„Eine tödliche Krankheit“ - 70 Jahre Anonyme Alkoholiker | FLZ.de

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Veröffentlicht am 10.03.2023 13:09

„Eine tödliche Krankheit“ - 70 Jahre Anonyme Alkoholiker

Ein Chip der Anonymen Alkoholiker. (Foto: Christoph Soeder/dpa/Archivbild)
Ein Chip der Anonymen Alkoholiker. (Foto: Christoph Soeder/dpa/Archivbild)
Ein Chip der Anonymen Alkoholiker. (Foto: Christoph Soeder/dpa/Archivbild)

Wenn sich Menschen an die Anonymen Alkoholiker (AA) wenden, ist ihr Leidensdruck meist schon sehr groß und ihr Leidensweg lang. Die Interessengemeinschaft ist Anlaufstelle für Betroffene, die mit dem Trinken aufhören wollen, und auch für deren Angehörige. In Deutschland gibt es die Anonymen Alkoholiker seit 70 Jahren. Das Jubiläum wollen sie Ende März in München begehen.

Bundesweit gibt es aktuell rund 2000 AA-Gruppen, die sich regelmäßig treffen, sagte am Freitag Vorsitzender Jürgen Hoß, der selbst kein Alkoholiker ist. Die AA seien ein Beweis dafür, zu welchen Veränderungen Menschen in der Lage seien. Mehrere Betroffene erzählten in München von ihren eigenen Erfahrungen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie irgendwann an einen Punkt gekommen waren, an dem sie selber erkannten, dass sie nicht weitermachen können wie bisher.

„Party war mein Leben“, sagte Christian. Über Jahrzehnte sei Alkohol sein täglicher Begleiter gewesen - einfach, weil es gesellschaftlich akzeptiert gewesen sei. Judith erzählte, wie sie mehr als 20 Jahre lang die Alkoholsucht ihres Mannes toleriert und ausgehalten habe. Nach Außen habe sie versucht, die Fassade aufrechtzuhalten, nach Innen sei der Alltag die Hölle gewesen.

Dem Suchtmediziner Markus Backmund zufolge sterben in Deutschland jährlich etwa 75.000 Menschen an den Folgen des Konsums von Alkohol, die Hälfte davon bei Unfällen wie einem Sturz auf dem Heimweg. Alkoholsucht sei eine tödliche Krankheit, stellte er klar. Anders aber als etwa Krebskranke könnten sich Alkoholsüchtige selbst dafür entscheiden, ohne die Krankheit zu leben.

Problematisch sei, dass das Trinken von Alkohol bagatellisiert werde. Mit Blick auf das Oktoberfest sagte Backmund: „Wir organisieren die größte Massenintoxikation der Welt jedes Jahr und nehmen gesundheitliche Schäden und Todesfälle in Kauf.“

Um den Schritt aus der Sucht heraus zu schaffen, seien unter anderem Freiwilligkeit wichtig und die Erkenntnis, dass man ein Problem hat. Klar definieren lasse sich Alkoholsucht nicht. Aber wenn jemand ständig ans Trinken denke, sich selbst frage, ob er zu viel trinke, die Dosis steigere, ein Verlangen nach Alkohol empfinde und gar Verpflichtungen vernachlässige, dann seien das Hinweise auf eine Abhängigkeit.

Bundesweit bieten die Anonymen Alkoholiker regelmäßig Meetings an, in Präsenz oder Online. Zudem gibt es telefonische Beratung.

Das erste Treffen war am 1. November 1953 in München, als US-Soldaten, die den Anonymen Alkoholikern angehörten, in einem Hotel zu einem deutschsprachigen AA-Meeting zusammenkamen. Der Sitz der Anonymen Alkoholiker ist in Gottfrieding in Niederbayern.

© dpa-infocom, dpa:230310-99-903656/3


Von dpa
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