Besser hätte der Countdown für den runden Geburtstag kaum laufen können. Johnny Depp, der am Freitag (9.6.) 60 Jahre alt wird, ließ sich schon vor wenigen Wochen in Cannes groß feiern. Das Kostümdrama „Jeanne du Barry“, in dem er den französischen König Ludwig XV. spielt, hatte Mitte Mai die Filmfestspiele an der Croisette eröffnet. Der Film handelt von der skandalösen Beziehung des Königs zur Mätresse Marie-Jeanne Bécu.
An der Seite von Regisseurin und Hauptdarstellerin Maïwenn flanierte Depp über den roten Teppich, gab Autogramme und machte Selfies mit Fans. Es war seine erste Premierenfeier nach dem schlagzeilenträchtigen Gerichtsstreit in den USA mit seiner Ex-Frau Amber Heard vor einem Jahr.
Nach einem sechswöchigen Verleumdungsprozess hatte der „Fluch der Karibik“-Star im Juni 2022 einen weitgehenden Sieg davongetragen. Die Geschworenen schenkten Heards Schilderungen von Missbrauch wenig Glauben, sie musste ihm hohen Schadenersatz zahlen.
Doch keiner der beiden wird die geschilderten Szenen einer Ehe gänzlich abschütteln. Die Schlammschlacht, mit heftigen Anfeindungen, war im Livestream von Gerichtskameras weltweit übertragen worden. Es ging um Anschuldigungen von sexuellem Missbrauch, körperlicher Gewalt, Lügen und Drogenexzessen.
Zwei Jahre zuvor hatte Depp in dem langjährigen Streit der Ex-Partner eine Niederlage einstecken müssen. In London hatte er gegen das britische Boulevardblatt „Sun“ geklagt, das ihn in einem Artikel als Frauenschläger bezeichnet hatte. Am Ende befand ein Richter, dass die meisten Vorwürfe in dem Artikel sich als wahr erwiesen hätten.
Depp und Heard hatten sich 2009 bei den Dreharbeiten zu dem Film „The Rum Diary“ kennengelernt. Ihre Romanze begann 2011 nach Depps Trennung von seiner langjährigen Partnerin, der französischen Schauspielerin Vanessa Paradis, mit der er die Kinder Lily-Rose (24) und Jack (21) hat. 2015 heirateten Depp und Heard, doch nach nur 15 Monaten Ehe reichte die „Aquaman“-Schauspielerin die Scheidung ein, nach Vorwürfen von häuslicher Gewalt.
Depps Karriere war durch den langen Gerichtsstreit mit seiner Ex-Frau zeitweise eingebrochen. So war er 2020 in „Phantastische Tierwesen: Dumbledores Geheimnisse“ durch den Dänen Mads Mikkelsen ersetzt worden. Im selben Jahr stellte er bei der Berlinale das Sozialdrama „Minamata“ vor. Darin spielte er den legendären US-Fotografen W. Eugene Smith, der in den 1950er Jahren eine Massenvergiftung durch Quecksilber nahe der japanischen Stadt Minamata dokumentierte. Der Kinostart wurde mehrmals verschoben, weltweit spielte der Film weniger als zwei Millionen Dollar ein.
Depp, der einst zu Hollywoods Topverdienern zählte, ging im Mai auf einer Pressekonferenz in Cannes in die Offensive. „Ich fühle mich nicht von Hollywood boykottiert, weil ich nicht an Hollywood denke. Ich brauche kein Hollywood“, sagte Depp.
Das könnte der Schauspieler nun mit „Modi“ unter Beweis stellen. Sein zweites Regieprojekt nach „The Brave“ (1997) will Depp im Herbst mit seiner eigenen, in Europa ansässigen Produktionsfirma IN.2 in Budapest drehen. Für das Biopic über den italienischen Künstler Amedeo Modigliani holt er unter anderem Riccardo Scamarcio und Al Pacino vor die Kamera.
Depps erste Liebe galt nicht dem Film, sondern der Musik. Bei seiner Aussage vor Gericht im vorigen Jahr hatte er von seiner schwierigen Kindheit im ländlichen Kentucky erzählt, mit Angst vor den häufigen Gewaltausbrüchen seiner Mutter. Schon als Jugendlicher habe er Drogen probiert, um dieser Realität zu entkommen. Er schmiss die Schule und wollte Musiker werden. Als Gitarrist tingelte er durch Los Angeles und landete erst als Komparse, dann mit TV-Rollen vor der Kamera.
Der Durchbruch zum Teeniestar kam 1987 als Undercover-Agent in der TV-Serie „21 Jump Street“. „Der dümmste Job, den ich je gemacht habe“, klagte er einige Jahre später im dpa-Gespräch, als er den Film „Gilbert Grape - Irgendwo in Iowa“ (1994) vorstellte. In dem Familiendrama von Lasse Hallström spielte er den ältesten Sohn, der sich um den behinderten Bruder (Leonardo DiCaprio) kümmert.
Independent-Regisseur John Waters castete ihn 1990 in „Cry Baby“ als 50er-Jahre-Rocker. Tim Burton holte ihn als „Edward mit den Scherenhänden“ vor die Kamera, Seite an Seite mit Depps damaliger Freundin Winona Ryder. Burton gab Depp einige seiner besten Rollen in Filmen wie „Ed Wood“, „Sleepy Hollow“, „Charlie und die Schokoladenfabrik“, „Sweeney Todd“ oder „Alice im Wunderland“.
Doch Millionengagen und Mega-Ruhm hat er Captain Jack Sparrow zu verdanken. Mit blitzenden Goldzähnen und wilden Zottelhaaren spielte Depp in der „Fluch der Karibik“-Reihe fünf Mal den kultigen Piraten. Damit holte er sich 2004 seine erste Oscar-Nominierung, weitere folgten für die Peter-Pan-Geschichte „Wenn Träume fliegen lernen“ (2005) und für „Sweeney Todd“ (2008).
Häufiger steht Depp nun als Rocker im Rampenlicht. Mit Alice Cooper und Aerosmith-Gitarrist Joe Perry gründete er die Supergroup Hollywood Vampires, die 2015 ihr erstes Album herausbrachte. Im Juni vorigen Jahres jettete er gleich nach Prozessende für Konzertauftritte mit dem Rockgitarristen Jeff Beck nach Europa, auch in Deutschland traten sie auf. Im Juli kam ihr gemeinsames Album „18“ raus. Es war das letzte Studioalbum des Gitarrenvirtuosen Beck, der im Januar mit 78 Jahren gestorben ist.
Gleich nach seinem Auftritt beim Cannes-Festival Mitte Mai stand Depp neben Rocklegenden wie Rod Stewart und Eric Clapton zu Ehren von Beck in der Londoner Royal Albert Hall wieder auf der Bühne.
Ein Wermutstropfen kurz vor seinem runden Geburtstag: wegen einer schmerzhaften Knöchelverletzung von Depp müssten sie drei Konzerte in den USA verschieben, gaben die Hollywood Vampires Ende Mai bekannt. Die Ärzte hätten vom Reisen abgeraten. Er werde sich nun für die Tour durch Europa ausruhen. Am Vortag seines 60. Geburtstags steht ein Konzert in Bukarest an, am Tag danach in Istanbul. Bis Ende Juli will Depp auch in sieben deutschen Städten rocken.
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