„Blaue Bäume“. Wie bitte? Da sagte einem die Bühnendekoration mit dem in tiefblauen Tönen gehaltenen abstrakten Gemälde der Dinkelsbühler Künstlerin Sabine Nollek anfänglich mehr. Der Titel der Komposition für zwei Gitarren ließ auf jeden Fall viel Spielraum für gespannte Erwartung.
Der Theater- und Kulturring der Stadt Dinkelsbühl hatte zum Saisonabschluss zwei Jazzgitarristen zum Gitarrentreff in den Spitalhof gebeten und sicherte sich schon durch diese Einladung das Publikumsinteresse. Der mehrfach ausgezeichnete und zur jungen, aufstrebenden Generation deutscher Jazzmusiker gehörende Philipp Schiepek stammt nämlich aus Dinkelsbühl und hat das Stück komponiert.
Sein Kompagnon Ronny Graupe aus Berlin, Gewinner des Deutschen Jazzpreises für Gitarre 2021, kam geradewegs aus Burghausen angereist. Dort trifft sich aktuell anlässlich der Internationalen Jazzwoche alles, was Rang und Namen in der Szene hat. Und Philipp Schiepek durfte sich als Mitglied des Nils Kugelmann Trios vergangene Woche über die Auszeichnung mit dem renommierten Burghausener Jazz-Nachwuchspreis 2023 freuen. Nicht nur in Dinkelsbühl war ihm das Publikumsinteresse sicher.
Am Samstagabend empfahl er sich als Komponist. Seine „Blauen Bäume“ eigens für das Duo mit Ronny Graupe komponiert leitete er so ein: „Als Ganzes geschlossen, aber in sich zerfließend. Die kahlen Äste verwebt mit dem schimmernden Grau des Abendhimmels. So stehen sie auf der weiten, blassen Wiese: sieben Bäume. Alle im gleichen Abstand zueinander. Als Einheit, die keine Lücke zulässt. Die Farben verschwimmen. Wie oft stand ich schon hier und habe auf sie geblickt“.
Als fließende Suite für zwei halbakustische Gitarren, gelassen entwickelt und ausgebreitet, ist diese Komposition eine Liebeserklärung an die Gitarre. Sie schweift in Töne und Geräusche, sucht Überraschungen in feinen Nuancen, tupft Klänge in den Nachhall, öffnet Räume und will nie demonstrativ anders sein.
Eine wache Klangerfahrung für die vielen begeisterten Zuhörer, die hier ganz auf ihre Kosten kamen. Ungewöhnliche Soundeffekte, spröd gezupfte Modern-Bop-Töne, federnde Bossa-Rhythmen, meditative Glissandi und zartes langanhaltendes Tremolo wechselten zu hartem Vibrato und kreierten so eine Atmosphäre eigener Art. Das war keine Musik, die man im Hintergrund laufen lassen kann, es war vielmehr ein Eintauchen in einen manchmal heiteren und manchmal wild abstrakten Klangkosmos. Zwischen den beiden herrschte nie eine vordergründige Harmonie, sondern ein permanent wechselnder, anregender Dialog.
Eine sympathische Ergänzung des Programms: Ronny Graupe zeigte auch seine kompositorischen Qualitäten. In den aneinandergekoppelten Stücken „Auf Tauris“, „Latarnik“, „Pedestrian Crossing“ und „Vorbei“ spielte er hervorragend das Ausdrucksspektrum seiner siebensaitigen Gitarre aus.
Mit der Zugabe aus Philipp Schiepeks neuester Komposition „Versuch zu träumen“ schloss sich der Kreis. Die beiden bejubelten Top-Gitarristen zeigten noch einmal, was in ihnen steckt und gaben der phantasievollen Eigenkomposition den richtigen Farbenreichtum. Es war wieder eine Nuance von Blau. Das Stück heißt: „Wasser“.