Es gibt nur noch wenige Überlebende des Holocaust. Die gebürtige Dinkelsbühlerin Sigrid Strauss – ihr Mädchenname lautet Ansbacher – ist eine davon. Schülerinnen und Schüler der Ethik-Klassen am Gymnasium Feuchtwangen machten mit ihrer Lehrerin Dr. Barbara Haas die heute 95-Jährige nun in New York ausfindig.
Es sei ihnen ein wichtiges Anliegen, dass „Ihr persönliches Leid, in dem sich das Leid von sechs Millionen Shoa-Opfern im Dritten Reich widerspiegelt, nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, und dass die Leser Ihrer Leidens-Chronik immer wieder aufs Neue wachgerüttelt werden, dass so etwas nie wieder geschehen darf“, schrieben die jungen Leute der Überlebenden per E-Mail.
Das Gymnasium sowie die Ethikschülerinnen und -schüler hatten sich an dem diesjährigen Holocaust-Gedenk-Wettbewerb der Adenauer-Stiftung beteiligt und in Berlin den Siegerpreis für ihr Online-Projekt „Verwehrte Steine, Ihr seid nicht vergessen“ erhalten. In ihrer Petition werben sie für die Errichtung eines Gedenksteins in Schopfloch.
Jetzt stellten sie ihre Arbeit, die noch in diesem Jahr als Buch veröffentlicht werden soll, beim Vortragsabend des Evangelischen Forums Westmittelfranken in Feuchtwangen vor. Insbesondere das Video-Interview mit Sigrid Strauss berührte die Anwesenden sichtlich.
Die Idee zu den Nachforschungen über das Schicksal der Schopflocher Juden war im Ethik-Unterricht von Dr. Barbara Haas entstanden und dann auf wissenschaftlicher Basis ausgearbeitet worden. Ein Ziel war es, so die Pädagogin, die antisemitistische Gesetzgebung der Nazis zu erforschen und ihre Auswirkungen auf die Jüdinnen und Juden in Schopfloch zu recherchieren. „Um damit diese Menschen aus ihrer Anonymität herauszuholen“, erklärte sie.
Dass man dabei auf Sigrid Strauss gestoßen ist, sei eine Fügung, denn mit ihr konnte eine Zeitzeugin befragt werden, die fünf Konzentrationslager, ein Ghetto und den Todesmarsch überlebt hat. Ihre Erzählungen machten die jungen Forschenden sprachlos, wie es hieß.
Sigrid Strauss kam laut der Recherche am 2. April 1928 in Dinkelsbühl in der Segringer Straße 9 als Tochter von Ludwig und Selma Ansbacher auf die Welt. Der Vater betrieb seit 1921 am Altrathausplatz ein Stoffgeschäft. Mit dem 1935 eingetretenen „Reichsbürgergesetz“ und dem „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ begann der Leidensweg der Familie mit Schopflocher Wurzeln.
Der Antisemitismus in Dinkelsbühler wuchs demnach schnell an, so dass die Familie 1937 nach Frankfurt umsiedelte. Der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 entging sie, jedoch wurde der Vater tags darauf mit weiteren 10.000 Juden durch die SS in das KZ Buchenwald gebracht. Den älteren Sohn konnten die Eltern nach Australien emigrieren. Der Versuch, die übrige Familie nach Amerika zu bekommen, scheiterte jedoch mit dem Beginn des Krieges.
Informationen über die weiteren Ereignisse hatte Sigrid Strauss 2005 in einem Interview gegeben. Dieses erhielten die Gymnasiasten für ihre Recherchen. Bruder Heinz wurde demnach im KZ Majdanek im Alter von 16 Jahren ermordet. Die Eltern und Sigrid wurden im September 1942 nach Theresienstadt deportiert. Zwei Jahre später wurde sie alleine in das KZ nach Auschwitz gebracht. „Ich war damals 16 Jahre alt“, sagte die heute 95-Jährige.
Die Schilderungen über das Leben im KZ, die Schikanen im Arbeitslager und insbesondere über den achttägigen Todesmarsch zum KZ Groß-Rosen und den folgenden Transport nach Mauthausen in Österreich machten die Zuhörenden fassungslos.
Die Erlösung kam am 15. April 1945 durch die Befreiung des KZ Bergen-Belsen, in das die Menschen aus Mauthausen in Vieh-Waggons transportiert worden waren. Die Engländer kamen für Strauss gerade noch rechtzeitig. „Ich wog damals noch 32 Kilogramm, sah aus wie ein Gerippe und hätte nur noch wenige Tage gelebt“, sagt sie heute. Ihre Eltern hatten Theresienstadt überlebt und waren im Dezember 1946 nach New York ausgewandert. Dort gab es schließlich auch das Wiedersehen.