Schauspieler, Regisseur, Kabarettist, Gastronom und Familienvater: Thorsten Siebenhaar hat viele Rollen. Der 42-jährige Ur-Ansbacher wirkt heute zufrieden. Aber der Weg dahin war lang – und manchmal steinig.
Wie so oft beginnt alles beim Schultheater. Die erste Bühne steht im Theresien-Gymnasium. Nach einer Gastrolle im „Sommernachtstraum“ wird Siebenhaar selbst Mitglied der Theatergruppe. In der Kollegstufe packt es ihn dann richtig. Während die anderen sich wegen des Abiturs verrückt machen, gibt Siebenhaar den Malvolio in Shakespeares „Was ihr wollt“. Für ihn ist die Rolle die „Belohnung für all die Jahre“.
Nach dem Abi ruft die Bundeswehr – die Sehnsucht nach der Bühne bleibt. Siebenhaar stößt zur freien Theatergruppe „Lila“. Hier lebt er seine Leidenschaft aus, führt auch selbst Regie. Bis heute kümmert er sich als „Dino im Hintergrund“ um die Verwaltung.
Nach der Bundeswehr fällt er in ein Loch, weiß nicht, was er aus seinem Leben machen soll. Aus Spaß bewirbt er sich bei einer Casting-Agentur. „Die hatten aber kein Interesse an mir als Schauspieler.“ Stattdessen bieten sie ihm ein Praktikum an. Siebenhaar packt seine Koffer und zieht nach Köln: Fortan sucht er Schauspieler für Fernsehserien und Werbespots. Die Agentur ist auf Comedy-Serien wie „Nicola“, „Ritas Welt“ oder „Mein Leben und ich“ spezialisiert. „Plötzlich war ich in dieser Welt drin.“
Nach einem halben Jahr wird er fest angestellt, leitet Castings, ist Spielpartner bei Vorsprechen. Der Chef fragt ihn, ob er Casting-Director werden will. „Ich war noch nicht mal 21.“ Zu jung, um eine Entscheidung fürs Leben zu treffen. Außerdem fühlt er sich einsam. „Ich hatte fast keine sozialen Kontakte. Mit 20, 21 geht man doch feiern und fährt mit Freunden in den Urlaub – ich war von früh bis spät im Büro.“
Und plötzlich spukt wieder diese Idee in seinem Kopf herum: „Ich möchte Schauspieler werden.“ Aber er will das professionell angehen. Also bewirbt er sich bei staatlichen Schauspielschulen. Er scheitert, wieder und wieder. „Es ist frustrierend, wenn du merkst: Heut’ wird keiner weitergelassen. Manchmal ist die Klasse schon voll oder du bist einfach der vierte Blonde.“
Schon ist ein Jahr vorbei. „Ich hab’ gesagt, ich würd’s gern noch mal versuchen. Jetzt hab’ ich Erfahrung aus der ersten Runde.“ Besonders ein Erlebnis prägt ihn: das zweite Vorsprechen an der Universität der Künste in Berlin. „Sie müssen mehr brennen“, hat man ihm ein Jahr zuvor gesagt. Siebenhaar tritt wieder auf die Bühne der UdK. „Und ich hab’ gebrannt.“ Er merkt, dass der Funke diesmal überspringt. Doch dann die Ernüchterung: „Sie haben Präsenz auf der Bühne. Wir können Ihnen nicht viel beibringen.“ Siebenhaar versteht nicht, was da passiert. „Ich bin herausgelobt worden. Das hat mir das Genick gebrochen.“
Ein Vorsprechen in Wien steht noch aus. „Ich hab’ im Bahnhofsparkhaus geparkt, hab’ mich hingesetzt und den Zug, für den ich schon ein Ticket hatte, wegfahren lassen.“ Ab sofort soll die Schauspielerei nur noch ein Hobby sein. Siebenhaar studiert in Siegen, wird Diplom-Medienwirt. In der Freizeit steht er dort auf der Bühne, auch „Lila“ bleibt er treu. Neue Möglichkeiten ergeben sich: Er wird Regisseur und künstlerischer Berater für Viva Voce, von 2004 bis 2008 entwickelt er Bühnenshows.
Ich hab’ den Zug wegfahren lassen.
Dann ein großer Einschnitt: 2007 eröffnet das Theater Ansbach. Bei einem Viva-Voce-Konzert kommt es zur ersten Begegnung mit Gründungsintendant Jürgen Eick. Auf dem Altstadtfest trifft man sich wieder. Siebenhaar lädt ihn zu „Lila“ ein, und Eick kommt. Er sieht sich an, was der Regisseur Siebenhaar macht. Dann will er wissen, was aus dem Schauspieler geworden ist.
Offenbar gefällt Eick, was er sieht und er engagiert ihn für das erste Ansbacher Weihnachtsmärchen „Des Kaisers neue Kleider“. Ein Kapitel, das für Siebenhaar abgeschlossen schien, wird auf einmal fortgeschrieben. Bei der Premiere sitzt seine Oma im Publikum. „Sie hatte Tränen in den Augen“, erinnert er sich. „Das hat sie noch miterlebt, ein halbes Jahr später ist sie gestorben.“
Aus dem ersten Engagement ergibt sich mehr: „Thorsten, kannst du eigentlich singen?“ Es folgen: ein Volksliederabend, Rollen im Faust, ein Kinderstück über den jungen Johann Sebastian Bach, wieder ein Märchen.
Mein Job war, der Quoten-Ansbacher zu sein.
Siebenhaar weiß, dass er den Theater-Traum nicht nur schauspielerischen Fähigkeiten verdankt. „Ein Argument, mich zu holen, war ein kulturpolitisches. Mein Job war, der Quoten-Ansbacher zu sein.“ Doch von dem Image spielt er sich frei. „Irgendwas muss ich können, sonst wär’ ich nicht so lang dabei gewesen.“
2010 fängt er an, in der Gastro der Kammerspiele zu arbeiten – bis heute sein zweites Standbein. Und er schätzt es: „Das Arbeiten in der Gastronomie erdet einfach.“ Zugleich ist es die Chance, auch dort Theater zu machen. Mit Katja Schuhmann gründet er die „bühne 11“: Ein- und Zwei-Personen-Stücke, Theaterdinner und vor allem Narrenfreiheit.
Am Theater Ansbach prägt er besonders eine Reihe: „Ich war das Gesicht des Weihnachtsmärchens.“ Das entwickelt sich zum Kult – sogar unter den Erwachsenen gibt es zahlreiche Fans. Auch Regiearbeiten vertraut Eick ihm an, darunter „Die Leiden des jungen Werthers“, ein Stück nach Goethes Briefroman. „Das Projekt ist, glaub’ ich, das Wichtigste für mich gewesen.“ Noch heute ist er wahnsinnig stolz darauf. „Am Schluss war minutenlang Stille, Beklommenheit. Da hat niemand ein Wort herausgebracht. Solche Gefühle in einem Publikum auszulösen, ist grandios.“ Es ist eine gute Zeit am Theater für ihn.
Mit dem Intendantenwechsel zur Spielzeit 2015/2016 kommt „der etwas unschöne Abschied“. Vielen aus dem Ensemble ist klar, dass die neue Intendantin Dr. Susanne Schulz auch neue Schauspieler ans Haus holen wird. „Aber wirklich getroffen hat uns“, sagt Siebenhaar, „dass wir nicht mal eine Chance bekommen haben. Wir durften nicht vorsprechen, sie wollte uns nicht mal kennenlernen.“
Als die Theaterchefin kund tut, dass sie keine Weihnachtsmärchen machen will, ergreift er die Gelegenheit und gründet 2015 „Kommando Grimm“ – erneut zusammen mit Katja Schuhmann. Auch das Ehepaar Koch ist mit im Boot und übernimmt wie schon am Theater Ansbach die musikalische Gestaltung. Auftakt ist der „Froschkönig“ mit Siebenhaar in der Titelrolle. „Es hat uns überrascht, wie das eingeschlagen hat.“ Das Ansbacher Weihnachtsmärchen lebt weiter. Vor Corona steht „Kommando Grimm“ kurz davor, die 10.000-Zuschauer-Marke zu knacken.
Als wir auf der Bühne standen, haben wir beide geweint.
In der Pandemie brechen zeitweise beide Standbeine zusammen, die Gastro und die Schauspielerei. Er macht das Beste daraus: ein paar Auftritte im Freilandmuseum, ein Märchen-Hörspiel – und viel Zeit für seinen Sohn. Schließlich 2021 ein Theaterdinner im Schlosshof mit Kollegin Schuhmann. „Als wir auf der Bühne standen, haben wir beide geweint. Wir haben gemerkt, wie uns das gefehlt hat.“
Seine nächste große Premiere ist das Derblecken in den Kammerspielen am Dienstag- und am Mittwochabend. Als Mönch wie sein Vorgänger Thomas Engerer will er nicht auftreten; lieber schlüpft er in die Rolle des Hausmeisters Schorsch. Wichtig ist ihm die Nähe zu den Zuschauern. „Wenn ich etwas gelernt hab’, dann, dass ich mit dem Publikum gut kann.“
Erfahrung im Verspotten von Politikern hat Siebenhaar schon im Kulturgärtla beim Stadtfest gesammelt. Nach der Pandemie-Pause gilt es nun, drei Jahre politisches Geschehen aufzuarbeiten und zusammenzustricken. „Ich werde richtig Lampenfieber haben, weil ich ein Jahr lang nicht auf der Bühne stand“, gibt er zu. „Für mich wird das ein sehr emotionaler Moment.“
Was dann kommt, ist offen. Gern würde er mal einen Bösewicht spielen. Vielleicht ist Zeit, wenn sein Sohn in die Kita kommt. Auch wenn es nie so geplant war: Thorsten Siebenhaar ist froh, dass er damals zurück nach Ansbach gekommen ist. „Aus der unbewussten Entscheidung ist eine bewusste geworden.“