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Veröffentlicht am 13.07.2022 04:02

So sollen E-Bikes sicherer bremsen

Black Box: In diesem kleinen Gehäuse hat Bosch die Steuerungseinheit des überarbeiteten ABS-Systems untergebracht. (Foto: Julian Mittelstaedt/Bosch/dpa-tmn)
Black Box: In diesem kleinen Gehäuse hat Bosch die Steuerungseinheit des überarbeiteten ABS-Systems untergebracht. (Foto: Julian Mittelstaedt/Bosch/dpa-tmn)
Black Box: In diesem kleinen Gehäuse hat Bosch die Steuerungseinheit des überarbeiteten ABS-Systems untergebracht. (Foto: Julian Mittelstaedt/Bosch/dpa-tmn)

Viele Fahrradfahrer haben vor einem scharfen Bremsmanöver regelrecht Angst. Drückt man die Bremse des Vorderrades zu kräftig, blockiert das Rad und kann gefährlich zur Seite wegrutschen. Bei einer etwas höheren Geschwindigkeit besteht sogar die Gefahr, dass sich das Fahrrad überschlägt und man über den Lenker nach vorne auf die Straße stürzt.

Das ist auch der Grund, warum bei der Verkehrserziehung auf den Schulhöfen die Vorderbremsen der Fahrräder der Kinder oft mit roter Farbe markiert werden. Rot wie „Gefahr“ und „besser nicht nutzen“.

Dabei eignet sich die Vorderradbremse besonders, mit einem kurzen Bremsweg zum Halten zu kommen. Weil grob gesagt, das Körpergewicht beim Bremsen aufs Vorderrad gedrückt wird, es so mehr Traktion bekommt und mehr Bremskraft aufnehmen kann. Wäre da nicht die Befürchtung, dass sich das Vorderrad quer stellt oder das Hinterrad abhebt.

Einen Ausweg aus diesem Dilemma suchten die Fahrradhersteller schon vor geraumer Zeit. Bereits vor 18 Jahren stellte der ostdeutsche Produzent Biria ein mechanisches Antiblockiersystem für Fahrräder vor. Dieses sollte ein Querstellen des Vorderrads oder einen Überschlag des Fahrrades insgesamt verhindern. Bei Biria wirkte die Rücktrittbremse auf Vorder- und Hinterrad gleichzeitig.

Die „1-4-2 Safety Brake“ des Herstellers in Neukirch/Lausitz konnte sich allerdings am Markt nicht durchsetzen und auch nicht den Untergang des Ost-Unternehmens einige Jahre später verhindern.

Die vielversprechenden Ansätze von Biria weckten auch die Ambitionen beim großen Bosch-Konzern. Der hatte bereits 1978 das erste elektronische ABS für Autos auf den Markt gebracht.

Es dauerte dann allerdings noch bis zum Herbst 2017, bis der führende Zulieferer für E-Bikes ein elektronisch gesteuertes, hydraulisches ABS im Angebot hatte. Im Frühjahr 2018 debütierten dann die ersten ABS-Bikes mit Bosch-Technik bei den Fahrradherstellern Centurion, Cresta, Flyer, Kalkhoff und Riese & Müller.

Bosch selbst baut selbst keine Fahrräder, sondern liefert wichtige Komponenten wie Elektromotoren und Akkus - und inzwischen auch jede Menge Elektronik und Software für das „smarte Bike“.

Bislang sind aber nur die wenigsten E-Bikes am Markt mit ABS ausgestattet. Das könnte damit zu tun haben, dass die alte ABS-Steuerungseinheit von Bosch aus einem rund 800 Gramm schweren und recht klobig wirkenden Kasten bestand, der vorne am Lenker montiert wurde. Auch der Aufpreis von rund 500 Euro dürfte viele potenzielle Nutzer abgeschreckt haben.

Auf der Fachmesse Eurobike 2022 in Frankfurt am Main (13. bis 17. Juli) stellte der ABS-Pionier Bosch nun ein komplett überarbeitetes System vor. Das ist deutlich kompakter und leichter geraten und fügt sich viel besser in die Optik des Fahrrades ein. Es soll auch etwas günstiger sein.

„Das Modul der zweiten Generation ist jetzt 77 Prozent kleiner und 55 Prozent leichter“ sagt Claus Fleischer, Geschäftsleiter der E-Bike-Systemsparte von Bosch. „Damit können wir es unten an der Fahrradgabel montieren, dicht am Bremssattel. Das ABS-System ist so für das ungeübte Auge kaum noch sichtbar.“

Einen großen Unterschied gegenüber der ersten ABS-Generation macht nun auch die Software, die das ABS steuert. Während die erste Generation nicht zwischen Trekkingrad, Mountainbike oder Lastenrad unterscheiden konnte, berücksichtigt das ABS 2.0 nun die unterschiedlichen E-Bike-Typen mit dem individuellen Verhältnis von Gewicht und Schwerpunkt.

Beim Lastenrad mit einem niedrigen Schwerpunkt sorgt die ABS-Kombination aus Hardware und Software dafür, dass selbst bei voller Beladung ein schnelles, sicheres und spurtreues Bremsen möglich ist. Denn das Vorderrad kann nicht mehr blockieren und sich querstellen.

Bei einem Touring- oder Mountainbike kommt ein Sensor am Hinterrad zum Einsatz. Der überwacht, ob sich das Rad noch dreht oder sich gerade vom Untergrund anhebt. Schlägt der Hinterrad-Abhebesensor an, wird innerhalb von Millisekunden automatisch der Bremsdruck am Vorderrad abgesenkt, so dass das Hinterrad wieder Bodenkontakt erhält. Sportliche Mountainbiker können dabei auch einen Modus auswählen, bei dem das ABS weniger ins Geschehen eingreift oder das ABS komplett abstellen.

Der für das ABS benötige Strom wird vom E-Bike-Akku bereitgestellt. In einem Test mit einem Vorserienmodell konnten dabei keine nennenswerten Auswirkungen auf die Reichweite festgestellt werden.

Der Stromverbrauch ist so gering, dass selbst nach einem automatischen Abschalten der Motorunterstützung bei einem leer gefahrenen Akku die ABS-Sicherheitsfunktion immer noch lange zur Verfügung steht. Erst bei einem komplett leeren Akku meldet sich auch das ABS mit einer kurz vorher aufleuchtenden Kontrollleuchte ab.

ABS ist nach Einschätzung der Prüforganisation Dekra ein „sinnvoller Schritt in Richtung mehr Sicherheit auf dem Pedelec“. „Es entschärft viele kritische Bremssituationen und es dadurch ein großer Zugewinn für die Verkehrssicherheit.“

Die Frage, wie teuer dieser Zugewinn an Sicherheit ausfallen wird, wird in Kürze beantwortet werden, wenn die Fahrradhersteller ihre neuen Modelle mit ABS vorstellen werden. Experten auf der Eurobike gingen von einem Aufpreis zwischen 300 und 400 Euro aus.

© dpa-infocom, dpa:220712-99-997601/3

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