Mit kleinen Veränderungen das Leben verbessern, dadurch ein anderer Mensch werden - das versprechen zahlreiche Instagram-Postings („Tu diese 3 Dinge, um das zu werden“) und fast genauso viele Bücher. Aber geht das wirklich? Durch Mini- und Mikrogewohnheiten als Instrument ein besseres Gefühl erzeugen?
Ja, aber nur, wenn man weiß, wie und was sich damit verändern lässt und was vielleicht auch nicht, sagen Fachleute.
Die eigenen Gewohnheiten upzudaten, könne das Selbstbewusstsein fördern, resilienter machen und sogar Spaß bringen, so die Gesundheitswissenschaftlerinnen Susanne Kobel und Olivia Wartha. Sie haben das Buch „111 Healthy Habits“ geschrieben und listen darin solche gesunden Angewohnheiten („habits“) auf.
Direkt zig neue Gewohnheiten in den Alltag einbauen zu wollen, von um 05.00 Uhr aufstehen bis zum Notieren von Dankbarkeitslisten oder Tagebuchschreiben am Abend, das funktioniert jedoch eher nicht. Besser geht es so:
Indem man sich Fragen stellt, findet man heraus, welche Gewohnheiten lohnenswert sind. „Man sollte wirklich nach dem eigenen Gefühl gehen: Was interessiert mich, was ist wichtig für mich? Was brauche ich?“, so Susanne Kobel. Und dann schauen: Was gehört dazu? Und womit fange ich an? Es ist wichtig, mit kleinen Schritten zu beginnen, und die Gewohnheit sollte klein, überschaubar und leicht umsetzbar sein.
„Die Grundlage ist, dass man bereit ist, bewusst Zeit für sich selber zu investieren“, sagt Olivia Wartha. Das können 30 Sekunden oder zwei Stunden am Tag sein. Hauptsache, man macht es regelmäßig. Über das Belohnungssystem im Gehirn entwickeln wir Freude darüber, etwas zu schaffen. „Und dieses Gefühl möchte man ja am nächsten Tag auch haben.“
Die Dauer, um eine Gewohnheit zu etablieren, variiert stark. Eine Studie aus dem Jahr 2009 („How are habits formed: Modelling habit formation in the real world“) berichtet zum Beispiel von Zeiträumen zwischen 18 und 254 Tagen, die Probanden brauchten, um eine Gewohnheit zu etablieren, berichtet Wartha. Das deutet darauf hin, dass der Prozess immer ein individueller ist, der von der Art der Gewohnheit und der Persönlichkeit abhängt.
Auch das ist individuell verschieden. Aber: In fast jeder steckt die Möglichkeit, und es können auch ganz einfache sein - wie das Lächeln im Spiegel jeden Morgen. „Das macht in mir schon ganz viel, braucht keine 20 Sekunden und damit habe ich schon was für mich getan“, sagt Susanne Kobel. Bereits durch solche Mini-Handlungen wird etwa die Selbstwahrnehmung gestärkt.
Effektivität erreicht man durch die Verknüpfung mit täglichen Routinen. „Kaffee machen zum Beispiel. Da habe ich auch ein paar Sekunden, bis der Kaffee durchgelaufen ist und kann eine neue Gewohnheit einfach mit dieser verknüpfen und etwa eine kurze Meditationsübung machen.“ „Habit stacking“, also eine Gewohnheit auf eine andere draufsetzen, nennt das der US-Autor S.J. Scott. So erleichtert man es dem Gehirn, neue Verbindungen zu bilden und zu lernen.
Eine effektive Habit-Stacking-Routine besteht aus drei Elementen und bildet eine sogenannte Cue-Reward-Schleife, eine Gewohnheitsschleife:
So lassen sich auch schlechte Gewohnheiten durch gute ersetzen: „Schlechte oder alte Gewohnheiten loswerden, ist super schwer, daher empfehlen wir immer, sie zu ersetzen“, so Kobel. „Wenn ich mir immer die Schüssel Chips vor den Fernseher mitnehme und ich will mir das aber abgewöhnen, brauche ich eine Ersatzhandlung“, erläutert sie. „Entweder setze ich mich erst gar nicht vor den Fernseher und gehe lieber eine Runde spazieren, oder ich nehme mir eine Schüssel Trauben mit. Dann habe ich schon wieder was zu tun und es fällt mir überhaupt nicht schwer.“
„Sich selbst verzeihen, ist das Wichtigste. Es ist nicht schlimm, wenn man einen Habit mal vergisst“, so Kobel. Tipp: Lieber mit einer oder zwei kleinen Gewohnheiten starten. Das hilft dabei, Überforderung zu vermeiden und die Motivation aufrechtzuerhalten.
Manchmal hilft es auch, einen günstigeren Moment zu wählen. „Wenn ich mit dem kalten Duschen am Neujahrstag anfangen möchte, wird es nix. Da friert man halt nur. Aber im Sommer bin ich vielleicht total offen dafür, weil es einfach passt“, erklärt Olivia Wartha. „Nur weil es einmal nicht gepasst hat, kann es ein andermal ja sehr gut klappen und einfach zur Gewohnheit werden.“
Auch sinnvoll: Schauen, wer oder was einen unterstützen würde. „Hilft es mir, wenn ich eine Freundin mitmachen lasse? Oder hilft es mir, wenn ich mir einfach vornehme: Ich mache das jetzt einen Monat, und dann belohne ich mich mit irgendwas, sagt Wartha. „Manche Menschen motiviert es schon, wenn sie jeden Tag einen kleinen Haken im Kalender machen und stolz sind, es geschafft zu haben.“
„Beobachtet man einfach mal einen Tag lang, wo die Zeit hingeht, merkt man etwa, dass man offensichtlich Zeit für 20 oder 30 Minuten Social Media hatte. Die hätte man ja aber auch anders verwenden können“, sagt Susanne Kobel. Für eine kurze Yoga-Session zum Beispiel.
Und wieder kommt das Stichwort „Habit stacking“ in Spiel: Wer sich etwa beim Zähneputzen oder Telefonieren regelmäßig auf die Zehenspitzen stellt, kann Belastungen und Folgeschäden für Hüfte und Wirbelsäule deutlich reduzieren, so die Gesundheitswissenschaftlerinnen.
Ob und wie man die kleinen Gewohnheiten oder Habits etablieren kann, hängt auch davon ab, wie groß und komplex sie für den einzelnen sind, so die Expertinnen. Also: Wie knifflig ist es für mich persönlich? Für den einen ist es vielleicht ganz einfach, ein bestimmtes Habit zu integrieren, aber für den anderen vielleicht überhaupt nicht, weil er oder sie bisher einen anderen Lebensstil oder eine andere Priorisierung im Leben hatte.
Etwas komplett umzukrempeln: „Wenn ich sage, ich starte jetzt mit einer komplett neuen Morgenroutine, die ganz anders ist als das, was ich vorher gemacht habe, kann das nur schiefgehen“, so Olivia Wartha.
Ein weiterer Fehler: sich etwas aussuchen, was nicht zu einem passt. Wartha: „Wenn ich immer mit ganz viel Aversion ein bestimmtes Habit mache und das eigentlich gar nicht möchte, dann wird es mir wahrscheinlich auch auf langfristig nicht guttun.“
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