G20-Gipfel: Eine Stimme für Beethovens Neunte | FLZ.de

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Veröffentlicht am 04.07.2017 07:00

G20-Gipfel: Eine Stimme für Beethovens Neunte

die Sopranistin Christiane Karg (Foto: Gisela Schenker)
die Sopranistin Christiane Karg (Foto: Gisela Schenker)
die Sopranistin Christiane Karg (Foto: Gisela Schenker)

Eigentlich wollte Christiane Karg in der ersten Juliwoche Urlaub machen. Dann erreichte die Feuchtwanger Sopranistin eine Anfrage, wie es sie in einem Musikerleben nicht oft gibt: Ob sie beim G 20-Gipfel in Hamburg singen könne? Die Sopranpartie in Beethovens neunter Symphonie war zu besetzen. Christiane Karg überlegte und sagte zu. Am Freitag tritt sie in der Elbphilharmonie vor den geladenen Staatsgästen auf.

Hamburg befindet sich im Ausnahmezustand. Den G20-Gipfel in einer Großstadt sicher über die Bühne zu bringen, ist eine organisatorische Mammutaufgabe. Wer in dieser Woche zwischen 4. und 8. Juli etwa in die Elbphilharmonie will, muss einen guten Grund haben. Es gibt in der Zeit keinen öffentlichen Zugang, die Plaza bleibt gesperrt. Denn vor der Kulisse der Elbphilharmonie werden am Freitag und Samstag die Staats- und Regierungschefs der „Gruppe der 20“ (G 20), also der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, zusammenkommen.

Zum Tross der Staatenlenker gehört Christiane Karg zwar nicht, in die Elbphilharmonie wird sie aber eingelassen. Ihre Akkreditierung hat sie sich schon besorgt, denn am Donnerstag muss sie zur Probe dort sein. Kent Nagano erwartet sie. Der Generalmusikdirektor der Hamburgischen Staatsoper und des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg wird am Freitag auf Wunsch der Bundesregierung vor den Staatsgästen mit seinem Orchester, Chor und vier Solisten die neunte Symphonie von Ludwig van Beethoven aufführen. Die Bundeskanzlerin selbst, heißt es, habe das Werk ausgesucht, nicht zuletzt wegen des berühmten Finales, der „Ode an die Freude“. In einer instrumentalen Kurzfassung ist sie seit 1985 auch die Hymne der Europäischen Union.

Das originale, groß dimensionierte Finale, das die Staatsgäste hören werden, geht weit über die Europa-Hymne hinaus. Beethoven lässt die Grenzen einer Symphonie, die zu seiner Zeit, um 1824, üblich waren, hinter sich. Er hatte die antiliberale Restauration Fürst Metternichs vor Augen und setzte seine Vision dagegen. Auf Friedrich Schillers Worte komponierte er die Utopie einer in Freude versöhnten Menschheit: „Deine Zauber binden wieder / Was die Mode streng geteilt; / Alle Menschen werden Brüder, / Wo dein sanfter Flügel weilt“.

Schillers „Ode an die Freude“

Gemessen an der Symphonie, die etwa 75 Minuten dauert, sind die Partien der Gesangsolisten klein. Sie sind erst im Finale gefordert. Große Sänger haben es sich trotzdem nie nehmen lassen, bei der „Ode an die Freude“ mitzusingen.

Dass Christiane Karg eine Woche Urlaub für den Kurzauftritt in Hamburg opfern muss, bereut sie nicht: „Ich fühle mich sehr geehrt. Es gibt nur eine Sopransolistin in der Neunten.“ Und die ist sie am Freitag. In ihre Presse-Biographie will sie den Auftritt trotzdem nicht unbedingt schreiben. Dort stehen ohnehin die großen Opernbühnen, Konzerthäuser und Orchester der Welt.

Besonders aufgeregt, schätzt sie, werde sie bei dem Auftritt nicht sein. Sie ist gut vorbereitet, hat die Partie schon oft gesungen. Sie kennt auch die Elbphilharmonie, die erst im Januar eröffnet worden ist. Sie hat hier bereits zwei Konzerte gegeben. Vor allem aber sieht sie sich bei der Aufführung „als Teil des Ganzen“.

Singen für die Einheit

Die Diskussion, ob Musiker den G20-Gipfel mit ihrer Kunst überhöhen sollten, und ob es tatsächlich eine Ehre ist, vor einem Publikum aufzutreten, in dem Machthaber wie Erdogan, Putin und Trump sitzen, kennt Christiane Karg, nachvollziehen kann sie die aber nicht. Für sie ist Beethovens Symphonie-Finale keine unverbindliche Freuden-Hymne. Sie sieht es als „sehr politisches Statement“. So versteht sie auch ihre Aufgabe: „Wenn man meint, dass alles um uns herum zerbricht, singen wir für die Einheit.“

Das Konzert wird am Freitag von NDR Kultur live im Radio übertragen. Ihren nächsten Auftritt in der Region hat Christiane Karg am 13. August, 20.30 Uhr, im Feuchtwanger Kreuzgang. Im Rahmen ihrer Reihe „KunstKlang“ wird dort Edvard Griegs Musik zu Henrik Ibsens Drama „Peer Gynt“ aufgeführt.


Thomas Wirth
Thomas Wirth

Redakteur im Ressort „Kultur“

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