Bachmann-Wettlesen mit Whiskyhändlerin und Soziologen | FLZ.de

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Veröffentlicht am 22.06.2022 12:07

Bachmann-Wettlesen mit Whiskyhändlerin und Soziologen

Usama Al Shahmani floh als Erwachsener aus dem  Irak in die Schweiz, nachdem er wegen eines regimekritischen Theaterstücks ins Visier der Polizei geraten war. Er gehört zu den 14 Autoren und Autorinnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz beim Bachmannpreis 2022. (Foto: Ayse Yavas/ORF/dpa)
Usama Al Shahmani floh als Erwachsener aus dem Irak in die Schweiz, nachdem er wegen eines regimekritischen Theaterstücks ins Visier der Polizei geraten war. Er gehört zu den 14 Autoren und Autorinnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz beim Bachmannpreis 2022. (Foto: Ayse Yavas/ORF/dpa)
Usama Al Shahmani floh als Erwachsener aus dem Irak in die Schweiz, nachdem er wegen eines regimekritischen Theaterstücks ins Visier der Polizei geraten war. Er gehört zu den 14 Autoren und Autorinnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz beim Bachmannpreis 2022. (Foto: Ayse Yavas/ORF/dpa)

Multilinguale Multitalente kämpfen diese Woche bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur um den renommierten Bachmann-Preis.

Unter den 14 Autoren und Autorinnen, die ab Donnerstag beim Wettlesen im österreichischen Klagenfurt ihre Texte präsentieren, ist die in Berlin und Rom lebende Eva Sichelschmidt, die sich neben dem Schreiben als Whisky- und Zigarrenhändlerin betätigt.

Juan S. Guse ist nicht nur Schriftsteller, sondern auch Soziologe an der Universität Hannover. Der im Iran geborene Behzad Karim Khani betreibt eine Berliner Bar und bringt im Sommer seinen ersten Roman heraus. Erstmals seit Beginn der Corona-Pandemie kommen Jury, Lesende und Publikum wieder in Klagenfurt zusammen, und nicht in einem virtuellen oder hybriden Format wie 2020 und 2021.

„Auf Dauer brauchen die Diskussionen und die Branche die Begegnung vor Ort, damit der Bewerb so lebendig bleibt wie er es seit 46 Jahren ist“, sagte die Juryvorsitzende Insa Wilke der Deutschen Presse-Agentur. Etwas virtuell bleibt die Veranstaltung trotzdem, denn die dreitägigen Lesungen finden erstmals auf einer Open-Air-Bühne statt, und nicht wie sonst direkt vor der Jury. Die sitzt nun ohne Autorinnen und Autoren in einem TV-Studio.

Bewertet wird diesmal nach einem neuen System, bei dem die Jurymitglieder am Samstagabend vorerst geheim einen bis neun Punkte an ihre jeweiligen Favoriten vergeben. Auf Basis der Gesamtpunkte wird am Sonntag der mit 25 000 Euro dotierte Ingeborg-Bachmann-Preis der Stadt Klagenfurt vergeben, der nach der dort geborenen Schriftstellerin (1926-73) benannt ist. In den Jahren zuvor wurde eine Shortlist in einem nichtöffentlichen Prozedere erstellt und danach öffentlich abgestimmt. Voriges Jahr gewann die in Teheran geborene, in Köln aufgewachsene und in Graz lebende Nava Ebrahimi mit ihrem Text über Flucht und Trauma den Hauptpreis.

Während Ebrahimi schon als Kind nach Deutschland kam, floh der diesjährige Teilnehmer Usama Al Shahmani erst als Erwachsener vom Irak in die Schweiz, nachdem er wegen eines regimekritischen Theaterstücks ins Visier der Polizei geraten war. Auch der aus Rumänien stammende Dichter Alexandru Bulucz und die auf deutsch schreibende Slowenin Ana Marwan sind beim Wettlesen dabei. „Wie die Gesellschaft insgesamt muss auch der Literaturbetrieb seine Ausschlussmechanismen reflektieren und sich um Öffnung bemühen“, sagte Jury-Chefin Wilke. So bleibe Literatur in Bewegung. Bislang ausgeschlossene Perspektiven können laut Wilke „zu anderen Geschichten und auch zu neuen literarischen Mitteln führen.“ Grundsätzlich hielt sie fest: „Es ist nicht die Herkunft, die literarische Qualität entscheidet“.

So intellektuell und bedeutend das Wettlesen auch ist - manche der Teilnehmer sind sich bewusst, dass es sich in gewissem Sinn auch um eine Casting-Show handelt und gestalteten entsprechend ironische Vorstellungsvideos. „Klagenfurt ist so aufregend wie L.A. oder Tokio“, singt etwa der aus Bayern stammende Leon Engler in einem eigens komponierten Song. „Ich frage mich ja schon länger, was diese Schriftsteller im Fernsehen eigentlich genau wollen“, nörgelt ein Sprecher im Clip der deutschen Sprach-Performerin Mara Genschel. Elias Hirschl, der voriges Jahr mit seiner Politsatire „Salonfähig“ für Aufsehen sorgte, treibt hingegen das Klischee des zurückgezogenen Autors auf die Spitze, indem er sich in seinem fast wortlosen Video Essen nach Hause liefern lässt und dann die Wohnungstür zuknallt.

© dpa-infocom, dpa:220620-99-729682/3

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