#MS9, #PK10 und MD7: Mit der SpVgg Ansbach auf Auswärtsfahrt | FLZ.de

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Veröffentlicht am 08.06.2022 21:40

#MS9, #PK10 und MD7: Mit der SpVgg Ansbach auf Auswärtsfahrt

Pause an der Autobahn.  (Foto: Alexander Keck)
Pause an der Autobahn. (Foto: Alexander Keck)
Pause an der Autobahn. (Foto: Alexander Keck)

Die Idee: Einmal mitfahren mit den Fußballern der SpVgg Ansbach, eine Bildungsreise in Sache Bayernliga-Auswärtsspiele. Die Wahl fällt auf Hof. Treffpunkt 13.15 Uhr, Abfahrt 13.30 Uhr. Pünktlich! Als der Bus den Xaver-Bertsch-Sportpark an diesem Mittwoch verlässt, sind jedoch die meisten Sitze leer.

Um jetzt eine komplette Mannschaft zu bilden, müssten der Busfahrer und der Reporter mit auflaufen, was der Truppe im Falle des Reporters eher nicht zu wünschen wäre. Ganz wie sonst im Liniendienst seine Schüler sammelt Fahrer Thomas Friedel nun die SpVgg-Truppe ein. An der Auffahrt zur A6 bei Lichtenau steigt ein Teil zu, der Rest in Schwabach. Dann wird es kuschelig im Bus.

Soziologen haben herausgefunden, dass Frauen, junge zumal, in gut besetzten Bussen und Zügen die besten Chancen haben, einen Platz angeboten zu bekommen. Die Gefahr, dass Frauen ihren Sitznachbarn zutexten oder mit unangenehmen Ausdünstungen belästigen ist halt viel geringer.
Mit der Frauenquote in diesem Bus ist es gerade nicht so weit her, aber einerseits kennt man sich ja und ganz offenbar sind weder übertriebenes Mitteilungsbedürfnis noch mangelnde Körperpflege ein Problem.

Der Bus ist ein 32-Sitzer mit etwa 200 PS. Stolz sind die Ansbacher auf die aufwendige Beklebung. Über und über ist das Fahrzeug mit SpVgg-Symbolen und Sponsorenlogos beklebt. Innen wie außen wird auf den ersten Blick klar, wer hier unterwegs ist.
War eine Heidenarbeit, das mit den Folien. An der Heckscheibe außen, wissen Eingeweihte, werden die Torjäger verewigt. Aber nur die, die eine zweistellige Trefferausbeute erreichen. #MS9 und #PK10 stehen für Michael Sperr (elf Saisontore) und Patrick Kroiß (26), klar so weit. Daneben steht noch MD7. Wer soll das sein? „Das ist die Typbezeichnung für den Bus“, lacht Friedel, souverän am Steuer und kommunikativ, fraglos der richtige Mann am richtigen Platz.
Auch Friedel trägt ein Hemd mit SpVgg-Logo und als alle beisammen sind macht er noch auf der A6 eine Ansage durchs Mikrofon bezüglich Fahrtstrecke, Temperatur und Stand der Kaffeezubereitung. Höfliches Klatschen.

Für jemand, der zu jung ist, um sich bei Kaffeefahrten Heizdecken andrehen zu lassen und schon eine ganze Weile lang alt genug, um das Steuer bei Reisen selbst in der Hand zu halten, ist so eine Busfahrt in der Gruppe eine exotische Erfahrung. Da werden Erinnerungen an Klassenfahrten wach, an Streber, die immer vorne rechts saßen, nah beim Klassenlehrer, den Klassenkasper, dem im Bus nicht zu entkommen war und den Lümmeln auf der letzten Bank.

Rundblick im SpVgg-Bus, während Friedel geschickt durch den ewigen Stau am Autobahnkreuz Ost laviert: Auf dem Streberplatz sitzt Stefan Dehm, die Lümmelbank belegen unter anderem Bastian Herzner, Tom Abadjiew, Sven Landshuter und der Klassenkasper muss sich noch herausstellen. Es drängt sich aber während des gut elfstündigen Trips keiner auf und auch pubertäre Lümmel sind nicht an Bord. Es geht stets höflich und gesittet zu mit Bitte und Danke, wie es sich gehört.

Ob Teammanager Dehm einst ein Streber war, weiß man nicht. An diesem Mittwoch ist er Chef de Mission, zuständig für Abläufe und Ausrüstung. Er ist – abgesehen vom Fahrer – der Erste und Letzte im Bus.

200 Kilometer sind es nach Hof, weit für die Bayernliga Nord, im globalen Maßstab ein Klacks. Wenn in Russland Luch-Energija Wladiwostok und Baltika Kaliningrad gegeneinander spielen, sind 10 300 Kilometer zu überwinden. War Hof früher nicht Zonenrandgebiet und damit schon fast ein bisschen Sowjetreich?

Der Diesel schnurrt die A9 hinauf, es wird geredet, geschlafen und viel am Handy gedaddelt. Auf dem blauen Autobahnschild draußen ist schon Bayreuth angeschrieben. Zeit für eine Pause.
Zwischen all den 40-Tonnern auf dem Parkplatz Sophienberg wirkt der SpVgg-Bus zierlich. „Alle raus“, sagt Trainer Christoph Hasselmeier. Draußen versammelt er das Team zu einer kurzen Ansprache. Ab jetzt aufs Spiel fokussieren bitte, Spannung aufbauen.

Dann drückt Friedel wieder den Anlasser für die letzten Etappe. Kurz vor Hof beginnt es zu regnen, graue Wolken am Horizont, in der Ferne ein Blitz. Friedel rührt am Schaltknüppel, das letzte Stück ist Bundesstraße.
Der Bus, ihr Bus, ist für die SpVgg Ansbach nicht nur Transportmittel, sondern Schutz- und Gemeinschaftsraum. Co-Trainer Michael Griebel hatte mal eine Mannschaft, da saß er bei Auswärtsfahrten selbst am Steuer, die Mannschaft verteilt auf mehrere Fahrzeuge. War nicht so die optimale Vorbereitung.

„Gemeinsam im Bus ist es viel besser“, findet Hasselmeier, der Einfluss aufs Team ist direkter, es gibt die Möglichkeit zu arbeiten. Er und Griebel, der seine Notizen zu den Standardsituationen ausgepackt hat, stecken die Köpfe zusammen. Die wohl wichtigste Frage jetzt: Soll Topstürmer Kroiß, der sich trotz Verletzung kurzfristig spielfähig gemeldet hat, in die Startelf eingebaut werden. Das Trainerteam kommt überein, den ohne Kroiß gefassten Plan nicht umzuschmeißen. Der Stürmer sitzt zunächst auf der Bank.

Auf Grand Tour gingen früher Adelige. Die große Reise, meist in historisch bedeutende Städte, gehörte zur Bildung, war Abschluss der Erziehung in gutem Hause. So eine Saison ist auch eine Grand Tour in Sachen Fußball und wäre im Falle der Meisterschaft der Endpunkt einer Entwicklung, die Hasselmeier schon einige Zeit vorantreibt. Der Reiseleiter Hasselmeier ist ganz im Sinne von Hans Magnus Enzensbergers Theorie des Tourismus „ein Transportführer, dessen Autorität die Kolonne gleichermaßen fürchtet und ersehnt“. Der Aufstieg in die Regionalliga ist sein Bildungsziel für diese Ansbacher Mannschaft. Hof ist die viertletzte Station dieser Reise. Hof hat schon einmal eine wichtige Rolle gespielt bei einem Aufstieg der SpVgg Ansbach.

Ansbach wurde im Mai 2001 vorzeitig Bayernligameister, weil die SpVgg Bayern Hof 2:1 bei den Amateuren des 1. FC Nürnberg gewann. Ansbach ließ damals nicht nur die Club-Amateure, sondern auch Vereine wie den FC Augsburg, MTV Ingolstadt und FC Memmingen hinter sich und war ein Jahr lang Mitglied der Regionalliga, damals die dritte Liga.

Wenn es heuer mit dem Aufstieg klappt, ist Ansbach wieder Regionalligist. Diesmal allerdings nur Viertligist, immerhin Mitglied im Club der besten bayerischen Amateurvereine. Da gehören die nullneuner ihrem Selbstverständnis nach hin.
Natürlich wird auch über die Regionalliga geredet, auf wen man in der Relegation treffen könnte (SC Eltersdorf oder FC Memmingen) und wo überhaupt liegt Buchbach? In diesem Dorf im Landkreis Mühldorf am Inn haben die Ansbacher schon mal gespielt. Ist noch mal 50 Kilometer weiter weg als Hof und auf der Anfahrt sieht man die Jets am Münchner Flughafen starten und landen.

Gut eineinhalb Stunden vor Spielbeginn rollt der Bus vor das Stadion Grüne Au, seit 1913 wird dort Fußball gespielt. Die steile Sitztribüne, die bemoosten Steine der Stehtribüne, das Adjektiv altehrwürdig ist für dieses Stadion erfunden worden. Noch ist das 8000 Zuschauer fassende Stadion leer. „Auf geht’s Männer“, ruft Hasselmeier. Im Regen werden Sporttaschen aus dem Bus geklaubt.

Beim Spiel sind die Ansbacher nicht allein. Ihr Fanclub, ja auch der, ist an einem Mittwochnachmittag nach Hof gefahren, rollt sein Banner aus, darf zwei Tore und einen Sieg mit der Mannschaft feiern. So eine weite Auswärtsfahrt unter der Woche ist für Amateure ja auch ein organisatorisches Problem. Dafür müssen Termine im Büro verschoben oder Urlaubstage beantragt werden. Torhüter Heiko Schiefer hat es heute nicht geschafft. Deshalb steht Has-selmeier als Ersatztorhüter auf dem Spielberichtsbogen.

Erstaunlich schnell nach dem Spiel schart sich die Truppe wieder um den Bus. Auf dem nachtdunklen Stadionparkplatz wirkt es so, als würde die Innenbeleuchtung die Passagiere anziehen wie Straßenlaternen Insekten. Die Helden wollen heim.

Man war gewarnt worden vor dieser Reise, vor allem vor der Rückfahrt. Im Falle eines Sieges nämlich werde an jeder Tankstelle gehalten werden müssen, um kaltes Bier nachzuladen und an jedem Parkplatz dazwischen, um es wieder loszuwerden. So hieß es. Auch eine Verlängerung der Feierlichkeiten in einer Disco am Zielort seit nicht gänzlich auszuschließen, was die Einsatzfähigkeit am folgenden Tag erheblich beeinträchtigen könne. Aber so ist es mitnichten.

Erst einmal müssen die leeren Kohlenhydratspeicher aufgefüllt werden. Friedel kurbelt auf einen von einem großen goldenen M erleuchteten Parkplatz. Wenig später kehren viele junge Männer in SpVgg-Trainingsanzügen aus dem Schnellrestaurant mit großen Tüten voller Burger zurück.

Wie war das eigentlich früher beim FC Bayern München auf Auswärtsfahrten? „Auf der Heimfahrt immer zum Mac“, erinnert sich Hasselmeier an seine Zeit als Jugendspieler beim Dauermeister. Mit dem anderen Münchner Verein war einst Eric Weeger während seiner Profijahre unterwegs. Der Bus von 1860 war größer, hatte höhenverstellbare Tische, an denen Karten gespielt wurde. Poker um doch ganz ordentliche Summen oder auch Uno, wobei der Verlierer einen Klaps auf den Hinterkopf bekam. So erzählt es Weeger.

Runtergespült werden die Burger mit Bier, das in überschaubarer Menge auf der Hinfahrt schon im Bus gebunkert war. Zurück auf der A9 kehrt schon bei Münchberg Schläfrigkeit ein, das Champions-League-Halbfinale zwischen Madrid und Manchester City zieht Aufmerksamkeit auf sich. Keine Siegesfeier auf Rädern, kein Partybus. Klar eigentlich: Für viele geht es in ein paar Stunden ja schon wieder zur Arbeit. An einem Samstag wäre es vielleicht anders.

Halt in Schwabach, Halt in Lichtenau, Danke, macht's gut, bis morgen Männer, der Bus leert sich. Gegen Mitternacht ist der Xaver-Bertsch-Sportpark erreicht. Dehm wuchtet eine Kiste mit Ausrüstung aus dem Bus. Mission erfüllt. Für heute.

In 60 Stunden schon geht es weiter. Dann zum Auswärtsspiel nach Würzburg. Die Grand Tour ist noch nicht zu Ende.

Alexander Keck

Dieser Artikel wurde am 7. Mai 2022 erstmals in der FLZ veröffentlicht.

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