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Veröffentlicht am 28.10.2021 09:00

„Ich traue mich da einfach manche Dinge“

Weltweit gefragt: die Feuchtwangerin Sängerin Christiane Karg (Foto: Thomas Wirth)
Weltweit gefragt: die Feuchtwangerin Sängerin Christiane Karg (Foto: Thomas Wirth)
Weltweit gefragt: die Feuchtwangerin Sängerin Christiane Karg (Foto: Thomas Wirth)

Christiane Karg startet mit ihrer Reihe „KunstKlang Feuchtwangen“ am Freitag ins erste Konzertwochenende. Drei Programme widmen sich unter dem Motto „Zachor. In Memoriam“ Musik von jüdischen Künstlern. Was die Sängerin mit ihrer Reihe will und weshalb sie bis nächstes Jahr keine Opern singt, darüber spricht sie im Interview.

Viele berühmte Häuser finden sich wieder in Ihrem Terminkalender. Die Elbphilharmonie, der Musikverein, die Wigmore Hall. Wie vor der Corona-Krise. Ist die frühere Normalität zurückgekehrt?

Nicht ganz. Ich könnte viel mehr machen, aber ich will reduzieren. Mehr als im Moment ist nicht zu schaffen. Ich habe zwei kleine Kinder und möchte daher nicht zwei Monate weg von zu Hause sein. Wir sind hier daheim, in Feuchtwangen. USA habe ich abgesagt. Ich habe die Gräfin im „Figaro“ an der Met zurückgegeben. Es wäre schön gewesen, aber in diesen Zeiten möchte ich nicht unbedingt so weit reisen. Dafür habe ich tolle andere Sachen bekommen. Sehr kurzfristig. Es ist derzeit alles wahnsinnig kurzfristig, alles überraschend, Beethovens Neunte mit Andris Nelsons in Leipzig zum Beispiel.

Sie konzentrieren sich auf Konzerte. Ist Oper zu zeitaufwendig?

Ja, mein erstes Opern-Engagement ist erst für nächstes Jahr im Oktober geplant: Paris, mein Debüt dort. Also auch schön. Und ja, die Konzerte sind einfach viel sicherer als die große Oper, wo noch mehr Leute mit dabei sind. Eine Konzerttournee ist auch überschaubarer. Ich bin gespannt: Im November bin ich zum ersten Mal zwei Wochen mit den Kindern und Nanny auf Tournee. In Wien treffen wir meinen Mann, der dort zuvor bei den Symphonikern dirigiert. So eine Reise tut uns auch als Familie gut.

Konzerte wie am Wochenende: drei Programme, die jüdischer Musik nachspüren. Wo könnte man das sonst hören? In Salzburg?

Das glaube ich nicht. Im Pierre Boulez Saal in Berlin vielleicht. Die Ausrichtung muss schon radikaler sein als bei den Salzburger Festspielen. Im Konzerthaus in Wien vielleicht, aber eher nicht im Musikverein. Unsere Programme sind nicht so alltäglich. Um so etwas zu hören, müsste man sehr weit fahren. Und mit dem ersten Konzertwochenende machen wir darüber hinaus einen neuen Schritt. Wir können stolz darauf sein, was hier in Feuchtwangen möglich ist.

Die Programme des Konzertwochenendes lassen sich anderswo nicht einfach wiederholen. Lohnt sich der Aufwand?

Der Aufwand ist natürlich riesengroß, der künstlerische und auch der logistische. Allein, wie lange ich an Mieczysław Weinbergs Stück arbeite, mich herantaste, um es in Russisch singen zu können. Aber das mache ich gern. Finanziell lohnt es sich nie. Doch es lohnt sich immer für das Publikum und uns Künstler. Dinge, die wir als Musiker lernen, die bringen einen immer weiter. Und wir wollen die großartige Musik der jüdischen Komponisten aufführen. Sie ist nicht so bekannt, wie sie es verdient hätte. Es wäre ein Erfolg der Nazis, wenn diese Musik ganz vergessen werden würde. Das darf nicht sein.

Die Musik von Max Kowalski zum Beispiel. Kannten Sie die vorher?

Nein, kannte ich nicht. Oder doch, ja. Mein Gesangslehrer, Wolfgang Holzmair aus Wien, hat Kowalski-Lieder schon vor langer Zeit aufgenommen. Er hat sehr viel in London gearbeitet, wohin Kowalski emigriert ist. Aber es ist heute noch schwierig, an die Noten zu kommen. Einiges ist verlegt, aber vieles andere habe ich von Wolfgang Holzmair als Kopien von Handschriften erhalten.

Sie greifen seit je Musik jenseits des gängigen Repertoires auf. Ist es schwierig, Ihre Kollegen dafür zu gewinnen?

Die Kollegen machen da alle gern mit. Sie sind offen. Und das zeichnet ja auch KunstKlang aus. Einfach dadurch, dass wir so klein sind. Weil wir nicht tausende Leute haben müssen und können, dürfen wir uns erlauben, dass wir etwas Kleines, Feines machen, was es woanders nicht gibt. Und dadurch, dass ich als Künstlerin in dem Ganzen dabei bin und im Austausch mit anderen, die Konzeption entwickele, sind noch einmal andere Sachen möglich, als wenn nur ein Veranstalter plant.

Das Publikum will immer das Gleiche, das, was es schon kennt – sagen Veranstalter gern.

Das glaube ich nicht. Das stimmt überhaupt nicht. Das Gros des Publikums möchte auch neue Sachen hören und ist gespannt darauf. Natürlich verkaufen sich die Schlager besser, aber wir dürfen da nicht an den Verkauf denken. Im Moment sowieso nicht, weil ohnehin alles brach liegt. Wenn wir nur spielen würden, was uns volle Säle beschert, wäre das ein Unding. Das könnte man nicht mit dem Anspruch, ein Kulturland zu sein, vereinbaren.
Ich traue mich da einfach manche Dinge, weil ich denke, dass das Publikum sie braucht und dass das Publikum gefordert werden muss und möchte. Man kann nicht nur die Kirsche von der Schwarzwälder Kirschtorte picken. Man muss auch den Boden mitessen.

Erstmals in der FLZ erschienen am 28. Oktober 2021


Thomas Wirth
Thomas Wirth

Redakteur im Ressort „Kultur“

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