Rumänien mit ukrainischem Getreideexport überfordert | FLZ.de

arrow_back_rounded
Lesefortschritt
Veröffentlicht am 18.06.2022 05:25

Rumänien mit ukrainischem Getreideexport überfordert

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat das benachbarte EU-Land Rumänien mit der schwierigen Aufgabe konfrontiert, als Ausweichroute für den Export von ukrainischem Getreide zu dienen.

Wegen der mangelhaften Transport-Infrastruktur hat Rumäniens Staatspräsident Klaus Iohannis jüngst dieses Problem als „logistische Herausforderung von epischem Ausmaß“ bezeichnet. Florin Goidea, Generaldirektor des größten rumänischen Schwarzmeer-Hafen Constanta, sah im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur keine schnelle Lösung.

Mühsam sind schon allein die Transportwege aus der Ukraine bis nach Constanta. „Mehr als 80 Prozent des ankommenden ukrainischen Getreides erreicht unseren Hafen auf kleinen Frachtschiffen über die Donau“, sagt Goidea. Das Donaudelta bildet im Südosten die ukrainisch-rumänische Grenze. Diese Flußfrachter müssen donauaufwärts fahren, von den ukrainischen Donauhäfen Reni und Ismail aus - zunächst auf dem mäandernden Chilia-Arm des Deltas bis nach Cernavoda im Landesinneren und von dort auf dem Donau-Schwarzmeer-Kanal nach Constanta, erläutert der Hafenchef. Das sind von Ismail aus insgesamt gut 320 Kilometer.

Der Weg per Lastwagen ist noch schwieriger: Die Lkw aus der Ukraine müssen wegen der Formalitäten teils wochenlang an den Grenzübergängen warten. Im Hafen Constanta wiederum verursachen schon die täglich 20 bis 25 ankommenden ukrainischen Getreidelaster Gedränge, wie Goidea beklagt. Der Zugang auf Schienen ist so gut wie blockiert, weil die rumänische Staatseisenbahn CFR am Hafenbahnhof 700 ausgediente Waggons abgestellt hatte - von denen inzwischen allerdings mehr als die Hälfte entfernt wurden. 35 Schienenstränge am Hafen sollen nun für 200 Millionen Lei (40,8 Mio Euro) modernisiert werden, sagte Transportminister Sorin Grindeanu.

Wohl gebe es ein Projekt der Regierung zur Erweiterung und Modernisierung des Hafens, doch sei dieses erst im Stadium von geplanten Machbarkeitsstudien, sagt Goidea. Es gehe unter anderem darum, die Zahl der Anlegestellen von derzeit 140 um 17 zu erhöhen und das Hafenbecken tiefer zu machen, um größere Schiffe zulassen zu können. Die Kosten schätzt der Hafendirektor auf eine halbe bis eine Milliarde Euro, über die Finanzierung seien Verhandlungen mit der Weltbank im Gange. Die Hafenverwaltung wolle dazu auch EU-Mittel beantragen.

Seit Beginn des Ukraine-Krieges bis Anfang Juni hätten 15 Schiffe mit insgesamt 242.000 Tonnen ukrainischen Getreides Constanta verlassen, sagte Goidea. Das wären gerade einmal 1,21 Prozent der 20 Millionen Tonnen Getreide der Ernte aus dem Vorjahr, welche die Ukraine derzeit exportieren will. Im ganzen Jahr 2021 sind über Constanta 25 Millionen Tonnen Getreide aus rumänischer Produktion und aus Nachbarländern exportiert worden. Und die nächste Ernte steht in Kürze vor der Tür.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat Russland zum Einlenken im Streit um ukrainische Getreideexporte aufgefordert. „Man muss für die Welt hoffen, dass eine Verständigung gelingt“, sagte er in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur mit Blick auf laufende Verhandlungen über einen Exportkorridor über das Schwarze Meer. „Russland muss einen sicheren Transport ermöglichen und zugleich glaubhaft zusichern, dass es einen solchen Korridor nicht für eine Invasion nutzt“, sagte Scholz. „Es kann ja nicht sein, dass die Getreideschiffe die ukrainischen Häfen verlassen und die russischen Kriegsschiffe die Häfen ansteuern.“

© dpa-infocom, dpa:220618-99-708573/3

north