Bundestag beschließt Weiterbetrieb von drei Atomkraftwerken | FLZ.de

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Veröffentlicht am 11.11.2022 09:44

Bundestag beschließt Weiterbetrieb von drei Atomkraftwerken

Der Kühlturm des Atomkraftwerks Isar 2 im Landkreis Landshut. (Foto: Felix Hörhager/dpa)
Der Kühlturm des Atomkraftwerks Isar 2 im Landkreis Landshut. (Foto: Felix Hörhager/dpa)
Der Kühlturm des Atomkraftwerks Isar 2 im Landkreis Landshut. (Foto: Felix Hörhager/dpa)

Zur Sicherung der Stromversorgung hat der Bundestag dem vorübergehenden Weiterbetrieb der drei letzten Atomkraftwerke in Deutschland zugestimmt. Die Meiler Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland sollen damit bis zum 15. April 2023 in Betrieb bleiben, wie das Parlament mit den Stimmen der Ampel-Fraktionen SPD, Grüne und FDP am Freitag in Berlin beschloss. Die Kraftwerke hätten im Zuge des Atomausstiegs eigentlich zum Jahresende abgeschaltet werden sollen.

In namentlicher Abstimmung votierten 375 Abgeordnete für die Änderung des Atomgesetzes, dagegen stimmten 216. 70 Parlamentarier enthielten sich. Insgesamt wurden 661 Stimmen abgegeben. In der Ampel gab es bei den Grünen 9 Nein-Stimmen und eine Enthaltung. Die Abgeordneten von SPD und FDP stimmten geschlossen für die Verlängerung der Laufzeiten. Im letzten Schritt ist nun der Bundesrat am Zug, der sich in seiner Sitzung am 25. November mit dem Vorhaben befassen könnte. Dass die Länderkammer die Pläne zu Fall bringt, ist aber unwahrscheinlich.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) bezeichnete den Atomausstieg als „Sicherheitsgewinn“ für Deutschland. „Dies gilt aktuell umso mehr, als wir zum ersten Mal erleben, dass ein Staat nicht davor zurückschreckt, Atomkraftwerke militärisch anzugreifen und zu beschießen“, teilte sie nach der Bundestagsentscheidung mit. „In einer Krise wie dieser können uns Hochrisikoanlagen wie diese noch verwundbarer machen.“

Es bleibt beim Atomausstieg

Der SPD-Abgeordnete Carsten Träger sagte mit Blick auf den 15. April: „Ich werde an diesem Tag meine Kinder und meine Frau umarmen und mit einem Glas Sekt anstoßen.“ Die Entscheidung für einen sogenannten Streckbetrieb sei verantwortbar. Es bleibe beim Atomausstieg. „Dann können Sie von der Unionsfraktion sich auf den Kopf stellen, mit den Füßen wackeln, dann ist Schluss, ein für alle Mal.“

Carina Konrad von der FDP verteidigte den Beschluss als Entscheidung der Vernunft. Es sei kein „Selbstzweck der Ampel“. Es gehe darum, die Stromversorgung im Winter zu sicher. Sie regte aber auch an, sich Gedanken über die Förderung von Schiefergas in Deutschland zu machen.

Scharfe Kritik an dem Gesetzentwurf kam von der Union. Er sei „ein Minimalkonsens, Ergebnis einer zermürbenden monatelangen Debatte“ innerhalb der Ampel-Koalition, sagte der Abgeordnete Steffen Bilger (CDU). Eine nur kurzfristige Verlängerung der Laufzeiten bringe zu wenig Entlastung beim Preis und bei der Sicherheit der Energieversorgung. „Das Ganze ist ein Zu-wenig-Gesetzentwurf.“

Union nicht überzeugt

Neben einem deutlichen Ausbau der erneuerbaren Energien hatte die CDU/CSU-Fraktion für die drei letzten deutschen Atomkraftwerke eine Laufzeitverlängerung bis mindestens Ende 2024 vorgeschlagen. Sie begründete das mit den hohen Strompreisen. Der CSU-Parlamentarier Andreas Lenz warf insbesondere Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in der Debatte um den Weiterbetrieb Fehlinformationen vor: „Lügen haben kurze Laufzeiten!“

Die Union nehme das Sicherheitsrisiko durch eine Laufzeitverlängerung „billigend in Kauf“, sagte der Grünen-Abgeordnete Harald Ebner. Nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl in den 1980er Jahren sei vielen klar geworden: „Atomkraft ist keine Lösung, und sicher ist nur das Risiko.“ Die Frage der Endlagerung des Atommülls sei ungelöst. Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Christian Kühn, sprach mit Blick auf 16 Jahre unionsgeführter Bundesregierungen von einem „energiepolitischen Fiasko“.

Der Linken-Abgeordnete Ralph Lenkert warnte auch vor den Risiken der Atomkraft. „Menschliches Versagen beim Betrieb ist immer möglich, siehe Tschernobyl.“ Seine Fraktion fordere eine Verstaatlichung der Übertragungsnetze und staatliches Geld zur Stabilisierung der Strompreise. Das größte Risiko für die Stromversorgung gehe von Spekulationen mit Strom aus.

AfD beklagt „irre Sanktionspolitik“

Thomas Ehrhorn von der AfD erklärte, die Grünen hätten schon lange geplant, die günstigen russischen Gaslieferungen zu sabotieren. Nicht Russland habe künstlich eine Preisknappheit geschaffen sondern die Regierung. Er sprach von einer „irren Sanktionspolitik“. Deutschland sei auf dem Weg „in die Zerstörung unserer Industrienation“. Seine Fraktion hatte die Aufhebung der AKW-Laufzeitbeschränkungen verlangt sowie Fördergelder zur Forschung an der Kernenergie.

Außerhalb des Bundestags gab es ebenfalls deutliche Kritik an dem Beschluss. Die Anti-Atom-Organisation Ausgestrahlt bezeichnete die Laufzeitverlängerung etwa als einen „schweren Fehler“, der akute Sicherheitsmängel der Reaktoren ignoriere. Greenpeace nannte den Weiterbetrieb der Kraftwerke unnötig, da ihr winziger Beitrag zur Stromerzeugung die überhöhten Strompreise nicht nennenswert senken werde. Der Bund für Umwelt und Naturschutz hält die Entscheidung für verantwortungslos. Nicht Netzstabilität und Versorgungssicherheit, sondern machtpolitisches Geklüngel der Ampel-Regierung und falsche Ideologie hätten hierfür den Ausschlag gegeben.

Der Beschluss des Bundestags ist der vorläufige Schlusspunkt eines heftigen Streits innerhalb der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte Ende Oktober mit einem Machtwort entschieden, dass die verbliebenen drei Atomkraftwerke bis zum 15. April weiter betrieben werden sollen. Vorangegangen war eine lange Auseinandersetzung zwischen Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Habeck.

© dpa-infocom, dpa:221111-99-476532/9

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