Streit um Entschädigungen nach Olympia-Attentat | FLZ.de

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Veröffentlicht am 27.07.2022 14:36

Streit um Entschädigungen nach Olympia-Attentat

Ein Polizeibeamter im Trainingsanzug im Einsatz im Olympischen Dorf. (Foto: Horst Ossinger/dpa/Archivbild)
Ein Polizeibeamter im Trainingsanzug im Einsatz im Olympischen Dorf. (Foto: Horst Ossinger/dpa/Archivbild)
Ein Polizeibeamter im Trainingsanzug im Einsatz im Olympischen Dorf. (Foto: Horst Ossinger/dpa/Archivbild)

Wende im jahrzehntelangen Streit um Entschädigungszahlungen nach dem Attentat auf die Olympischen Sommerspiele von 1972 in München: Die Bundesregierung stellt nun doch weitere Zahlungen an die Familien der Opfer in Aussicht. „Ein Angebot weiterer Anerkennungsleistungen an die Hinterbliebenen der Opfer des Attentats“ sei geplant, sagte am Mittwoch ein Sprecher des Bundesinnenministeriums und bestätigte entsprechende Medienberichte.

Die Bundesregierung wolle die „gravierenden Folgen für die Hinterbliebenen der Opfer in immaterieller und in materieller Hinsicht“ neu bewerten. Das Innenministerium kündigte „erneute finanzielle Leistungen des Bundes, des Freistaats Bayern und der Landeshauptstadt München“ an. Derzeit liefen „vertrauensvolle Gespräche mit den Vertretern der Opferfamilien“.

Doch ganz so vertrauensvoll scheint es nicht zu sein, darauf lassen Äußerungen von Ankie Spitzer, Sprecherin der Opferfamilien schließen. „Die deutsche Bundesregierung hat uns eine völlig unakzeptable und beleidigende Summe angeboten als abschließende Entschädigung“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur in München. „Wir sind verärgert und enttäuscht“, zumal es sich nicht um ein offiziell unterschriebenes Angebot gehandelt habe, sondern um ein sogenanntes Arbeitspapier.

Ähnlich hatte sich Spitzer auch dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) gegenüber geäußert. Darin erklärte sie, es sei von zehn Millionen Euro die Rede gewesen. Darauf sollten Zahlungen aus den Jahren 1972 und 2002 in Höhe von rund viereinhalb Millionen Euro angerechnet werden. „Nachdem das Münchner Attentat nach internationalem Recht ein Akt des internationalen Terrorismus war, müssen wir nach internationalen Standards entschädigt werden und nicht nach lokalem, deutschem Recht“, sagte Spitzer weiter.

Der Schmerz sitzt auch 50 Jahre immer noch tief. Am 5. September hatten palästinensische Terroristen einen Anschlag auf die Olympischen Sommerspiele verübt. Elf Mitglieder des israelischen Teams, darunter Spitzers Ehemann André, und ein Polizist starben. In München wird derzeit bei zahlreichen Veranstaltungen der Toten und Verletzten gedacht. So hatte am Mittwoch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) einen Kranz am Erinnerungsort im Olympiapark niedergelegt, unweit der Unterkunft der israelischen Sportler, wo die Terroristen am frühen Morgen angegriffen und Geiseln genommen hatten.

Das am 5. September geplante Gedenken will die Bundesregierung zum Anlass für eine klare politische Einordnung der Geschehnisse nehmen. „Anlässlich des bevorstehenden Jahrestages und noch immer offener Fragen der historischen Aufarbeitung und Einordnung hat die Bundesregierung diese Ereignisse und den Umgang mit ihnen in den vergangenen Wochen einer Neubewertung unterzogen“, sagte der Sprecher des Innenministeriums.

Spitzer kann mit diesen Plänen des Bundes wenig anfangen. „Diese sogenannte politische Einordnung des Anschlags muss nicht während der Gedenkfeiern stattfinden. Sie hatten 50 Jahre lang Zeit, dieses Attentat einzuordnen!“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. „Wir werden nicht akzeptieren, dass Deutschland uns zu Bettlern macht.“

Wenn die Bundesrepublik ihren Kurs nicht korrigiere, würden die Opferfamilien nicht an dem Gedenken teilnehmen, stellte Spitzer klar. Bereits am Dienstagabend war sie nicht zu einem Termin in München erschienen, den Bayerns Antisemitismusbeauftragter Ludwig Spaenle (CSU) daraufhin absagte. Er warf der Bundesrepublik Staatsversagen vor. Deutschland müsse seine historische Verantwortung annehmen und die Angehörigen der ermordeten Terror-Opfer sowie die Überlebenden angemessen entschädigen.

Um eine angemessene Entschädigung wird seit Jahrzehnten gerungen. Unmittelbar nach dem Attentat waren dem Bundesinnenministerium zufolge rund 4,19 Millionen Mark (rund 2 Millionen Euro) aus Deutschland an die Angehörigen gezahlt worden. Rund 3,2 Millionen Mark davon seien humanitäre Leistungen durch die Bundesrepublik gewesen, teilte das Ministerium 2001 mit. Der Rest seien Spenden des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) und Leistungen des Nationalen Olympischen Komitees gewesen. 2002 gab es weitere drei Millionen Euro als humanitäre Geste im Hinblick auf das besondere Verhältnis zu Israel, erklärten damals Bundesregierung, der Freistaat Bayern und die Stadt München.

1994 hatten die Hinterbliebenen zudem unter Verweis auf massive Fehler beim Polizeieinsatz während des Anschlags und der Geiselnahme auf Schadenersatz in Höhe von rund 40 Millionen Mark (rund 20,45 Millionen Euro) geklagt. Wegen Verjährung scheiterten die Kläger aber, die Revision zum Bundesgerichtshof nahmen sie im Februar 2001 zurück.

Neben den Zahlungen soll eine Kommission deutscher und israelischer Historikerinnen und Historiker eingesetzt werden. Sie sollen die Ereignisse und die Erinnerung aus heutiger Perspektive umfassend aufarbeiten und politisch neu bewerten und einordnen.

© dpa-infocom, dpa:220727-99-175227/4

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