Debatte ums gefährliche Hoppeln: Wie viel Risiko darf sein? | FLZ.de

arrow_back_rounded
Lesefortschritt
Veröffentlicht am 18.06.2022 04:18

Debatte ums gefährliche Hoppeln: Wie viel Risiko darf sein?

Der Niederländer Max Verstappen dreht beim 1. Freien Training in Montreal im Red-Bull-Boliden seine Runden. (Foto: Graham Hughes/The Canadian Press/AP/dpa)
Der Niederländer Max Verstappen dreht beim 1. Freien Training in Montreal im Red-Bull-Boliden seine Runden. (Foto: Graham Hughes/The Canadian Press/AP/dpa)
Der Niederländer Max Verstappen dreht beim 1. Freien Training in Montreal im Red-Bull-Boliden seine Runden. (Foto: Graham Hughes/The Canadian Press/AP/dpa)

Das Thema Langzeitfolgen lässt die Formel 1 vorerst nicht los. Es geht um nichts weniger, als die Gesundheit der Piloten.

„Es ist ein Risiko, das nicht unter unserer Kontrolle ist“, sagt der australische McLaren-Pilot Daniel Ricciardo: „Ich glaube, wir haben wahrscheinlich schon genug Risiko in unserem Sport.“

Heftige Schläge im Dauertakt bei Höchstgeschwindigkeit, Fahrer berichten, dass sie nicht mal die Boxentafel lesen können. Andere hieven sich mit letzter Kraft und größter Mühe aus dem Auto und brauchen fast eine Woche Erholung von den extremen körperlichen Strapazen, die zu den sonstigen Belastungen noch dazukommen.

Wie gefährlich ist das? „Es kann nicht sein, dass wir Fahrer kurz- oder langfristige Schäden davontragen“, betonte Sebastian Vettel. Der viermalige Weltmeister, der über seine eigene Zukunft nach dieser Saison bei Aston Martin noch nicht entschieden hat, ergänzte: „So können wir ja nicht vier, fünf Jahre weiterfahren. Die Gesundheit geht vor Leistung.“

Streitpunkt ist das Hoppeln der neuesten Generation Formel-1-Autos. Bei hohen Geschwindigkeiten werden die Autos auf den Geraden so auf den Boden gepresst, bis diese kurz den Asphalt berühren und so wieder hoch gedrückt werden. Die Fahrer werden dadurch heftigen Erschütterungen ausgesetzt. Hinzu kommt, dass die Autos extrem steif sind, was sich auch noch mal auf die Belastung des Körpers, beispielsweise beim Fahren über die Randsteine, auswirkt.

Besonders stark von dem Effekt ist der neue Mercedes betroffen. Superstar Lewis Hamilton war zuletzt nur mit letzter Kraft und viel Mühe aus seinem Cockpit gestiegen. Auf die Frage, ob er das wie bei einem Notfall auch in unter zehn Sekunden geschafft hätte, antwortete der 37 Jahre und für seine Fitness und Modellfigur bekannte Brite: „Nein, das denke ich nicht.“

Er fühle sich diese Woche definitiv auch ein bisschen kleiner, scherzte der siebenmalige Weltmeister mit Blick auf die Schläge, die vor allem auch seine Wirbelsäule aushalten musste. Hamilton berichtete aber auch über deutlich mehr Kopfschmerzen in den vergangenen Monaten. „Ich habe einfach Schmerztabletten genommen. Hoffentlich habe ich keine Gehirnerschütterungen.“

Die Fahrer hatten sich deswegen an die Fia gewandt. Und der Weltverband reagierte. „In einer Sportart, in der die Teilnehmer routinemäßig mit Geschwindigkeiten von über 300 km/h fahren, wird davon ausgegangen, dass die gesamte Konzentration eines Fahrers auf diese Aufgabe gerichtet sein muss“, hatte es in einer Mitteilung geheißen. „Im Interesse der Sicherheit“ verlangt die Fia von den Rennställen, „dieses Phänomen zu reduzieren oder zu beseitigen“. Diese Entscheidung fiel „nach Rücksprache mit den Ärzten“.

Hamiltons Mercedes-Kollege George Russell, der zuletzt in Baku nach eigener Aussage nicht mehr lesen konnte, was auf der Boxentafel stand, sprach von einem „Heilpflaster“, aber keiner „nachhaltigen Lösung für das Problem“. Hinzu kommt, dass am Wochenende in Kanada Medienberichten zufolge keine Sanktionen drohen. Es soll demnach zunächst nur ein Test sein.

Weltmeister Max Verstappen scheint die Diskussion um Sicherheit und Gesundheit nicht so richtig zu packen. „Es gibt viele Sportarten, bei denen du deinen Körper schädigst. Und wenn du mal deine Karriere beendest, bist du nicht mehr wie mit 20. So ist es einfach“, sagte der 24 Jahre alte Niederländer. Fußballer hätten halt Probleme mit den Knien. „Wir sollten nicht überdramatisieren, was im Moment passiert“, meinte Verstappen. „Es gibt keinen Handlungsbedarf. Wer ein Problem hat, soll sein Auto höhersetzen“, betonte Red Bulls Motorsportberater Helmut Marko.

Regeländerungen in einer Saison seien nicht in Ordnung. Das Hoppeln sei nicht schön und nicht korrekt, manche Teams würden damit aber einfach besser umgehen als andere. Er sehe nur ein Auto, das wirklich Probleme damit habe, sagte Teamchef Christian Horner beim Sender Sky Sport. Einig waren sich er und Mercedes-Teamchef Toto Wolff, dass das Überwachen der Maßnahmen anhand von Datenzahlen und Metriken äußerst schwierig ist.

Es bleibt ein emotionales Streitthema, bei dem auch WM-Mitkämpfer Charles Leclerc von Ferrari eher Verstappen beipflichtet: „Ich bin damit nicht komplett einverstanden. Es ist die Verantwortung des Teams, mir ein Auto zu geben, mit dem ich fahren kann.“ Sein Kollege Carlos Sainz funkte am Freitag aber beim zweiten Freien Training an die Ferrari-Box: „Jungs, das Hüpfen ist echt schlimm.“

© dpa-infocom, dpa:220617-99-707183/5

north