Mecklenburgs Südwesten per Rad | FLZ.de

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Veröffentlicht am 11.08.2022 05:05

Mecklenburgs Südwesten per Rad

Ein Bild, drei Flüsse: An der Grenze von Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen fließen Sude und Boize in die mächtige Elbe. (Foto: Deike Uhtenwoldt/dpa-tmn)
Ein Bild, drei Flüsse: An der Grenze von Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen fließen Sude und Boize in die mächtige Elbe. (Foto: Deike Uhtenwoldt/dpa-tmn)
Ein Bild, drei Flüsse: An der Grenze von Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen fließen Sude und Boize in die mächtige Elbe. (Foto: Deike Uhtenwoldt/dpa-tmn)

Kurz hinter dem Waldbad Probst Jesar versagt der Smartphone-Akku. Und damit die Stimme des digitalen Routenführers, der kurz zuvor noch erzählt hatte, was nicht ins Auge fällt: Der „Jesar“, slawisch für Teich, verdankt seine Entstehung einem eingestürztem Salzstock.

In früheren Jahrhunderten wurde er manchen Reisenden zum Verhängnis, wenn sie ihre Pferde an dem steil abfallenden Ufer tränkten, den Halt verloren und in 13 Metern Tiefe versanken. Heute ist hier von Mai bis September ein Waldbad in Betrieb. Der See selbst ist ungefährlich, sein Wasserstand inzwischen gesunken.

Wir sind unterwegs in Südwestmecklenburg auf der Lübtheener Gutshaustour - einer 45 Kilometer langen Rad-Rundstrecke - und folgen den Angaben der App „EntdeckerRouten“. Neben der Route liefert sie an verschiedenen Wegmarken wissenswerte Infos in Bild und Ton.

„Eine App, die nichts kostet und nicht trackt“, verspricht Susan Müller-Wusterwitz, Inhaberin der Firma Digitour, die elektronische Audioguides für Museen und Regionen produziert. Die gewünschte Route kann man vorab herunterladen, dann benötigt man unterwegs keine mobile Internetverbindung mehr.

Strom braucht das Smartphone natürlich dennoch: Es ist wahrscheinlich ein typischer Anfängerfehler, auf so einer langen Radtour keine Powerbank dabei zu haben. Und es ist ein Stück weit digitale Verblendung, wenn man sich ganz auf die Navigationshilfe verlässt. Es gibt schließlich auch jenseits der vorgeschlagenen Routen einiges zu entdecken.

Zum Beispiel entlang des Europäischen Zisterzienserwegs. Auf Mecklenburger Gebiet verbindet er auf rund hundert Kilometer Länge das Biosphärenreservat rund um den Schaalsee mit dem der Elbe-Flusslandschaft Mecklenburg-Vorpommern.

Nach einem Rundgang durch das Herz von Zarrentin am Schaalsee mit Badestelle, Bootshäusern und dem darüber thronenden Backsteinkloster geht es weiter entlang der Schaale. So heißt ein Abfluss des Sees, der von zahlreichen Nebenflüssen gespeist wird.

Schwer vorstellbar, dass die Schaalfahrt in Zeiten der Lüneburger Salzgewinnung ein wichtiger Wirtschaftsfaktor war: Lastkähne brachten über die Wasserwege Elbe, Sude und Schaale Salz an die Ostsee und Brennholz zurück. Heute ist das Flüsschen Naturschutzgebiet und überwiegend Libellen, Wasservögeln und Fischen vorbehalten.

Wer den Zisterzienserweg bei Kogel verlässt und dem Zufluss der Kleinen Schaale folgt, radelt von der Vergangenheit Mecklenburgs direkt in die Zukunft. Das zumindest versprechen die Mitstreiterinnen und Mitstreiter der Genossenschaft „Wir bauen Zukunft“ in Nieklitz.

„Ich beschäftige mich viel mit Utopien und dafür ist das hier der passende Ort“, sagt Lino Zeddies. Barfuß, in Kapuzenpulli und Jeans, steht der hochgewachsene Organisationsberater vor einem wabenförmigen Gebäude, das Büros, ein Café und Seminarräume beherbergt.

Rundherum zehn Hektar wild bewachsenes Gelände, Gemüseanbau, Badeteich. „Seitdem ich hier bin, kann ich viel besser arbeiten, weil ich die ganze Zeit inspiriert bin“, sagt Zeddies.

So einen Ort der Inspiration wollte der Ökologe und Umweltpolitiker Berndt Heydemann schaffen, als er auf dem ehemaligen Ackerland unweit der Autobahn A24 nach der Wende ein Zukunftszentrum gründete. Jedoch zog der sperrige Name Mensch-Natur-Technik-Wissenschaft trotz einer Auszeichnung mit dem Deutschen Umweltpreis zu wenige Besucher an - und der Erlebnispark ging pleite.

Viele Jahre blieb die Natur sich selbst überlassen, Diebstahl und Vandalismus machten den Gebäuden zu schaffen. Bis die Genossenschaft das Grundstück erwarb und es umfunktionierte - Coworking-Spaces kann man hier ebenso buchen wie Werkstatt- und Seminarräume, es gibt verschiedene Übernachtungsmöglichkeiten, dazu Wildnis-Camps.

Für den Weg zum Werkstattgelände, wo Busse umgebaut werden und „Tiny Houses“ entstehen, steigt Zeddies auf eines der Genossenschaftsräder und empfiehlt zur Weiterfahrt in Richtung Herrenhaus Tüschow die Abkürzung durch das Nieklitzer Holz. Der Forstweg ist allerdings sehr sandig und man wünscht sich ein Fahrrad mit breiteren Reifen herbei.

Vom Tourismusverband Mecklenburg-Schwerin heißt es, es gebe mehr Radtouristen und eine steigende Nachfrage nach kulturhistorischen und naturkundlichen Touren. Allerdings sind an diesem Tag nur ein junges Paar mit Kinderwagen und ein erschreckend lautes Quad auf dem Zisterzienserweg zwischen Tüschow und Schildfeld unterwegs.

Vielleicht sind es auch die „Hosenträgerwege“, die Radfahrer abschrecken: Ein Plattenweg rechts, einer links, in der Mitte Erde, auf der es sich teils erschütterungsfreier rollt als auf den Platten. Umso willkommener ist der Stopp in Schildfeld: Die Schildmühle wurde restauriert und liefert inzwischen Strom, der Förster produziert Wildbret und der Fluss Schilde hat schöne Angelplätze.

Wer sich jetzt nach bitumengebundenen Wegen sehnt, sollte dem Zisterzienserweg Adieu sagen und weiter nach Vellahn radeln. Eine mächtige Backsteinkirche weist schon aus der Ferne den Weg: Sie steht auf einer Anhöhe, umringt von Bäumen und einer Mauer aus Feldsteinen.

Wie kommt so ein Prunkstück an einen so verschlafenen Ort möchte man fragen, aber alle Türen sind verschlossen und werden auch nur auf Anfrage geöffnet: Pastor Christian Lange muss noch zwei weitere Kirchen in der Gemeinde versorgen.

Für die Erholung empfiehlt der Pastor Waldbaden im doppelten Sinne: Auch Vellahn hat ein öffentliches Schwimmbad mitten im Waldgebiet - und es ist dem Naturpark Mecklenburgisches Elbetal sehr nahe.

Von jetzt an geht es stetig bergab, die Lindenstadt Lübtheen erreicht man viel schneller als gedacht und es bleibt noch genug Zeit für eine Stadtführung mit der „EntdeckerRouten“-App - zumindest, solange der Akku durchhält.

Und so sind wir wieder am Ausgangspunkt dieser Geschichte, dem Waldbad Probst Jesar. Ohne Smartphoneguide. Der nächste Halt der Route ist das ehemalige Bergwerk Jessenitz - doch was erwartet einen dort? Was die App nicht mehr an Informationen liefern kann, verraten mir freundliche Anwohner, und mehr noch: Sie erzählen, dass das Bergwerk heutzutage eine Abfüllanlage für Kosmetikartikel ist.

Und, dass die zahlreichen Minenwarnschilder rundherum mehr Versicherungsrelikte seien, als das sie auf eine echte Gefahrenlage hinwiesen. Mit diesem Hinweis lässt sich der weitere Weg durch die Heidelandschaft beruhigt genießen.

© dpa-infocom, dpa:220810-99-341301/2

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