Die Augustana-Hochschule bietet seit 75 Jahren ein besonderes Theologie-Studium | FLZ.de

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Veröffentlicht am 02.12.2022 12:23

Die Augustana-Hochschule bietet seit 75 Jahren ein besonderes Theologie-Studium

Stefanie Nägele ist von der Bibliothek der Augustana-Hochschule begeistert. Derzeit lernt die 24-Jährige dort fürs Examen.  (Foto: Kristina Schmidl)
Stefanie Nägele ist von der Bibliothek der Augustana-Hochschule begeistert. Derzeit lernt die 24-Jährige dort fürs Examen. (Foto: Kristina Schmidl)
Stefanie Nägele ist von der Bibliothek der Augustana-Hochschule begeistert. Derzeit lernt die 24-Jährige dort fürs Examen. (Foto: Kristina Schmidl)

Das 75-jährige Bestehen der Augustana-Hochschule wird mit einem Festwochenende begangen. Doch wie studiert es sich in Neuendettelsau? Paul Geißendörfer aus Heilsbronn erinnert sich an sein Studium in den 1950er-Jahren. Stefanie Nägele erzählt, wie sie den aktuellen Studienalltag erlebt.

Die Neuendettelsauer Augustana-Hochschule sei „ein ganz besonderer Ort“, da sind sich Paul Geißendörfer und Stefanie Nägele einig. Die 24-Jährige aus Marktoberdorf im Allgäu will Pfarrerin werden und ist mit 18 zum Theologiestudium nach Neuendettelsau gekommen. Der Campus mit teilweise schönen alten Gebäuden und Bäumen sei traumhaft, findet sie. Auf Anhieb habe sie sich dort wohlgefühlt. Sie habe alles, was sie brauche: Freunde, eine Mensa und eine wunderbare Bibliothek, die für die Studenten sieben Tage die Woche rund um die Uhr geöffnet hat. Praktisch, dass Stefanie Nägele direkt über der Bibliothek wohnt. „So kann ich mir in Hausschuhen sogar nachts Bücher holen.“

Auch das Freizeitangebot sei enorm. Die Studierendenvertretung organisiere jedes Jahr einen Ball, es gebe regelmäßig Inklusions-Bars, Politikabende, eine PianoLesArt-Bar, Gottesdienste, Andachten und sportliche Aktivitäten. Auch im studentisch organisierten Eine-Welt-Laden könne man sich einbringen. Da die Hochschule recht klein sei, sei es überhaupt nicht schwer, Anschluss zu finden, sagt die junge Frau.

In drei Semestern drei Sprachen gelernt

Begeistert ist Stefanie Nägele von den effizienten Sprachkursen an der Augustana. Sie hat in drei Semestern drei Sprachen gelernt: Latein, Griechisch und Hebräisch. Nach dem Grundstudium hat sie in Heidelberg und Tansania studiert. Das Auslandsjahr sei eine „super Erfahrung“ gewesen, schwärmt sie. Die Landschaft in Tansania sei unglaublich reizvoll, die Menschen habe sie als sehr warmherzig erlebt. Der Aufenthalt in Ostafrika habe ihr einen theologischen Blick für andere Denkweisen eröffnet. Tansania sei die zweitgrößte lutherische Kirche der Welt. Vieles sei durch die deutschen Kolonialherren von früher geprägt. „Es gibt viele deutsche Einflüsse dort, die die Menschen aber auf spannende Art und Weise mit den Traditionen ihres Landes verbinden.“

Zur Vorbereitung aufs Examen im Mai ist die 24-Jährige wieder an die Augustana-Hochschule zurückgekehrt. Schließlich studiert auch ihr Freund dort, den sie vor sechs Jahren in Neuendettelsau kennengelernt hat. Er hat den gleichen Berufswunsch wie sie und teilt ihre Begeisterung für Theologie. „Dieses Studienfach ist unheimlich vielseitig“, findet die junge Frau. „Man kann in Philosophie eintauchen, in Musik, Geschichte oder Psychologie. Es wird nie langweilig.“ Sie habe sich mit ihrer Studienwahl und in Neuendettelsau nie fehl am Platz gefühlt.

Eine neue Welt tat sich auf

Auch Paul Geißendörfer denkt gerne an seine Studienzeit in Neuendettelsau zurück. Der 87-Jährige lebt in Heilsbronn, wo er von 1981 bis zu seinem Ruhestand 1998 Pfarrer war. Er schrieb sich 1954, sieben Jahre nach ihrer Gründung, an der Augustana-Hochschule ein. Damals war er 19. Dass ihm seine Eltern die Möglichkeit gegeben haben, das Abitur zu machen und Theologie zu studieren, habe er Friedrich Schonauer zu verdanken, der in den 1940er Jahren Pfarrer in Ergersheim war, wo Geißendörfer aufgewachsen ist. Seine Eltern hatten dort einen Bauernhof. Und für Kinder aus einer Landwirtschaft sei es nicht üblich gewesen, die Oberschule zu besuchen. Doch Pfarrer Schonauer habe seinen Eltern gesagt, ihr Junge würde sicher einen guten Pfarrer abgeben. Somit durfte Geißendörfer in Neuendettelsau studieren. Frauen gab es damals an der Hochschule noch nicht. Weder in der Lehre noch unter den Studierenden.

Als Dorfkind habe sich ihm an der Hochschule eine neue Welt erschlossen, erzählt der 87-Jährige. Er traf auf Studenten aus ganz Deutschland, aber auch aus Rom, der Schweiz, England und Amerika. „Das war damals doch schon recht weitsichtig.“

Er hat in Neuendettelsau Freundschaften geschlossen, die bis heute gehalten haben. Eine schöne Gemeinschaft habe er dort erleben dürfen. „Untergebracht waren wir in Viererzimmern in der Heckenstraße 8, wo auch Rektor Georg Merz, der die Hochschule gegründet hat, sein Büro hatte.“ Er und seine Zimmergenossen hätten immer mit Merz zu Mittag und zu Abend gegessen, erzählt Geißendörfer. „Als 19-jährige Studentlein haben wir aber noch gar nicht begriffen, mit was für einer Persönlichkeit wir da zusammenlebten.“ Schließlich habe Merz über 100 Aufsätze veröffentlicht und zusammen mit seinem Freund Karl Barth aus Basel die Theologie nach dem Ersten Weltkrieg nicht nur beleuchtet, sondern teils sogar revolutioniert. Unter anderem durch eine Zeitschrift namens „Zeitenwende“, die die beiden damals miteinander herausgegeben hätten.

Gut gerüstet für den Beruf als Pfarrer

Geißendörfer erinnert sich an Merz als einen großen, stattlichen, zuletzt aber gesundheitlich angeschlagenen Mann, der jeden Studenten danach gefragt habe, was ihn dazu bewogen habe, Theologie zu studieren. Seine Vorlesungen seien faszinierend gewesen – insbesondere die über Kirchengeschichte. Merz habe grundsätzlich ohne Konzept und völlig frei gesprochen.

Er habe einen großen Einfluss auf die Theologiestudenten gehabt. „Jeder von uns sollte einmal in der Woche ein Zimmer in einem Alten- oder Behindertenheim besuchen und mit den Bewohnern sprechen.“ Denn Merz habe die Diakonie als eine wichtige Aufgabe der Gesamtkirche gesehen, genau wie die Mission und die Liturgie. „Wir haben ihn alle sehr gemocht“, sagt der 87-Jährige.

Durch Merz und den Studienbetrieb in Neuendettelsau habe er gutes Rüstzeug für sein späteres Leben mit auf den Weg bekommen. „Ich bin in meinem Beruf sehr glücklich gewesen“, sagt Geißendörfer. Sein Vikariat hat er in Neu-Ulm absolviert, dann war er Pfarrer in Obbach, Landjugendpfarrer in Pappenheim und zuletzt Pfarrer in Heilsbronn, wo er mit seiner Frau bis heute wohnt.

In seinem Arbeitszimmer blättert er manchmal in Fotoalben mit Bildern aus seiner Studienzeit in Neuendettelsau und denkt darüber nach, wie sich die Kirche in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat. Er glaubt, dass sie durch Krisen, Corona und Krieg einen positiven Wandel erlebt hat. Auch die Augustana-Hochschule habe sich gewandelt. „Sie ist mit dem Fortschritt gegangen. Dass es in Neuendettelsau einmal eine Professur für Feministische Theologie geben würde, daran hätte zu meiner Studienzeit niemand gedacht.“


Kristina Schmidl
Kristina Schmidl
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