Grünes-Gewölbe-Coup – Dreiste Täter und leichtes Spiel | FLZ.de

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Veröffentlicht am 24.07.2022 09:53

Grünes-Gewölbe-Coup – Dreiste Täter und leichtes Spiel

Die Angeklagten im Prozess um den Juwelendiebstahl im Grünen Gewölbe sitzen vor Prozessbeginn im Verhandlungssaal auf ihren Plätzen. (Foto: Sebastian Kahnert/dpa-Zentralbild-Pool/dpa)
Die Angeklagten im Prozess um den Juwelendiebstahl im Grünen Gewölbe sitzen vor Prozessbeginn im Verhandlungssaal auf ihren Plätzen. (Foto: Sebastian Kahnert/dpa-Zentralbild-Pool/dpa)
Die Angeklagten im Prozess um den Juwelendiebstahl im Grünen Gewölbe sitzen vor Prozessbeginn im Verhandlungssaal auf ihren Plätzen. (Foto: Sebastian Kahnert/dpa-Zentralbild-Pool/dpa)

Die Juwelendiebe vom Dresdner Grünen Gewölbe haben vor dem spektakulären Coup die Sicherheitsmaßnahmen im und um den Museumskomplex akribisch und mit großem Aufwand gecheckt - und dann die Lücken gnadenlos ausgenutzt. Ob alle sechs wegen des spektakulären Einbruchs ins Historische Grüne Gewölbe Angeklagten tatsächlich unmittelbar daran beteiligt waren, ist nach einem halben Jahr Prozess am Landgericht Dresden nicht zweifelsfrei klar. Die Frage, wie das Verbrechen überhaupt möglich war im als „begehbarer Tresor“ deklarierten Museum, jedoch schon. Verbunden mit der erschreckenden Erkenntnis: Die Täter hatten leichtes Spiel.

Die Tat war Minutensache: Zwei Männer drangen am Morgen des 25. November 2019 in das Gebäude ein, schlugen mit einer Axt Löcher in eine Vitrine und rissen 21 Schmuckstücke heraus. Laut Anklage erbeuteten die Beschuldigten über 4300 Diamanten und Brillanten im Gesamtversicherungswert von mindestens 113,9 Millionen Euro und verursachten Sachschäden von gut einer Million Euro. Der Kunstdiebstahl machte auch international Schlagzeilen und schockte nicht nur die Museumswelt.

Das Unvorstellbare sei nur möglich gewesen, „weil es etliche für die Sicherheit Verantwortliche für unmöglich gehalten haben“, sagt der Jurist und Publizist Butz Peters, der den Prozess beobachtet. So funktionierte der Außenschutz durch Scanner, eine Art elektronischer Vorhang der Schlossfassade, nicht, eine seit einem Jahrzehnt bekannte Sicherheitslücke am Einstiegsfenster wurde nicht beseitigt und die Mitarbeiter in der Sicherheitszentrale des Schlosses bekamen offensichtlich nichts davon mit, dass auf ihren Monitoren viermal vor dem Einbruch zu sehen war, wie Menschen über die Schlossmauer kletterten. Warum, das bleibt bisher ein Rätsel.

Ein Eindringen von außen sei undenkbar gewesen, sagten mehrere Verantwortliche des Museums aus. Nach 22 Verhandlungstagen, an denen mehr als 90 Zeugen befragt wurden, spricht vieles dafür, dass der Coup wirklich auf das Konto des Berliner Clans geht, der auch für den Goldmünze-Diebstahl verantwortlich gemacht wird.

Die bis zum Sommer 2021 nach und nach gefassten Beschuldigten sind drei Brüder und deren Cousins und wegen schweren Bandendiebstahls, Brandstiftung und besonders schwerer Brandstiftung angeklagt. Zwei von ihnen verbüßen derzeit wegen des Berliner Coups Jugendstrafen - der Juwelendiebstahl in Dresden fand damals während einer Prozesspause statt, als sie noch auf freiem Fuß waren.

Der Modus operandi spricht für Straftäter aus der Berliner Großfamilie, „das ist deren Handschrift“, sagt Staatsanwalt Thomas Schulz-Spirohn. „Museum, spektakuläre Tat mit maximaler Außenwirkung zur Steigerung der Reputation“ und „mit einer gewissen Arroganz“.

So gab es nach Aussagen von Ermittlern DNA von einem der wegen der Goldmünze Verurteilten am Tatort eines Diebstahls mehrerer Hightech-Geräte aus einer Hydraulik-Firma in Erlangen (Bayern) 2018. Auf dem Weg zur Verhandlung dazu wurde er im November 2019 in einem gestohlenen Auto auf der Autobahn A9 gestoppt, der Kofferraum voller Einbruchswerkzeug und Schutzanzüge. Und Hydraulikspreizen gehören laut Schulz-Spirohn zum „Sign“ von Straftaten dieser Familie.

In Dresden haben die Täter die Gegebenheiten ausgetestet. Sie fuhren in vier Nächten vor dem Einbruch mit Autos von Berlin nach Dresden, hielten sich bis zu einer halben Stunde zwischen Mauer und späterem Einbruchsfenster auf. Alarm, Fehlanzeige. Wann das historische Gitter angesägt und das herausgetrennte Teil provisorisch wieder eingeklebt wurde, ist nicht klar.

Einer der Angeklagten erzählte dem Gericht selbst von einer der vorbereitenden Touren – und dass er über die Schlossmauer kletterte. Auf den Videobildern zweifelsfrei erkennbar ist keiner der mutmaßlich jungen Männer. Es gibt aber DNA-Spuren von dem 28-Jährigen und drei weiteren Angeklagten an der Mauer: einem der 23-jährigen Zwillingsbrüder, einem 25-Jährigen und einem 26-Jährigen.

Fündig wurden Dresdner und Berliner Ermittler in einem der Wagen, der nach Auswertung der Kennzeichenerfassung entlang der Autobahn A13 auch in der Tatnacht im Duo mit einem Audi S6 gen Dresden und Stunden später zurück fuhr – allein. Der als Taxi getarnte und Wochen später in Berlin sichergestellte Pkw wurde Weihnachten 2019 in Brand gesetzt, aber nur teilweise beschädigt. Die Kriminaltechnik fand darin DNA von drei der Angeklagten - und winzige Glassplitter der zertrümmerten Museumsvitrine.

Der nach dem Einbruch in der Tiefgarage eines Wohnhauses, rund vier Kilometer vom Tatort entfernt, entzündete Wagen indes verbrannte. Zerschlagen hat sich, dass zwei Angeklagte - der 25-Jährige und der 24-Jährige – die Personen sind, die im Juwelenzimmer zugriffen. Vor Gericht zerpflückten Gutachter die als Beleg von Hundeführern und Ermittlern vorgetragenen Erkenntnisse der Einsätze von Geruchsspürhunden anderthalb Jahre nach der Tat.

Die jungen Männer, meist in sportlich-eleganter Markenkleidung, verfolgen das Geschehen im Saal aufmerksam, umringt von ihren teils prominenten Strafverteidigern. Oft sitzen Verwandte oder Freundinnen im Publikum, wie an den ersten Verhandlungstagen ein Cousin. Der 22-Jährige wurde am 10. Mai beim Verlassen des Prozessgebäudes dann verhaftet. Der älteste Angeklagte hatte vor Gericht dessen Namen genannt - und damit die Ermittlungen gegen ihn wegen Beihilfe ausgelöst.

Der 28-Jährige erklärte, vom Tatplaner angeheuert worden zu sein. Nach einer Polizeikontrolle in Berlin am Abend des 24. November sei er aus dem Auto ausgestiegen, das die vier Insassen zum Treffpunkt bringen sollte, und nach Hause gegangen. Weitere Namen blieb er schuldig. „Ich habe mit all dem nichts zu tun“, sagte auch ein 23-Jähriger kürzlich.

Prozessbeobachter Peters hält die Beweislage bei den vier Angeklagten für „ziemlich eindeutig“, wegen der unzweifelhaften DNA-Spuren an der Schlossmauer. Bei dem 25-Jährigen aber spreche alles dafür, dass er tatsächlich in einem Krankenhaus in Berlin war. Sein Verteidiger beantragte, das Verfahren abzutrennen und den wegen des Goldmünze-Diebstahls Verurteilten freizusprechen.

Bis kurz vor Weihnachten sind weitere 23 Verhandlungstage terminiert. Nach Angaben eines Gerichtssprechers ist ein Abschluss noch in diesem Jahr möglich, abhängig vom weiteren Verlauf - der Prozess soll am 23. August fortgesetzt werden.

© dpa-infocom, dpa:220724-99-135906/2

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