Den Hörer eines Telefons in der Hand lehnt sie lässig an der pinkfarbenen Wand, eine Freundin fotografiert sie mit dem Handy. Ein Stockwerk darüber stoppt wenig später eine junge Frau beim Vorbeigehen an einer mit rosa Plastikblumen bestückten Wand mit einem beleuchteten Schriftzug, um ein Foto zu machen.
Es sind Bilder wie diese, die fleißig in sozialen Medien geteilt werden sollen. Während in Clubs wie dem „Berghain“ in Berlin, dem „Odonien“ in Köln oder dem Leipziger „Institut für Zukunft“ Fotos und Videos strikt verboten sind, will der im Mai eröffnete Nachtclub „Bossy“ in München für digitale Medien optimiert sein.
Um Mitternacht füllt sich der Club, die Leute fangen erst zögerlich an zu tanzen. Ungewöhnlich viele Handys sieht man auf der Tanzfläche nicht. Ausgelegt auf Instagram-Content sollen aber die Flaschen mit Feuerwerk sein, die durch die Menge getragen werden, ebenso wie der WLAN-Zugang, die mit LEDs beleuchteten Loungeecken und Fotospots. Schlangen gibt hier zwar nicht, aber immer wieder entdecken Leute die Orte im Vorbeigehen.
Die Idee für einen Club, der für Instagram-Inhalte konzipiert ist, hat Betreiber Angelo Mattina aus Dubai, Paris oder Madrid. „Jeder ist auf Instagram oder Tiktok, jeder möchte sich präsentieren und man muss sich da anpassen“, sagt er. Die Fotoecken seien gleichzeitig kostenloses Marketing. Auf dem Instagram-Account des Ladens sind schon einige Posts verlinkt: das Telefon, die Blumenwand. Aber: Wenn sowieso schon alles geteilt ist, muss man dann überhaupt noch kommen? Alle paar Wochen und Monate will Mattina die Insta-Spots verändern. Neben bestimmten Events und DJs sollen auch Influencer die Menschen in den Club ziehen.
„Es geht mit der Zeit, man muss auffallen und viel anbieten“, sagt eine Besucherin. „Clubs, die das nicht machen verlieren für mich auch an Wert.“ Nicht alle im „Bossy“ haben von dem Instagram-Fokus gehört. Celina und Milina sind eher abgeneigt. Sie gingen lieber feiern, um Spaß zu haben und nicht alles zu posten, sagen sie. „Es kann schon Druck auslösen, weil man sich Gedanken zum Outfit und zu den Fotos macht“, meint Celina. Fotos nehmen sie trotzdem auf. Nimmt das Fotografieren und Posten nicht auch einen Teil der Privatsphäre? „Man kann entscheiden, ob man das möchte oder nicht“, sagt ein anderer Gast. Es gebe auch Orte, die damit anders umgehen.
So wie im Club „Rote Sonne“ in München. Der nutzt soziale Medien zwar, um Events zu bewerben. Am Eingang werden die Kameras an den meisten Abenden aber abgeklebt. Fotos und Videos sind verboten. „Clubleben sehen wir als Ausgleich zum Alltag“, sagt Alioune Diop, Booker in dem Club. Bei so viel Bildschirmzeit pro Tag sei es ihm wichtig, dass Leute die Musik, Konzerte oder DJs nicht nur durch die Kamera erleben - und dass jede Person sein kann, wie sie ist. „Wir wollen, dass Menschen im Hier und Jetzt sein können und den Moment mit den Menschen genießen, die mit ihnen da sind und nicht mit Menschen, die überhaupt nicht vor Ort sind.“
Beide Konzepte schließen sich nicht aus, sie sprechen unterschiedliche Menschen an, meint Zukunfts- und Freizeitforscher Ulrich Reinhardt. „Ein Teil der Bevölkerung ist überdrüssig, dass ihr Leben permanent digital gespiegelt wird, der andere Teil möchte sich inszenieren und sucht eine Bühne“. Gleichzeitig sei die Medialisierung, und vor allem Social Media, mit viel sozialem Druck verbunden, so Reinhardt. „Ich muss das perfekte Bild haben, ich möchte darstellen, dass es voll war und zeigen, wer alles da war.“
Insgesamt verbringen viele Menschen ihre Freizeit vor allem mit digitalen Medien. Das zeigt der Freizeit-Monitor der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen. Bei der repräsentativen Untersuchung befragt die Stiftung regelmäßig mehr als 2000 Menschen ab 18 Jahren zu 100 verschiedenen Freizeitaktivitäten, und schreibt vom „Sofa als Epizentrum unserer Freizeit“. Denn: Acht von den zehn am häufigsten angegeben Aktivitäten finden medial statt - meistens online, zu Hause und allein.
Dabei zeige die Befragung auch, dass viele ihre Freizeit eigentlich lieber mit anderen Menschen draußen verbringen, sagt Reinhardt, der wissenschaftlicher Leiter der Stiftung ist. Sich davon zu lösen sei aber gar nicht so einfach. „Medien bieten nicht nur Information und Ablenkung, es ist ja auch eine Maschinerie, die darauf ausgelegt ist, mich perfekt zu unterhalten“.
Dass es schwieriger ist, Menschen in die Clubs zu bekommen, merkt die Szene. „So hat der Konkurrenzdruck aufgrund des größer gewordenen medialen Angebots für die klassischen Diskotheken-Gäste zugenommen“, teilt der Bundesverband deutscher Diskotheken und Tanzbetrieb e.V. (BDT) der DEHOGA mit. „Insbesondere soziale Netzwerke und Medien decken Angebote ab, die früher als Alleinstellungsmerkmal für Diskotheken galten“.
Außerdem sei alles teurer geworden, für die Betreiber wie auch für die Besucherinnen und Besucher. „Das Geld ist nicht da bei den Leuten, dadurch wird es in den Clubs ruhiger und der Umsatz fehlt“, sagt Alexander Baehr, Leiter der Fachabteilung Musik und Szene der DEHOGA Bayern. Gleichzeitig sind Strom, Nebenkosten und Mieten gestiegen. Dazu machen besonders die GEMA-Gebühren und die Bürokratie der Branche Probleme, betonen Betreiber und Interessenvertretungen. „Und dann wird es kritisch im Geschäft, da haben schon alle viele Bauchschmerzen“, sagt Baehr. Clubs müssten also kreativ werden und sich ihre Nische suchen. An Social Media komme da keiner vorbei.
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