Zum „Limmern“ nach Linden | FLZ.de

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Veröffentlicht am 29.09.2022 04:19

Zum „Limmern“ nach Linden

Die Limmerstraße im Sommer: Anziehungspunkt für junge Leute. (Foto: Ole Spata/dpa/dpa-tmn)
Die Limmerstraße im Sommer: Anziehungspunkt für junge Leute. (Foto: Ole Spata/dpa/dpa-tmn)
Die Limmerstraße im Sommer: Anziehungspunkt für junge Leute. (Foto: Ole Spata/dpa/dpa-tmn)

Sonntags gegen Mittag, beim späten Frühstück, geht es ruhig zu auf der Limmerstraße in Hannover-Linden. Autos fahren hier kaum, nur die Straßenbahn rumpelt vorbei.

Das ist nicht immer so. Die Limmerstraße ist beliebt, vor allem bei jungen Leuten. Zwischen der U-Bahn-Station „Am Küchengarten“ und dem Pferdekutschenbrunnen liegen knapp 700 verkehrsberuhigte Meter und - was viel wichtiger ist - etliche Bars und Restaurants. Und dazu mindestens ein halbes Dutzend Kioske, wenn man auch mal in die Seitenstraßen schaut.

Diese Kioske sind in den vergangenen Jahren immer mehr das Ziel auch von auswärtigen Besuchern geworden. Das gefällt nicht jedem.

Bier „to go“ fassweise

In der Kochstraße, keine zehn Meter von der Limmerstraße entfernt, liegt der Kiosk von Hüseyin Yilmaz, doch was heißt hier schon Kiosk? Yilmaz verkauft Freilandeier und FFP2-Masken, erstellt Kopien und faxt Dokumente. Und er zapft Bier, auch „to go“, und das fassweise, jede Woche. Ob vom Faß oder in der Flasche, die Getränke sind günstig, auch bei den anderen Kiosken.

Trifft man sich in Hamburg beim „Cornern“ an einer Straßenecke, so zieht man hier grüppchenweise von einem Kiosk zum nächsten, vor allem an Wochenenden. „Limmern“ nennt der Volksmund dieses Treiben, bei dem manch einer achtgeben muss, dass er nicht unter die Straßenbahn gerät, denn die fährt zweigleisig durch die Limmerstraße.

Man sei hier keine „zweite Reeperbahn“

Eigentlich hat das „Limmern“ Tradition - im ehemaligen Arbeiterviertel traf man sich im Freien zum Klönen. Das hat sich durch die Sozialen Medien verändert. Jetzt verabrede man sich zum „Abfeiern“, sagt ein Anwohner und schiebt nach: „Wir sind nicht amused, wir sind nicht die zweite Reeperbahn.“

Eingesessene Lindener sehe man eher selten, die Leute kommen aus Pattensen und Peine, beobachtet der Mann. Und selbst in Hamburg habe es schon Werbung für das „Limmern“ gegeben. Vor allem bei gutem Wetter wird es dann laut. „Starkregen ist immer gut“, sagt der Ur-Lindener trocken.

Gemeinsame Streifen von Polizei und Ordnungsdienst sollen jeden Zwist im Vorfeld entschärfen. Und die Stadt Hannover wirbt auf ihrer Internetseite für „stilvolles Limmern“ - in Lokalen.

Wobei die Anwohner nichts gegen die Kioske haben, im Gegenteil, sie sind damit groß geworden. „In meiner Jugend hieß es: Geh mal zu Nebgen und hol dir ein Eis“, sagt einer.

Carl Nebgen war ein Unternehmer, der Selters und Limonaden abfüllte und Trinkhallen erst in Köln und später dann in Hannover betrieb. Bis zu 80 sollen es an der Leine gewesen sein. Nebgen wurde bereits „als Erfinder der Büdchen, Trinkhallen und Kioske“ bezeichnet, auch wenn es ähnliche Pavillons schon Jahrhunderte vorher im Orient gab.

Feinkiosk in Bestlage

„Limmern? Klar, als Hannoveraner macht man das“, sagt Hüseyin Erhan und schiebt nach: „Wenn auch nicht jede Woche.“

2019 eröffnete der 41-Jährige am Holzmarkt am Rande der Altstadt Gottfried's Feinkiosk. Das wird nicht viel werden, dachten sich einige Anwohner, schlossen eine Wette ab - und verloren.

Namensgeber für den Kiosk ist der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz. Bis zu seinem Tod im Jahre 1716 wohnte er in einem Haus ganz in der Nähe. Es wurde zwar im Krieg zerstört, am Holzmarkt wurde die Renaissance-Fassade aber originalgetreu rekonstruiert.

Der Kiosk befindet sich gleich links davon, die Lage könnte kaum besser sein. „Die Umgebung ist in jedem Reiseführer“, sagt Erhan. Immer wieder bleiben Leute stehen, machen Fotos vom Leibnizhaus, dem Brunnen davor oder von den umliegenden Fachwerkfassaden.

Gleich rechts liegt das Historische Museum Hannover, links der Niedersächsische Landtag. Und ganz lange wird es wohl nicht mehr dauern, dann wird auch die Leinewelle, die derzeit gebaut wird, durstige Surfer in den Kiosk locken.

Kaffee für Politpromis und Touristen

An der Wand hängen Fotos von Kaffeebohnen, Erhans Schwester hat sie bei einer 18-monatigen „Kaffee-Weltreise“ aufgenommen. Der Kiosk hat eine Kaffeebar im „Huckepack“, wie Erhan es nennt, wer hier arbeitet, sollte „Barista-Erfahrung“ mitbringen. Der Kaffee wird in Hannover geröstet, die Milch kommt aus dem Umland. „Wenig Konzern, viel Regionales, da legen wir Wert drauf.“

Das „Du“ ist hier Kiosk-Philosophie, selbst dann, wenn Ex-Kanzler Gerhard Schröder, Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius oder Hannovers Bürgermeister Belit Onay vorbeikommen, über deren Einkaufsverhalten sich Erhan diskret ausschweigt.

Kultladen in der Nordstadt

Wie Gottfried's Feinkiosk blieb auch Onkel Olli's in der Pandemie-Zeit geöffnet. „Wenn nichts mehr offen hatte - hier konnte man sich treffen“, wie Gäste versichern, draußen und mit Abstand, das versteht sich. Der Kiosk liegt im langen Schatten der Lutherkirche in der Nordstadt. Das Publikum ist bunt und international, die Uni gleich um die Ecke.

Onkel Olli's ist in Hannover bekannt für seine große Auswahl an Biersorten, mindestens 200 sind es immer, da kommen viele Supermärkte nicht mit, sagt Lukas Nolte, der den Kiosk im April übernommen hat.

Marc-Oliver Schrank, der Kiosk-Gründer, ist eigens noch nach Belgien gefahren, um ausgefallene Biere im Angebot zu haben. Schrank hat sich gemeinsam mit Reinhold Beermann („englisch: Beerman“), der seit dem ersten Tag im November 2009 dabei ist und nach wie vor an der Kasse steht, in der eigens gestalteten Glasfront des Kiosks verewigt.

Und Marc-Oliver Schrank war es auch, der 2017 versuchte, die hannoverschen Kioske als immaterielles Kulturerbe bei der Unesco anerkennen zu lassen - erfolglos allerdings.

Informationen: Hannover Tourist Information, Ernst-August-Platz 8 30159 Hannover (Tel.: 0511/12345111)

© dpa-infocom, dpa:220928-99-931385/4

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