Vermehrungsfreudiger Faulpelz - Waschbär ist auf dem Vormarsch | FLZ.de

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Veröffentlicht am 22.11.2022 00:00

Vermehrungsfreudiger Faulpelz - Waschbär ist auf dem Vormarsch

Der Markt Erlbacherin Birgit Kellermann gelang im Tiergarten in Bad Mergentheim dieser Schnappschuss eines Waschbären. Zunehmend ist der Neueinwanderer auch in den hiesigen Wäldern aktiv. (Foto: Birgit Kellermann)
Der Markt Erlbacherin Birgit Kellermann gelang im Tiergarten in Bad Mergentheim dieser Schnappschuss eines Waschbären. Zunehmend ist der Neueinwanderer auch in den hiesigen Wäldern aktiv. (Foto: Birgit Kellermann)
Der Markt Erlbacherin Birgit Kellermann gelang im Tiergarten in Bad Mergentheim dieser Schnappschuss eines Waschbären. Zunehmend ist der Neueinwanderer auch in den hiesigen Wäldern aktiv. (Foto: Birgit Kellermann)

Seit etwa fünf Jahren geht die Zahl der Waschbären im Landkreis Neustadt an der Aisch-Bad Windsheim deutlich nach oben. Darauf deuten zumindest die Zahlen der Jagdbehörde im Landratsamt hin.

Grundlage für diese Aussage sind die Zahlen gefangener und tot aufgefundener Waschbären in den Jagdrevieren. Zwar gab es schon in der Saison 2013/2014 – das Jagdjahr beginnt immer am 1. April – zehn Waschbären, die bei der Behörde verzeichnet wurden, doch diese Zahl sank zwischenzeitlich wieder. 2017/18 lag sie dann wieder bei zehn Tieren und stieg seitdem ununterbrochen an. Im Jagdjahr 2021/22 wurden 73 Tiere registriert.

Wie wirkt sich der Neueinwanderer auf das Ökosystem aus? Aus Sicht von Uwe Friedel, dem Artenschutzexperten beim Bund Naturschutz in Bayern, ist der Waschbär mittlerweile in Deutschland zu Hause. „Der ist nicht mehr wegzubekommen“, ist er überzeugt. Allein durch die Jagd könne man ihm nicht Herr werden, denn seine Fortpflanzungsrate ist hoch.

Mehr Sammler als Jäger

Er ist Allesfresser. Laut Friedel spielt dabei aber pflanzliche Nahrung die größte Rolle. „Er ist mehr Sammler als Jäger.“ Der Einwanderer aus Nordamerika frisst aber auch Wirbellose, Vögel und deren Eier.

In der Gegend bedeutet er damit vor allem für Bodenbrüter, deren Bestand sowieso bei vielen Arten gefährdet ist, eine Bedrohung.

Jäger Klaus Grötsch denkt dabei vor allem an die Rebhühner, die es in seinem Revier in Wallmersbach (bei Uffenheim) noch gibt. Er würde allen seinen Kollegen und Kolleginnen empfehlen, Fallen für den Waschbären und anderes Raubwild aufzustellen. Er selbst bezeichnet sich als „leidenschaftlichen Fallenjäger“. In den vergangenen fünf Jahren, so schätzt er, habe er mindestens 20 der neugierigen Tiere gefangen. Vor zehn Jahren dagegen, als ihm der erste in die Falle ging – vermutlich einer der ersten im Landkreis überhaupt –, habe er den noch präparieren lassen, weil er dachte, es bleibe der einzige. Darüber kann er heute nur lachen.

Auch für den Feldhasen im Revier hält er die Bekämpfung des Waschbären für sinnvoll. Als Fremdkörper in der hiesigen Flur darf man ihn das ganze Jahr über jagen. In freier Wildbahn hat Grötsch aber bisher noch nie eins der nachtaktiven Tiere angetroffen.

Dass im Bereich Uffenheim am meisten Erfahrungen mit Waschbären vorliegen, ist kein Zufall. Denn die bayernweit bei weitem größte Population der possierlich anzusehenden Tiere lebt im angrenzenden Unterfranken. Die Vorsitzende des Uffenheimer Jägervereins, Elfi Sappa, hat bei ihren Revierleitern herumgefragt und überall Rückmeldungen bekommen: Der Waschbär ist da und wurde verschiedentlich von Wildkameras aufgenommen.

Während in vielen Revieren aber noch kein Tier erlegt wurde, sieht das in der Hegegemeinschaft III Uffenheim anders aus: 16, 20 und 22 Waschbären lauten die ansteigenden Zahlen der vergangenen drei Jagdjahre, also fast ein Drittel der gesamten Zahl im Landkreis.

Walter Billmann aus Neustadt dagegen hat zwar ein Tier im Revier, sieht aber keinen großen Handlungsdruck. Bei ihm hat sich allerdings schon eine Frau aus Emskirchen gemeldet, die im eigenen Garten nach Billmanns Einschätzung eindeutig Spuren des Allesfressers gefunden hat. Als besonders scheu gilt der vierbeinige Geselle nicht. Gerne macht er sich, wie auch in Emskirchen, an den Biotonnen zu schaffen.

Einfluss auf Greifvögelbestände

Beim Bund Naturschutz sieht man generell keinen Grund zu großer Aufregung: „Unsere heimische Natur kommt mit dem Waschbär ganz gut zurecht.“ Das habe eine große Untersuchung im Müritznationalpark ergeben, sagt Artenschutzexperte Friedel. Die europäische Sumpfschildkröte sei die einzige Tierart, für die der Waschbär tatsächlich der letzte Grund sein könnte, der ihr Aussterben besiegelt.

„Aber wenn eine Art ausstirbt, liegt es meist nicht am Waschbären, sondern daran, dass sich die Lebensbedingungen allgemein so verändert haben, dass die Tierart keine guten Chancen mehr hat.“ Betrachtet man den Landkreis, dann wäre neben den Bodenbrütern die Gelbbauchunke so ein Tier, das unter dem Waschbären leidet. Aber genauso oder noch viel mehr unter der Trockenheit, die Pfützen und wassergefüllte Fahrspuren im Wald – den Lebensraum der Unke – zur Seltenheit werden lassen.

Das sieht der Offenlandartenexperte Werner Kuhn etwas anders, und zwar – wie er betont – nicht wegen der Konkurrenz zum Jäger, sondern ebenfalls aus Naturschutzgründen. „Dass er junge Hasen frisst, ist da noch das kleinste Problem.“ Für Singvögel, nicht nur Bodenbrüter, sei der Bär eine Gefahr, denn auch Nester und Höhlen sind vor „dem kleinen Multitalent“ und guten Kletterer nicht sicher. Studien aus anderen Orten belegten zum Beispiel, dass er selbst auf Greifvögelbestände, zum Beispiel den Rotmilan, Einfluss hat.

Auch für Amphibien schlägt Kuhn Alarm. Denn das possierliche Tier setze – wie bei den Biotonnen – auf eine bequeme Nahrungsbeschaffung, zum Beispiel direkt am Krötenzaun.

Kuhns Überzeugung: „Wir haben der Natur schon so ins Handwerk gepfuscht, dass wir sie jetzt nicht mehr sich selbst überlassen können. Die Kulturlandschaft erfordert für den reproduktionsfreudigen Einwanderer ohne natürliche Feinde eine Regulierung durch den Menschen.“


Ulli Ganter
Ulli Ganter
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