Lehrkräfte als Zielscheibe von Gewalt | FLZ.de

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Veröffentlicht am 11.11.2022 10:46

Lehrkräfte als Zielscheibe von Gewalt

Einer Umfrage zufolge gibt es bedrückende Erkenntnisse zum Thema Gewalt gegen pädagogisches Personal. (Foto: Arne Dedert/dpa)
Einer Umfrage zufolge gibt es bedrückende Erkenntnisse zum Thema Gewalt gegen pädagogisches Personal. (Foto: Arne Dedert/dpa)
Einer Umfrage zufolge gibt es bedrückende Erkenntnisse zum Thema Gewalt gegen pädagogisches Personal. (Foto: Arne Dedert/dpa)

Gewalt gegen Lehrkräfte und Schulleitungen ist in Deutschland einer Umfrage zufolge „an der Tagesordnung“ und ein wachsendes Problem. Das geht aus einer repräsentativen Befragung von bundesweit gut 1300 Schulleiterinnen und Schulleitern hervor, die die Lehrergewerkschaft VBE zum Start des Schulleitungskongresses in Düsseldorf vorstellte.

Es zeigten sich ein „dramatischer Rückgang der Berufszufriedenheit von Schulleitungen“ und zudem „bedrückende“ Erkenntnisse zum Thema Gewalt gegen pädagogisches Personal, sagte der Bundesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung, Udo Beckmann.

Demnach berichteten inzwischen zwei Drittel der befragten Schulleitungen von direkter psychischer Gewalt - etwa Beleidigungen, Bedrohungen oder Belästigungen - in den vergangenen fünf Jahren. 2018 hatten das „nur“ 48 Prozent der Leitungen angegeben. Ein Drittel der Befragten meldete aktuell, dass Lehrkräfte Opfer von Cyber-Mobbing wurden, also Diffamierung oder auch Nötigung im Internet - ebenfalls eine deutliche Zunahme. Und in einem weiteren Drittel der Schulen kam es zu gewalttätigen körperlichen Angriffen auf Lehrkräfte oder Schulleitungen.

Zahl der Fälle seit Corona-Beginn zugenommen

Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen war sogar fast die Hälfte der Schulen - rund 46 Prozent - in den vergangenen fünf Jahren mit körperlichen Angriffen auf Lehrkräfte konfrontiert. 2018 waren das noch rund ein Drittel der Schulen (35 Prozent) nach damaligen Angaben der Leitungen gewesen. Für die seit 2016 bei Forsa regelmäßig beauftragte Untersuchung war diesmal im September und Oktober 2022 in allen Bundesländern gefragt worden - 252 der Befragten waren aus NRW.

Die Hälfte der Befragten bundesweit schilderte nun, dass die Zahl der Fälle seit Corona-Beginn zugenommen habe. Um wie viele Fälle es sich dabei genau an den einzelnen Schulen in den in den letzten fünf Jahren handelte, war aber nicht abgefragt worden.

„Jeder einzelne Vorfall ist einer zu viel“

Rechne man auf alle allgemeinbildenden Schulen hoch, komme man auf fast 20.000 Schulen mit Vorkommnissen von psychischer Gewalt und jeweils gut 10.000 Schulen mit Erfahrungen von Cyber-Mobbing oder körperlicher Gewalt, sagte Beckmann. Es gibt laut VBE-Auswertung dabei teils deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Schulformen: Aus Förder- und Sonderschulen wurden besonders oft Fälle von körperlicher Gewalt gemeldet. Cyber-Mobbing trat überdurchschnittlich häufig an Haupt-, Real- und Gesamtschulen auf. Die Täter sind demnach zu einem „übergroßen Teil“ Eltern, Schülerinnen und Schüler.

„Jeder einzelne Vorfall ist einer zu viel“, stellte Beckmann klar. Er sprach von einem Skandal. Die Politik müsse Schulen massiv unterstützen. Aus Sicht von 57 Prozent der Schulleitungen ist die Meldung solcher Vorkommnisse aber zu bürokratisch und zeitaufwendig organisiert. Und etwa ein Drittel der Befragten ist der Meinung, Schulministerium oder Schulverwaltung hätten sich des Themas nicht ausreichend angenommen. Zur Fürsorgepflicht des Dienstherren gehöre der Schutz seiner Beschäftigten, mahnte der VBE. „Wenn Vorgesetzte sich der Gewalt gegen Lehrkräfte nicht ausreichend annehmen, ist das in meinen Augen schlichtweg ein Dienstvergehen“, sagte Beckmann laut Mitteilung.

Aus Sicht vieler Schulleitungen - 69 Prozent bundesweit - gehört der Lehrkräftemangel zu den größten Problemen. Rund ein Drittel nennen hier außerdem eine hohe Arbeitsbelastung, gut ein Viertel Schwierigkeiten rund um Inklusion und Integration Geflüchteter. Die Lage spitze sich seit Jahren zu, unterstrich die Gewerkschaft. Zugleich sinke die Zufriedenheit: Hatten 2019 noch 96 Prozent gesagt, dass sie gerne oder sehr gerne eine Schule leiten, sind es derzeit nur noch 79 Prozent. Jede fünfte Kraft übt ihren Job eher ungern oder ungern aus. Fast alle Befragten wünschen sich Unterstützung durch multiprofessionelle Teams etwa mit Schulpsychologinnen, Sozialarbeitern oder Erzieherinnen.

„Immer weniger Personal trifft auf immer mehr Aufgaben“

NRW-Landesverbandschef Stefan Behlau betonte: „Immer weniger Personal trifft auf immer mehr Aufgaben – das ist eine unheilvolle Mischung.“ Nur an 58 Prozent der Schulen in NRW gebe es multiprofessionelle Teams zur Unterstützung der Lehrkräfte - immerhin ist das aber etwas mehr als im Bundesschnitt. Rund 90 Prozent der Schulleitungen in Nordrhein-Westfalen gaben an, dass sie sich auch eine bessere personelle Ausstattung mit nicht-pädagogischen Fachkräften wünschen - beispielsweise IT-Fachkräften.

Behlau sprach von insgesamt „alarmierenden“ Ergebnissen. „Schließlich beeinflusst Schule die Zukunft des Landes wie keine andere Institution.“ Schule vermittle wichtige Werte und schaffe die Fachkräfte von morgen. Beckmann ergänzte, die Hauptaufgabe von Schulleitern bestehe angesichts der unzureichenden Rahmenbedingungen zunehmend darin, „den Mangel zu verwalten“. Der Schulpolitik verpassten die Befragten im Schnitt nur ein schwaches „ausreichend“ - also die Note 4,3.

© dpa-infocom, dpa:221111-99-477117/3

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