Schneeweiße Hochzeitstauben flattern in den Brandenburger Himmel, entlassen aus den Händen von Rainer Österwitz, Taubenzüchter aus Klaistow bei Potsdam. Der gelernte Metallbauer hat in dieser Zeit viel zu tun: Bei Jugendweihen, Beerdigungen und vor allem bei Hochzeiten sind seine Tauben gefragt. Dabei werden die Tiere aus der Hand oder einem geflochtenen Holzkorb entlassen, flattern eine Runde über die Köpfe der Feiergemeinschaft und fliegen dann wieder in ihren heimischen Schlag.
Den Brauch, Tauben aufsteigen zu lassen, gibt es schon seit vielen Jahren. „Weiße Tauben sind das Gespann am Himmelswagen der Liebesgöttin Aphrodite. Bei Noah sind sie die Boten vom Ende der Sintflut. Im Neuen Testament symbolisiert eine weiße Taube den Geist Gottes. In der allgemeinen Symbolik steht die Taube für den Frieden“, erklärt Manfred Becker-Huberti, Theologe und Brauchtumsforscher. „Das Auffliegen von Tauben bei einer Hochzeit steht für den Beginn einer neuen friedlichen, glücklichen und treuen Verbindung von zwei Menschen.“ Es sei ein Übergangsritus.
Bevor die Tauben ihre erste Flugeinlage bei einer Hochzeit einlegen, müssen sie bei Österwitz den Rückflug üben. „Trainieren ist das A und O, bevor die Tauben bei Hochzeiten fliegen dürfen“, sagt er. Entsprechend fahre er mit den Tauben mehrmals mit wachsender Entfernung aus dem Dorf, um den Rückflug und die Orientierung zu trainieren. Er verdopple dabei immer die Strecke bis zum heimischen Schlag, berichtet der Taubenzüchter.
Die Rückkehrquote der Tauben liegt bei Österwitz bei längeren Flügen bis etwa 150 Kilometern bei rund 95 Prozent. Die restlichen fünf Prozent gingen auf das Konto des Habichts oder anderer Greifvögel. Dass sich seine Tiere verirren und schließlich sterben, ist ihm zufolge wegen des Trainings quasi auszuschließen. Zudem gehe es nur um den näheren Umkreis. „Da sind die meist schneller zurück als ich.“
Tierschützer kritisieren aus mehreren Gründen das Geschäft mit den Hochzeitstauben: „Der Moment, der das Hochzeitspaar und die Gäste so emotional berührt, bedeutet für viele Tauben daher im gleichen Augenblick das sichere Todesurteil“, sagt ein Sprecher des Deutschen Tierschutzbundes. Viele der Tiere „verfliegen sich, verhungern, verdursten, sterben bei dem Flug gegen Hochspannungsleitungen, an Entkräftung oder durch Kollisionsverletzungen oder werden aufgrund ihrer auffälligen weißen Farbe leichter von Greifvögeln erbeutet“.
Österwitz widerspricht dieser Kritik in Teilen. Es gebe sicher „schwarze Schafe“ unter den Züchtern, die den Rückflug nicht trainierten. In solchen Fällen fehlt demnach den Tauben die Orientierung und sie verenden nach ihrem Auftritt bei der Hochzeit. Langjährige Züchter hingegen lassen die Tiere nie ohne Training lange Distanzen fliegen, ist sich Österwitz sicher. Er schicke seine Tiere niemals bei schlechtem Wetter oder bei Regen los. Unter diesen Umständen könnten sich die Tiere schlechter orientieren.
Brandenburgs Tierschutzbeauftragte Anne Zinke sieht den Brauch, Tauben auf Hochzeiten fliegen zu lassen, ebenfalls kritisch. „Manche Tauben sind aufgrund ihrer Körperkonstitution nicht ausreichend flugfähig“, sagt sie. Zudem erzeugt das Halten in der Hand - wie bei Hochzeiten von Braut und Bräutigam üblich - bei den Tieren Stress.
Für dringend überarbeitungswürdig hält Zinke die rechtliche Grundlage der benötigten Erlaubnis zum Geschäft mit den Hochzeitstauben. Die Voraussetzungen dafür seien in einer Passage des Tierschutzgesetzes vermerkt, die aus dem Jahr 2000 stamme. Sie sei „weder an die seitdem erlassenen Gesetzesnovellierungen noch an den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse angepasst“, betont Zinke.
Tauben sind laut Österwitz eine der traditionsreichsten Zuchtarten weltweit. Es gab sie schon in der Antike. In den Weltkriegen waren sie an der Front. In manchen Ländern können sie heutzutage eine Millionensumme kosten. Der berühmte ehemalige Boxer Mike Tyson gehört zu den prominentesten Vertretern der Taubenzüchtergilde.
Vom „Rennpferd des kleinen Mannes“ oder dem „gefiederten Rennpferd“ war früher viel die Rede. Dabei können einige Exemplare durchaus weit über 100.000 Euro kosten. Österwitz sagt, er habe mal für eine Zuchttaube etwa 2500 Euro bezahlt. „So eine lässt man dann aber nicht die Strecken machen.“ Zu groß sei die Gefahr durch den Habicht.
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