Eine charismatische Idee erwacht zum Leben: Gebhardt-Haus wird zum Kaspar-Hauser-Zentrum umgebaut | FLZ.de

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Veröffentlicht am 24.07.2022 16:37

Eine charismatische Idee erwacht zum Leben: Gebhardt-Haus wird zum Kaspar-Hauser-Zentrum umgebaut

Einrichtung der Baustelle: Nach 15 Jahren Stillstand beginnen im Dezember 2021 die Arbeiten am ehemaligen Gebhardt-Haus. Der Startschuss für das Kaspar-Hauser-Zentrum. (Foto: JAMES EDWARD ALBRIGHT JR)
Einrichtung der Baustelle: Nach 15 Jahren Stillstand beginnen im Dezember 2021 die Arbeiten am ehemaligen Gebhardt-Haus. Der Startschuss für das Kaspar-Hauser-Zentrum. (Foto: JAMES EDWARD ALBRIGHT JR)
Einrichtung der Baustelle: Nach 15 Jahren Stillstand beginnen im Dezember 2021 die Arbeiten am ehemaligen Gebhardt-Haus. Der Startschuss für das Kaspar-Hauser-Zentrum. (Foto: JAMES EDWARD ALBRIGHT JR)

Es ist eine der größten Herausforderungen, die gleichzeitig enormes Potenzial in viele Richtungen bietet. Der Umbau des Gebhardt-Areals zum Kaspar-Hauser-Zentrum soll unmittelbar bevorstehen. Pläne sind erstellt, Genehmigungen eingeholt, die Gewerke vergeben. Es kann losgehen.

Der schwarze Treter am Rand der alten Holztreppe liegt da, als hätte ihn sein Besitzer eben erst ausgezogen. Nur ein paar Meter abseits des schmucklosen Eingangs hat sich das Rad der Zeit mit einem Schlag zurückgedreht – der Gedanke, dass hier Kaspar Hauser auf dem Weg zum Totenbett womöglich seinen schwarzen Schuh mit der Schnalle aus Metall verloren hat, scheint gar nicht so abwegig. Alles riecht hier nach Geschichte und Geschichten, die nicht vergessen werden wollen und es wert sind, auch kommenden Generationen erzählt zu werden.

Wohl auch deshalb hat Architekt Hermann Pfeiffer (PS Planung & Service GmbH) das Areal vor vielen Jahren erworben, als es nach dem Rückzug der Familie Gebhardt 2004 und fehlgeschlagenen Nachnutzungen brachlag. Es galt, das Haus der Nachwelt zu erhalten, in dem das sagenumwobene Findelkind bis zu seinem Ableben nach einem Mordanschlag im Hofgarten 1833 lebte. Wobei es dem Projekt nicht um eine historische Einordnung der Person Kaspar Hauser und schon gar nicht um wahr oder falsch in dem mythenumrankten Verwirrspiel geht. Das sind keine Kategorien, in denen Projektentwickler Stephan Weber denkt.

Die Neuanordnung des vierstöckigen Areals, das sich aus den Gebäuden Pfarrstraße 16, 18 und 20 zusammensetzt, ist auch für den erfahrenen Projektentwickler eine große Aufgabe. Wohl weniger in technischer Hinsicht, da die Bausubstanz gut ist. Zunächst müssen schwere Eisenträger zur Stabilisierung eingezogen werden, zudem gilt es, das Dach neu auszurichten. Anfang Januar soll es damit losgehen. „Wir wissen, es startet“, versichert Weber so, als hätte es in der Bevölkerung nie Zweifel an der Umsetzung des Millionen-Projekts gegeben.

Zumindest der 66-Jährige selbst, der Besitzer und die Gesellschaft, die Weber vertritt und an die das Areal später vermietet wird, hatten wohl nie ernsthafte Bedenken. Es berührt schließlich, und das lässt Weber im Gespräch durchklingen, etwas Großes. In der Außenwirkung, wenn am zuletzt nicht gerade lebensintensiven Montgelasplatz ein Café, Hotel und Seminarzentrum für heilende Pädagogik einziehen. Noch mehr aber geht es Weber und der Idee dahinter darum, bislang brachliegende Potenziale zu vitalisieren. Gerade die der Menschen, die das Haus künftig mit Leben füllen.

Zwölf Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung werden hier entstehen – es ist für sie der erste, zweifellos große Schritt in den Arbeitsmarkt. Die Gastronomie ist auf Ernährungsbewusstsein in Bio-Qualität ausgerichtet. Der künftige Küchenchef muss Aspekte wie Tier- und Pflanzenwohl und Lebensmittelreinheit im Blick haben, erzählt Weber.

Der empathische Purismus Kaspar Hausers, wie er der Welt mit all ihren Befindlichkeiten und Egoismen gegenüberstand, seine Offenheit, die geschärften Sinne – all das soll das Haus repräsentieren. „Es gibt doch kein besseres Narrativ als Kaspar Hauser“, hat Weber dessen natürliche Neugierde und seelische Unbescholtenheit zur sinnstiftenden Thematik für das ganze Projekt erhoben.

„Natürlich muss das ganze Vorhaben nachhaltig sein und sich wirtschaftlich tragen“, gibt sich der Projektentwickler keinen Illusionen hin. Die gemeinnützig arbeitende Gesellschaft, die einen Teil des Umbaus über Spenden, Zuwendungen von Stiftungen und öffentliche Fördergelder finanziert, muss sich künftig selbst finanzieren. Auf etwa fünf Millionen Euro werden sich die Kosten summiert haben, ehe die ersten Gäste im Hotel übernachten, das erste Menu serviert ist, Menschen sich den Hürden im Leben stellen und Seminarteilnehmer aus ganz Deutschland die Tagungsräume bevölkern.

Noch nehmen sich Webers Ausführungen wie die charismatische Idee einer besseren Welt aus; einer Welt, wie sie sein sollte. Aktuell bröckelt aber der Putz von den Wänden, aufgestemmte Löcher lassen den Blick von einem Stock zum nächsten zu; den Innenhof, der einmal als überdachter Saal für Veranstaltungen und Feiern dienen soll, hat sich die Natur zurückerobert.

Doch in der ersten Etage – dort, wo Kaspar Hauser der Überlieferung nach mit den Schülerinnen der gegenüberliegenden Mädchenschule posiert hatte, ist die Authentizität dieser Figur mit einem Schlag lebendig. Von 1833 bis heute: Die Zeitreise könnte beginnen.
Florian Pöhlmann

Dieser Artikel erschien erstmals am 29.November 2021 in der FLZ

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