Forscher Daniel Rossouw steht im hohen Steppengras der Kalahari und lauscht. Grillen geben ihr Konzert, trockene Grashalme rascheln im Wind, in der Ferne jault ein Schakal. Doch das Geräusch, auf das Rossouw hofft – ein sanftes, rhythmisches Klicken –, bleibt vorerst aus. Es ist der Laut, den die Panzerschuppen eines Pangolins mit jedem Schritt machen, den sich das Tier fortbewegt.
Die gepanzerten Schuppentiere, die auch liebevoll als „wandelnde Kiefernzapfen“ oder „Artischocken mit Schwanz“ bekannt sind, sind schüchterne, überwiegend nachtaktive Einzelgänger – und dementsprechend schwer zu sichten. Sie lieben den Schutz der Dunkelheit und schlummern tagsüber in ihrem Bau unter der Erde. Erst mit der Dämmerung bewegen sie sich an die Oberfläche und begeben sich auf Nahrungssuche.
Rossouw hat bereits vier Steppenschuppentiere (Smutsia temminckii) – zwei Weibchen und zwei Männchen – mit Signalsendern ausgestattet. Seitdem verbringt er nahezu jeden Abend viele Stunden im Grasland des südafrikanischen Teils der Kalahari-Halbwüste, um mehr über die bedrohten Tiere zu erfahren. Rossouws Forschung ist Teil einer größeren Studie namens „Kalahari Bedrohtes Ökosystem Projekt“ (KEEP). Das federführende Dedeben-Forschungszentrum im Naturreservat Tswalu liegt nur wenige Kilometer südlich von der Grenze zu Botsuana.
„Für die Pangolin-Forschung braucht man vor allem eins: Geduld“, erzählt Rossouw lachend. Manchmal stehe er die halbe Nacht im Buschland, ohne eins der seltenen Schuppentiere mit der langen Schnauze und der klebrigen Zunge zu Gesicht zu bekommen. Selbst sein Ortungsgerät, das mit einem leisen Piepen Kontakt zu dem an den Schuppen befestigten Sender aufnehmen kann, gibt keine Garantie. Denn Pangoline legen jede Nacht viele Kilometer zurück und schlafen – wohl je nach Belieben – immer wieder in einem anderen ihrer zahlreichen Bauten. Für Rossouw fängt die Suche jeden Tag von vorne an.
Doch heute hat der Forscher Glück. Es ist kurz nach 16.00 Uhr, die Sonne ist im Winter der Südhalbkugel schon ein gutes Stück gesunken. Ein Pangolinweibchen kriecht aus seinem Bau und macht sich auf die Futtersuche. Im Schutz des hohen Grases der Kalahari huscht es auf der Suche nach Ameisen und Termiten von Busch zu Busch und Baum zu Baum. Rossouw folgt vorsichtig mit einigen Metern Abstand, immer darauf bedacht, gegen den Wind zu stehen, damit das Tier ihn nicht erschnuppern kann. Zieht es weiter, entnimmt Rossouw Erd- und Baumrindenproben. Geflissentlich macht der Forscher detaillierte Notizen. Jedes Scharren und Graben wird aufgenommen, jeder Busch markiert.
Denn momentan haben Pangolin-Forscher wesentlich mehr Fragen als Antworten. Sogar grundlegende Eckdaten fehlen. „Wir haben noch keine Methode, das Alter der Tiere zu bestimmen. Wir wissen nicht, wie lange sie leben, wie lange und wie oft sie schwanger sind, noch nicht einmal wie viele Pangoline es auf der Welt gibt“, sagt Rossouw. „Unsere Beobachtungsdaten sind sehr begrenzt. Pangoline sind noch extrem wenig erforscht.“ Zwar gibt es Schätzungen, doch nur wenig Fakten. Das hat auch damit zu tun, dass sich die Schuppentiere schwer halten lassen – viele gehen in Gefangenschaft ein.
Die Weltnaturschutzunion IUCN habe die Pangolin-Forschung daher als vorrangig eingestuft, sagt Wendy Panaino von der Tswalu-Stiftung. Doch um aussagekräftige Daten zu erhalten, brauche es Untersuchungen über Jahrzehnte. „Was wir hier während unserer Studien herausfinden, sind nur Momentaufnahmen“, erklärt die Ökologin. Die Wissenschaftler erhielten beispielsweise einen guten Überblick darüber, wie sich die Schuppentiere ernähren und zu welchen Zeiten sie aktiv sind. Warum das so ist, können sie aber noch nicht erklären.
Natürliche Feinde haben die Schuppentiere, die sich geschickt zu einem engen, gepanzerten Ball zusammenrollen, wenn sie sich bedroht fühlen, eigentlich wenige. Ab und an versuche ein Löwe, Gepard oder eine Hyäne, ein Pangolin zu fressen, sagt Rossouw, doch generell mit wenig Erfolg. „Viel Arbeit für wenig Fleisch“, fasst Rossouw die Situation zusammen. Der eigentliche Feind der Pangoline sei der Mensch.
Es sind die so typischen Schuppen der Pangoline, die die Tiere heiß begehrt machen. Alle acht Arten der Pangoline - vier in Afrika und vier in Asien - stehen auf der Roten Liste der IUCN. Sie sind gefährdet, stark gefährdet oder vom Aussterben bedroht.
Im vergangenen Jahrzehnt sind nach Angaben der Gelehrtengesellschaft Zoological Society of London (ZSL) mehr als eine Million Pangoline gewildert worden - mehr als Nashörner, Elefanten und Tiger zusammen. Und das seien nur die offiziellen Zahlen, sagt Panaino. Die Dunkelziffer liege um ein Vielfaches höher. Die Überlebensfähigkeit der Pangoline bereite ihr große Sorgen. Da ein Weibchen nur einmal im Jahr – wenn überhaupt – ein Junges gebäre, zählten sie zu den sich langsam fortpflanzenden Tieren. Pangoline erholten sich nur schwer, wenn ihre Zahl dezimiert werde. „Das ist sehr, sehr besorgniserregend“, sagt Panaino.
Wie dem Horn des Nashorns werden den Schuppen der Pangoline heilende Kräfte zugeschrieben – obwohl sie ebenfalls „nur“ aus Keratin bestehen, ebenso wie die Fingernägel des Menschen. Vor allem die Nachfrage aus China und Vietnam für die Herstellung asiatischer Medizin treibe die Wilderei voran, schreibt die ZSL. Was den Pangolinen überdies zum Verhängnis wird: Ihr Fleisch wird in Asien als Delikatesse angesehen. Zudem sind die afrikanischen Schuppentiere auch durch den Verlust ihres Lebensraums, die Verwendung ihrer Schuppen in der traditionellen afrikanischen Kleidung und ihrem Verzehr als Buschfleisch bedroht.
Seit 2017 werden alle acht Arten von Schuppentieren in der höchsten Schutzstufe des Washingtoner Artenschutzübereinkommens (Cites) geführt. Der internationale kommerzielle Handel ist damit vollständig verboten und steht unter Strafe. Doch das Schmuggelgeschäft floriert nach Angaben der Umweltstiftung WWF. „Wenn wir jetzt nicht entschieden gegen Wilderei und illegalen Handel vorgehen, werden die Bestände weiter einbrechen: Für manche Arten ist mit einem Rückgang von mehr als 80 Prozent bis 2040 zu rechnen“, warnt Katharina Hennemuth, Expertin für illegalen Artenhandel beim WWF Deutschland.
Inzwischen ist die Sonne in Form eines glühend roten Balls am Rande der Steppe versunken. Da macht Rossouw eine ungewöhnliche Entdeckung, die sein Forscherherz höherschlagen lässt: hinter einem Busch, an dem das Pangolinweibchen gerade gegraben hat, findet er einen Kothaufen. Rossouw steht die Begeisterung ins Gesicht geschrieben. Nicht umsonst nennen die Wissenschaftler den äußerst seltenen Fund von Pangolinkot „Kalahari Gold“ - so wertvoll ist das Exkrement für die Forschung.
Jeder seiner Kollegen werde ein Stückchen davon haben wollen, sagt Rossouw schmunzelnd, als er den Kot vorsichtig in einem Plastikbeutel verstaut. Er selbst hofft auf neue Erkenntnisse über die Ernährung und Verdauung der Tiere. Der Arbeitsalltag eines Pangolin-Forschers ist eher mühsam als abenteuerlich. Doch heute hat Rossouw ein kleines aber wichtiges Puzzleteil gefunden, das möglicherweise zur Rettung einer gefährdeten Art beitragen kann.
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