Schwere Krankheit ME/CFS: 31-jährige Ansbacherin ist nach Covid ein Pflegefall | FLZ.de

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Veröffentlicht am 24.05.2025 07:00

Schwere Krankheit ME/CFS: 31-jährige Ansbacherin ist nach Covid ein Pflegefall

Sarah Buckel auf einem Selbstporträt, das für die Veröffentlichung aufgehellt wurde. Die junge Frau kann ihr Bett im dunklen Zimmer nicht verlassen. (Foto: privat)
Sarah Buckel auf einem Selbstporträt, das für die Veröffentlichung aufgehellt wurde. Die junge Frau kann ihr Bett im dunklen Zimmer nicht verlassen. (Foto: privat)
Sarah Buckel auf einem Selbstporträt, das für die Veröffentlichung aufgehellt wurde. Die junge Frau kann ihr Bett im dunklen Zimmer nicht verlassen. (Foto: privat)

Sarah Buckel ist schwer krank, ein Pflegefall. „ME/CFS nach Long Covid“ lautet die Diagnose. Die 31-Jährige hat ständig starke Schmerzen, ein geschädigtes Herz und zahlreiche weitere massive Symptome seit rund drei Jahren. Ihr Bett daheim im dunklen Zimmer kann sie längst nicht mehr verlassen.

„Wenn essen möglich ist, bringt Papa mir was ans Bett, sonst Flüssignahrung. 24 Stunden Gehörschutz, kein Fernsehen, keine Musik. Stille, Dunkelheit, Einsamkeit. Kann kaum mehr sprechen. Körperpflege im Bett, wenn machbar. Haare abrasiert, waschen mit einer Shampoohaube, mobiles Waschbecken geht nicht mehr.“ Diese wenigen Sätze hat Sarah Buckel uns geschrieben.

Qualvoller Zustand

Mehrfach haben wir über die Ansbacherin berichtet, die vor ihrer Erkrankung eine lebensfrohe, sportliche junge Frau war, die gern reiste, vielfältige Hobbys hatte und ihren Beruf als Kinderpflegerin liebte. Ihr Zustand ist seit dem letzten FLZ-Artikel noch qualvoller geworden.

Zu der Diagnose ME/CFS (siehe Infokasten) kommen bei Sarah Buckel mehrere Herzdiagnosen sowie das Posturale Orthostatische Tachykardiesyndrom, kurz POTS, infolge von Covid. Bei Menschen mit POTS steigt der Puls stark an, wenn sie nicht liegen, was unter anderem zu Schwindel, Benommenheit, Schwächegefühl, Zuckungen oder Zittern, Schwitzen, Brustschmerzen, Kopfschmerzen, Übelkeit, Lichtempfindlichkeit und Sehstörungen führen kann.

Suche nach Verständnis

Hoffnung hat Sarah Buckel nicht mehr, aber ein großes Anliegen: Sie möchte auf die Krankheit aufmerksam machen. Möchte darauf hinweisen, dass bisher auf diesem Gebiet zu wenig geforscht wird. Dass die Patientinnen und Patienten, die abgeschirmt von allen äußeren Reizen jahrelang im Bett liegen, sich vergessen fühlen. Dass sie in all ihrem Leid immer wieder auf Unverständnis oder sogar Hass stoßen.

Tatsächlich: Verfolgt man im Internet Berichte über Betroffene, zeigt sich an Kommentaren der Leser, dass die Erkrankten vielfach lächerlich gemacht werden. Sie sollten sich nicht so anstellen und einfach mal aufstehen. Oder es wird behauptet, es gebe die Krankheit ME/CFS nicht, sie sei im Zusammenhang mit der „Corona-Lüge“ erfunden worden. Ein Schlag ins Gesicht für die verzweifelten Patientinnen und Patienten.

Leidensweg begann mit Corona-Infektion

Sarah Buckels Leidensweg hat im Januar 2022 nach einer Corona-Infektion mit leichtem Verlauf begonnen. Danach entwickelte sie Long-Covid-Symptome und schließlich ME/CFS in einer sehr schweren Form.

Anfangs waren noch Gespräche der FLZ mit der jungen Frau möglich. Dafür wäre die Belastung mittlerweile zu groß. Sarah Buckel hat uns jedoch Tagebuch-Einträge zur Verfügung gestellt. Diese tippt sie Stück für Stück für sich und auch für Posts im Internet für öffentliche Aufklärung. Aus den Schilderungen der Patientin zitieren wir im Folgenden.

ME/CFS nach Infektionen

Die kaum erforschte Erkrankung

Die Abkürzung ME/CFS steht für das komplexe Krankheitsbild Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom. Dabei handelt es sich um eine schwere neuroimmunologische Erkrankung, die oft zu einem hohen Grad körperlicher Behinderung führt.

  • Häufig beginnt ME/CFS nach einer Infektionskrankheit – etwa nach einer Grippe, dem Epstein-Barr-Virus, mit dem sich 90 Prozent aller Menschen irgendwann infizieren, oder eben nach Covid.
  • „Weltweit sind etwa 17 Millionen Menschen betroffen. In Deutschland wurde die Zahl ME/CFS-Betroffener vor der Covid-19-Pandemie auf etwa 250.000 geschätzt, darunter 40.000 Kinder und Jugendliche“, fasst die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS zusammen.
  • Experten gehen davon aus, dass sich die Zahl der Erkrankten durch Covid-19 verdoppelt hat. Passend hierzu ergibt sich aus den Daten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ein Anstieg der Behandlungsfälle mit ME/CFS auf 620.000 im Jahr 2023.
  • Charakteristisch für ME/CFS ist eine Verstärkung aller Symptome nach geringer körperlicher oder geistiger Anstrengung. Schon kleine Aktivitäten wie Zähneputzen, Duschen, Kochen oder das Gehen weniger Schritte können zur Tortur werden und anschließend zu wochenlanger Bettruhe zwingen.
  • Für Schwerstbetroffene kann eine Verschlimmerung bereits durch das Umdrehen im Bett oder die Anwesenheit einer weiteren Person im Zimmer ausgelöst werden. Sie müssen deshalb oft in abgedunkelten Räumen liegen und können sich nur flüsternd mit Angehörigen verständigen.
  • Laut einer Studie der Aalborg Universität ist „die Lebensqualität von ME/CFS-Erkrankten niedriger als die von Multiple-Sklerose-, Schlaganfall- oder Lungenkrebs-Patienten“, heißt es seitens der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS weiter. „Ein Viertel aller Betroffenen kann das Haus nicht mehr verlassen, viele sind bettlägerig und auf Pflege angewiesen. Schätzungsweise über 60 Prozent sind arbeitsunfähig.“ ME/CFS gehöre zu den letzten schweren Krankheiten, die kaum erforscht sind.

„Stell dir vor, in deinem Körper stecken Messer, und wenn du nur ein Wort redest, etwas hörst, es eine Berührung gibt – bei jeder Kleinigkeit werden die Messer bewegt. Wenn du nicht ruhig bleibst, weil du den Schmerz nicht mehr aushalten kannst und lebensnotwendige Dinge sein müssen, ist der Schmerz irgendwann so heftig, dass du unter Schock mit Adrenalin stehst und ihn teilweise nicht mehr so heftig merkst.

Die Messer bewegen sich aber genauso weiter, wenn du diese Dinge tust. Lässt der Schockzustand mit dem Adrenalin nach, hast du noch mehr Schäden.“

Messer als Symbol für die Symptome

Im Tagebuch heißt es weiter: „Jetzt stell dir noch vor, keiner kann dir diese Messer entfernen oder dir wirksame Medikamente geben und im Krankenhaus würde man dir sagen, da sind überhaupt keine Messer, das ist alles nur in deinem Kopf. Die Messer stehen symbolisch für meine unerträglichen Symptome.

Mein Herz fühlt sich in Ruhe ohne Adrenalin mittlerweile an, wie nur noch minimal versorgt. Es schlägt zu langsam oder, wenn ich versuche, mich aufzurichten, viel zu schnell. Schwindel, Schwitzen, im kompletten Brustkorb ein unbeschreibliches Gefühl. Furchtbare Gehirnschmerzen, extreme Hitze im Kopf, Augendruck, Tinnitus, Dauerrauschen, Dröhnen, Körpertemperatur komplett fehlreguliert, ruhelose Beine, die ich stillhalten muss. Ständig Übelkeit, Erbrechen.“

Adrenalinschübe mit schlimmen Folgen

Die genannten Adrenalinschübe sind ein großes Problem: Bei Patienten mit ME/CFS wird Adrenalin durch den pathologischen Mangel an Energie sehr oft ausgeschüttet, so dass sie eine Zeit lang etwas über ihrem Krankheitsniveau aktiv sein können. Wenn die Schübe nachlassen, sind die Betroffenen als Folge der Überanstrengung für Wochen oder Monate noch kränker als zuvor.

Schon Weinen kann einen solchen Adrenalinschub auslösen. „Für eine gewisse Zeit kann ich dann zumindest etwas sprechen und hören, meine Organe fühlen sich etwas versorgter an. Das darf aber nicht passieren, weil es schadet“, erklärt Sarah Buckel.

Odyssee durch Krankenhäuser

Die Schwerkranke hat auch aufgelistet, welche Odyssee durch Arztpraxen und Krankenhäuser sie hinter sich hat: „Liegendtransporte, Intensivstation, MRTs, Lumbalpunktion, Blutgasanalysen, Langzeit-EKGs. Das Ganze in einem furchtbaren Zustand. Etliche Off-label-Medikamente, Immunadsorption, Sauerstoff, Cortisoninfusionen, Thrombosespritzen, Betablocker, Durchblutungsmedikamente, eine lange Liste an entzündungshemmenden Medikamenten, Medikamente gegen Autoimmunerkrankungen, Nahrungsergänzungsmittel. Immer aus Hoffnung auf Hilfe und Verbesserung.“

Doch nichts half, und neben all dem physischen Schmerz gab es den seelischen. „Ich habe immer furchtbar darunter gelitten, dass mir so oft nicht geglaubt wurde, dass es nicht an meiner Psyche, meinem Antrieb, meinem Willen liegt“, so Sarah Buckel. „Ich möchte, dass die Gesellschaft versteht, dass schwere ME/CFS noch nicht heilbar ist. Es gibt kein einziges zugelassenes, nachweislich wirksames Medikament. Es wird immer noch so vieles psychologisiert. Die ganzen Symptome und wie man qualvoll dahinstirbt, das will keiner wahrhaben.“

Die Forschung muss vorankommen

ME/CFS müsse „sichtbar werden“, schreibt Sarah Buckel. „Die Krankheit muss sichtbar werden, damit die Forschung vorankommt, Medikamente müssen gefunden und entwickelt werden, Versorgungsstrukturen geschaffen werden. Für mich kommt das zu spät, wie schon für so viele, aber warten, ignorieren oder sogar verleugnen bedeutet weiteres Leid, weitere verlorene Leben und immer mehr, die ME/CFS zum Opfer fallen. Ich möchte, dass sich endlich was tut, wenn auch nicht mehr für mich.“

Sarah Buckel bittet die Menschen, sich über die Krankheit weiter zu informieren, zum Beispiel mit der Arte-Doku „Chronisch krank, chronisch ignoriert“, und für die Forschung zu spenden, etwa bei der gemeinnützigen MECFS Research Foundation in Hamburg, oder der WE&ME Stiftung mit Sitz in Österreich.

Update der Redaktion: Sarah Buckel ist Anfang Juli 2025 verstorben.


Lara Hausleitner
Lara Hausleitner
Redakteurin für Lokales und Kultur - und Reisende aus Leidenschaft.

"I have never written a word that did not come from my heart. I never shall."
Nellie Bly
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