für den Krieg Moskaus gegen die Ukraine. Nach Ansicht des früheren Box-Weltmeisters Wladimir Klitschko hat das IOC mit dem Beschluss „den olympischen Geist“ verseucht. Er warf IOC-Präsident Thomas Bach vor, den „Farben und Interessen Russlands“ zu dienen. 

Bundesinnenministerin Nancy Faeser sieht die IOC-Entscheidung als „Schlag ins Gesicht“ der ukrainischen Sportler. Wer den Kriegstreiber Russland internationale Wettbewerbe für seine Propaganda nutzen lasse, „schadet der olympischen Idee von Frieden und Völkerverständigung“, sagte die SPD-Politikerin. Der sportpolitische Sprecher der CDU/CSU, Stephan Mayer, meinte, dass die Rollen von Tätern und Opfern endgültig in grotesker Weise vertauscht worden seien. Auch die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Renata Alt (FDP), hält die angeratene Russen-Rückkehr für grundfalsch: „Das IOC beweist damit wieder einmal ein mangelndes Verständnis der Menschenrechte.“

Die Ukraine hat schon vor dem IOC-Entscheid mit Boykott der Paris-Spiele gedroht, wenn Athleten aus Russland und Belarus zugelassen werden. Auch aus den baltischen Staaten und Polen kamen ähnliche Drohungen. Für den DOSB, die Spitzenverbände und auch die deutsche Politik ist das kein Thema. „Keine Option für den deutschen Sport darf ein Boykott Olympischer Spiele sein“, bekräftigte Andreas Michelmann, der auch Sprecher der Spitzenverbände ist. „Das sollten wir auch aus der deutsch-deutschen Sportgeschichte gelernt haben.“ Und auch DOSB-Präsident Thomas Weikert versicherte: „Wir starten in Paris.“

Nach der Regel 44.1 der Olympischen Charta ist vorgeschrieben, dass das IOC ein Jahr vor Eröffnung der Olympischen Spiele Einladungen an die NOKs versenden muss. Dies wäre der 26. Juli 2023. IOC-Präsident Bach sprach nur davon, diese Entscheidung „zu einem geeigneten Zeitpunkt zu treffen.“ In manchen Sportarten könnten Russen und Belarussen sowieso nicht dabei sein: Beispielsweise hat der Leichtathletik-Weltverband den Ausschluss von Athleten beider Länder demonstrativ wenige Tage vor dem IOC-Entscheid verlängert und einen Zugang auch zu Olympia-Qualifikationswettkämpfen bis auf Weiteres gesperrt.

© dpa-infocom, dpa:230329-99-129165/6


Von dpa
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