Altbundespräsident Joachim Gauck hat zum Einsatz für die liberale Demokratie in dieser krisenhaften Zeit aufgerufen. „Unsere liberale Demokratie muss allein schon deshalb verteidigt werden, weil uns bis jetzt kein überzeugendes alternatives Modell zur Verfügung steht“, schrieb Gauck in einem Vorwort zur aktualisierten Neuausgabe seiner Erinnerungen. „Mag sie auch nicht frei von Mängeln sein, so bleibt die Demokratie doch die beste Regierungsform, die wir kennen, und weltweit Zufluchts- und Sehnsuchtsziel der Unterdrückten.“
Gaucks Erinnerungen mit dem Titel „Winter im Sommer - Frühling im Herbst“ waren 2017 erstmals erschienen. In der am Mittwoch veröffentlichten Neuausgabe räumt Gauck ein, dass sich sein „Geschichtsoptimismus von einst“ stark relativiert habe. „Jedenfalls ist mit der verstörenden Drift nach rechtsaußen und zu den islamistischen Strömungen die Gewissheit verloren gegangen, dass unsere liberale Demokratie durchgängig stabil und unverwüstlich ist.“
Weder schützten uns Verfassungen automatisch davor, dass autoritäre Politiker an die Macht kämen, noch könnten Verfassungen eine Aushöhlung der demokratischen Prinzipien letztlich verhindern. „Aber statt über die zweifellos vorhandenen Gefahren zu klagen und der Entwicklung tatenlos zuzusehen, möchte ich dazu aufrufen, die Kräfte zu mobilisieren und nach Lösungen zu suchen“, schrieb Gauck weiter. Geschehen soll dies „nicht durch Rückfall in autoritäre Denkmuster und Strukturen aus angeblich verlorenen goldenen Zeiten, sondern mit politisch-praktischen Innovationen, die den neuen Gegebenheiten Rechnung tragen“.
„Ich wünschte, die jungen Menschen und diejenigen, die nie in Unfreiheit leben mussten, könnten eine liberale Demokratie neu oder wieder zu ihrer inneren Überzeugung machen“, so Gauck. „Denn wir, die Bürger, sind es doch, die die Freiheit entweder verspielen oder verteidigen und bewahren.“
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