Rasch gleitet der Pinsel über das Papier. Noch etwas Ocker und Braun dazu und schon zeigen sich auf der Staffelei hochgereckte Felsformationen. Von der Bastei im Elbsandsteingebirge haben die Hobbymaler einen unverstellten Blick auf die charakteristische Felsenlandschaft. In geheimnisvoller Stimmung hat sie Caspar David Friedrich (1774–1840) auf seinen Gemälden dargestellt.
Natürlich sehen die Malversuche der Besucher der Sächsischen Schweiz nicht wie die Werke des weltbekannten Künstlers aus, doch das Gespür für die Details dieser unverwechselbaren Landschaft wächst mit jedem Pinselstrich.
„Allerdings hat Caspar David Friedrich nie ein Gemälde mit Farben im Freien angefertigt“, sagt Andrea Molière, eine Malerin, die Malkurse unter freiem Himmel gibt. Ausschließlich Skizzen habe er auf seinen Wanderungen angefertigt. Mit Rucksack und mobiler Staffelei führt Molière ihre Gäste zu den Motiven des geschätzten Meisters der Romantik.
„Bereits im 19. Jahrhundert machten sich Menschen aus den Städten auf, um in der Elblandschaft die authentischen Orte zu besuchen, die Friedrich und seine Malerkollegen inspiriert hatten“, sagt die Historikerin Andrea Bigge. Dank der damals neuen Verkehrsmittel, Zug und Dampfschiff, kamen die Gäste in Scharen. So entstanden an der Elbe Feriendörfer.
Die berühmteste Rückenansicht der Kunstgeschichte
Auch das Dorf Schmilka, das zu Bad Schandau gehört, entfaltete sich zu voller Blüte. Viele der historischen Gebäude samt Mühle, Backstube und Brauerei in dem Ort nahe der tschechischen Grenze sind mittlerweile baubiologisch restauriert und dienen als Unterkünfte mit nachhaltigem Anspruch.
Bei der Fachwerk-Villa Thusnelda setzt die fast 100 Jahre alte Fähre „Lena“ die Wanderer auf dem Caspar-David-Friedrich-Weg über den Fluss. Friedrich nutzte zu seiner Zeit einen Holzkahn. Auf insgesamt 116 Kilometern leitet der sogenannte Malerweg zu Stellen, die der Künstler in seinem Skizzenbuch festhielt. Einige Etappen führen durch den Nationalpark Sächsische Schweiz.
Schon beginnt der steile Ascherstieg. Noch eine Biegung in dem Waldstück beim Tafelberg Kaiserkrone, und da taucht er auf: der markante Felsblock, auf dem Caspar David Friedrich die wohl berühmteste Rückenansicht der Kunstgeschichte platzieren sollte. Im Juni 1813 hatte er diese Sandsteinkuppe, die er später als Postament für den „Wanderer über dem Nebelmeer“ nutzte, fein skizziert.
Immer wieder streifte der Maler durch die wildromantische Landschaft, zuweilen tagelang. 1820 gelangte er zur mittelalterlichen Veste Stolpen und zeichnete deren Coselturm. „Für ihn typisch, hat Friedrich das Bauwerk nicht realitätsgetreu wiedergegeben“, erläutert Burgverwalter Uli Kretzschmar. „Beim Anblick der Gemäuer ging es ihm vielmehr um sein inneres Empfinden.“
Welche Ölgemälde entstanden schließlich aus den Studien? Um in den Staatlichen Kunstsammlungen 14 seiner Gemälde in Augenschein zu nehmen, schippern nostalgische Kunstliebhaber auf betagten Schaufelraddampfern der Sächsischen Dampfschifffahrt vom Elbsandsteingebirge nach Dresden.
Neue Art der Landschaftsmalerei
Ob Friedrichs „Tetschener Altar“ oder „Zwei Männer in Betrachtung des Mondes“ – die Melancholie, zu welcher der sensible Künstler neigte, ist merklich spürbar. „Das Große Gehege“ mit den breitflächigen Pfützen im Vordergrund strahlt dagegen eine atmosphärische Weite aus. „Hier zeigt Friedrich eine neue Art von Landschaftsmalerei“, sagt Holger Birkholz, Konservator am Albertinum. „Da wird die Moderne vorweggenommen.“
Bei der Baumgruppe im Bild, so vermutet man, handelt es sich wohl um die ausgedehnte Lindenallee im Dresdner Stadtteil Pieschen. Wer die vierreihige Allee von 1725 entlangspaziert, kann sich den Hufschlag und das Räderknarren der Kutschen von damals gut vorstellen.
70 originale Zeichnungen, Handschriften und Skizzenbücher von Caspar David Friedrich birgt das Kupferstich-Kabinett in Dresden. Die lichtempfindlichen Schätze lassen erkennen: Friedrich zeichnete Szenen mit einem Raster vor und fügte Studien von verschiedenen Orten zu einer Komposition zusammen.
„Das übliche Kopieren, Kern der damaligen Kunstausbildung, lehnte er als Nachäffen ab“, sagt Konservatorin Petra Kuhlmann-Hodick. Sein Gesetz war des Künstlers Gefühl.
Das passt zum Zitat des Meisters auf dem Caspar-David-Friedrich-Denkmal in der Grünanlage der Brühlschen Terrasse in Dresden: „Der Maler soll nicht bloss malen, was er vor sich sieht, sondern auch, was er in sich sieht, sieht er also nichts in sich, so unterlasse er auch zu malen, was er vor sich sieht.“ Das Edelstahl-Ensemble aus Staffelei, Stuhl und Fenster formt sein karges Atelier „An der Elbe 33“ nach.
Wohnort für 20 Jahre
„20 Jahre hatte er dort gewohnt“, berichtet die Gästeführerin Anett Orzyszek auf ihrer Tour auf den Spuren des Malers der Romantik durch die Dresdner Altstadt. „Das Gebäude wurde leider im Zweiten Weltkrieg zerstört.“
Wohnkultur aus Friedrichs Epoche lässt sich im Dresdner Barockviertel erleben. In dem Haus seines Kollegen Gerhard von Kügelgen (1772–1820) war Caspar David Friedrich häufig zu Besuch. „Der ewig einsame Künstler mit markantem Backenbart hatte durchaus sein Netzwerk“, versichert Romy Donath, die Direktorin des Kügelgenhauses. Der gewaltsame Tod seines Freundes Kügelgen, der ihn mehrfach gemalt hatte, stürzte Friedrich in tiefe Traurigkeit.
Eine melancholische Stimmung verströmt der historische Eliasfriedhof in der Pirnaischen Vorstadt in Dresden. Bei vier der verwitterten Grabmale stammen die Entwürfe von Caspar David Friedrich. Dörthe Schimke vom Förderverein Eliasfriedhof Dresden zeigt seine Grabzeichnung. „Der abgebildete Schmetterling gilt als Symbol der Transformation.“ Oftmals schwingt bei Friedrich eine religiöse Bedeutung mit.
Sein eigenes Grab liegt gleich nebenan auf dem Trinitatisfriedhof. Der Eingang kommt manchem Kunstfreund bekannt vor. Caspar David Friedrich hat die hohe Pforte auf dem Gemälde „Der Friedhof“ verewigt.
Seine letzte Ruhestätte mit der schlichten Grabplatte will gefunden werden. Sie fällt nicht sofort ins Auge – ganz wie es zu einem scheuen Menschen passt, der Friedrich war.
Tipps, Links, Praktisches:
Anreise: Nach Dresden ist man mit dem Auto etwa ab Berlin zweieinhalb Stunden unterwegs, ab München knapp fünf und ab Köln rund sechs Stunden. Als Knotenpunkt im Fernverkehrsnetz der Deutschen Bahn bestehen direkte Zugverbindungen zu vielen anderen Großstädten. Viele der Ortschaften an der Elbe sind von Dresden aus mit dem Schiff zu erreichen, nach Bad Schandau fahren S-Bahnen. Für den ÖPNV gibt es Gästekarten.
Ausstellungen: Ein Überblick über viele der geplanten Sonderausstellungen und Veranstaltungen zum Jubiläum findet sich unter „visit-dresden.travel/caspar-david-friedrich“. Eine Schau im Kügelgenhaus widmet sich vom 8. Juni 2024 bis 16. März 2025 Malerinnen der Dresdner Romantik (www.kügelgenhaus.de). Im Stadtmuseum Pirna heißt die Sonderausstellung „Topographie der Sehnsucht – Auf den Spuren Caspar David Friedrichs“ (1. September bis 3. November 2024; Infos: „https://dpaq.de/ZH4VEt3“). Auch die Burg Stolpen beteiligt sich am Veranstaltungsreigen (www.burg-stolpen.org).
Weitere Sonderausstellungen über Sachsen hinaus finden etwa in der Hamburger Kunsthalle und in der Alten Nationalgalerie in Berlin statt, ebenso wie 2025 in New York.
Weitere Auskünfte: www.sachsen-tourismus.de, www.saechsische-schweiz.de
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