Ganz nah am Krieg - US-Präsident Biden an der Nato-Ostflanke | FLZ.de

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Veröffentlicht am 25.03.2022 04:05

Ganz nah am Krieg - US-Präsident Biden an der Nato-Ostflanke

US-Präsident Biden (M) isst während seines Besuchs bei der 82. Luftlandedivision der US-Armee ein Stück Pizza. (Foto: Evan Vucci/AP/dpa)
US-Präsident Biden (M) isst während seines Besuchs bei der 82. Luftlandedivision der US-Armee ein Stück Pizza. (Foto: Evan Vucci/AP/dpa)
US-Präsident Biden (M) isst während seines Besuchs bei der 82. Luftlandedivision der US-Armee ein Stück Pizza. (Foto: Evan Vucci/AP/dpa)

So nah ist der US-Präsident dem grausamen Krieg in der Ukraine bisher noch nicht gekommen. Am Nachmittag landet die Air Force One mit Joe Biden an Bord in der Stadt Rzeszow im Südosten Polens.

Nur rund 90 Kilometer ist das von der ukrainischen Grenze entfernt. Biden beginnt seine Reise nach Polen mit einem symbolischen Stopp - der Anführer des Westens reist an die Nato-Ostflanke. Kein Händeschütteln mit polnischen Politikern in der Hauptstadt. Stattdessen bedankt sich Biden mit aufgeknöpftem Hemd ohne Krawatte bei den US-Truppen, die in Polen stationiert sind.

Es ist ein Besuch, von dem sich auch Polen viel erhofft. Das Land hat eine mehr als 500 Kilometer lange Grenze zur Ukraine sowie eine Grenze zur russischen Exklave Kaliningrad. Der Nato-Mitgliedsstaat fühlt sich von Russland bedroht - der Krieg in der Ukraine ist nicht weit weg. In Warschau herrscht parteiübergreifend die Überzeugung, dass man sich nur auf die USA als wahren Verbündeten verlassen kann. Das macht es einerseits leicht für Biden - er hat die Sympathien auf seiner Seite. Allerdings können zu hohe Erwartungen auch allzu leicht enttäuscht werden.

Biden trifft in Rzeszow US-Soldaten - gibt sich nahbar, isst kurz Pizza mit Militärs. „Ich bin aus einem einfachen, wesentlichen Grund gekommen“, sagt er zu den Militärs der 82. Luftlandedivision. „Um danke zu sagen. Danke, danke, danke für Ihren Dienst.“ Die USA hatten vor Kriegsausbruch 4700 Soldaten der 82. Luftlandedivision aus North Carolina nach Polen verlegt. Sie verstärken die bislang 4500 Soldaten, die die USA schon seit längerem in Polen stationiert haben. Einen ständigen US-Militärstützpunkt in Polen gibt es bislang nicht.

Die nationalkonservative PiS-Regierung in Warschau möchte seit langem mehr US-Truppen in ihrem Land haben. Vor Bidens Besuch betonte Regierungschef Mateusz Morawiecki in einem Interview mit der „Washington Post“, sein Land brauche eine permanente US-Militärbasis und 30.000 bis 40.000 US-Soldaten. Es ist unwahrscheinlich, dass die USA Polen diesen Wunsch erfüllen werden. Die westlichen Nato-Mitglieder würden dies als potenzielle Provokation Moskaus sehen.

Ausgeschlossen ist aber nicht, dass die US-Regierung weitere Truppen aus den USA nach Europa schickt, um die Nato-Ostflanke zu stärken. Darum dürfte es auch an diesem Samstag gehen, wenn Biden mit Polens Präsident Andrzej Duda in Warschau weitere Gespräche führt. In Polen sehnt man sich nach amerikanischer Führung. „Ein sicheres Polen und ein (sicheres) Europa brauchen mehr Amerika, sowohl militärisch als auch wirtschaftlich“, hatte Duda in einer Ansprache an die Nation gesagt.

Doch zuletzt hatte es zwischen den Partnern Verstimmungen gegeben. Offenbar nicht abgesprochene Vorschläge Polens sorgten in den USA - freundlich gesagt - für Irritationen. Da war zum einen die Sache mit den Kampfflugzeugen vom Typ MiG-29. Anfang März schlug Warschau vor, die Maschinen über einen US-Stützpunkt in Deutschland an die Ukraine zu übergeben. Die USA lehnten das recht brüsk ab. Eine solche Maßnahme könnte zu einer direkten Konfrontation zwischen Nato-Kräften und russischem Militär führen, was eine Eskalation des Krieges nach sich ziehen könnte, hieß es zur Begründung.

Zudem schlug Polens Vize-Regierungschef Jaroslaw Kaczynski bei einer Visite in Kiew in der vergangenen Woche eine „friedenserhaltende Mission der Nato“ in der Ukraine vor. Auch dieser Vorschlag dürfte bei den Amerikanern auf taube Ohren stoßen. Biden hat ausgeschlossen, dass US-Soldaten in der Ukraine eingesetzt werden. Bidens Begründung: Wenn das US-Militär in der Ukraine gegen russische Soldaten kämpft, würde dies einen Dritten Weltkrieg auslösen. Mit dieser Argumentation lehnen die USA und die Nato auch die Einrichtung einer Flugverbotszone über der Ukraine ab.

Doch Polen wünscht sich von den USA nicht nur militärische Unterstützung. Seit Kriegsbeginn vor einem Monat zählte Polens Grenzschutz 2,2 Millionen Ukrainer, die sich im Nachbarland in Sicherheit gebracht haben. Es gibt keine offiziellen Zahlen dazu, wie viele von ihnen in andere Länder weitergereist sind, aber ein Großteil ist bislang in Polen geblieben.

„Wir sagen nicht Flüchtlinge - es sind Gäste“, erklärt Duda. Biden informiert sich gemeinsam mit Duda in Rzeszow über die humanitäre Unterstützung für die Menschen, die aus der Ukraine fliehen. Der US-Präsident kündigte am Vortag an, bis zu 100.000 Geflüchtete aus der Ukraine in den USA aufnehmen zu wollen. Die Ankündigung macht in Polen Hoffnung - doch ob Bidens Versprechen angesichts der großen Fluchtbewegung ausreichen wird, ist fraglich.

Klar ist: Biden will in Polen starke Bilder produzieren, erneut ein Zeichen gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin setzen. Er ließ sich auch nicht davon aus dem Konzept bringen, dass das Flugzeug mit Duda an Bord wegen eines Schadens nach Warschau zurückkehren musste. Dort stieg Duda in ein Ersatzflugzeug und landete erst mit Verspätung in Rzeszow. Mit Spannung wird nun auch in Polen eine Rede Bidens zum Ukraine-Krieg erwartet. Der US-Präsident will im Warschauer Königsschloss sprechen - es sollen grundsätzliche Worte werden.

© dpa-infocom, dpa:220325-99-663408/9

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