80er-Jahre-Partymusik dröhnte aus den Boxen, die Kabinenparty nach dem verdienten und emotionalen Viertelfinal-Coup gegen die Schweiz sollte aber gesittet bleiben. Kapitän Moritz Müller wollte seinen Mitspielern nach dem dritten Einzug in ein WM-Halbfinale „nur ein Bier“ genehmigen, Bundestrainer Harold Kreis sogar „gar keins“. Der deutsche Triumphzug bei der Eishockey-Weltmeisterschaft soll auch nach dem fünften Sieg in Serie in Finnland und Lettland weitergehen. Im Halbfinale gegen die USA am Samstag (17.20 Uhr) in Tampere sieht die DEB-Auswahl nun die Chance auf die erste WM-Medaille nach 70 Jahren. „Es wird mal wieder Zeit“, sagte Bundestrainer Kreis am Donnerstag in Riga nach dem eindrucksvollen 3:1 (1:0, 2:1, 0:0) gegen den Erzrivalen Schweiz.
Bei seiner WM-Premiere als Chefcoach schaffte der 64 Jahre alte Nachfolger von Toni Söderholm mit dem erneuten Viertelfinal-Sieg gegen die Schweiz nebenbei auch die direkte Qualifikation für die Olympischen Winterspiele 2026 in Mailand. Eins von zwei Zielen, die der Deutsche Eishockey-Bund Kreis mit auf den Weg gegeben hatte. Das erste Ziel - die Viertelfinal-Qualifikation ist bereits übererfüllt. Wie schon nach den Viertelfinalsiegen 2010 und 2021 - damals ebenfalls in Riga - gegen die Schweiz greift Deutschland wieder nach einer WM-Medaille. Zuletzt wurde es jeweils am Ende „nur“ Platz vier.
„Wir werden das noch motivierter angehen als noch vor zwei Jahren“, sagte NHL-Stürmer John-Jason Peterka von den Buffalo Sabres, der schon 2021 dabei gewesen war und diesmal das wichtige 2:1 (38.) schoss. Mit beeindruckender mannschaftlicher Geschlossenheit, Willen und viel Kampf rang die DEB-Auswahl die Schweiz, die diesmal als großer Favorit ins Spiel gegangen war, nieder. Dabei fiel sogar eine Spieldauerdisziplinarstrafe gegen NHL-Verteidiger Moritz Seider nichts ins Gewicht.
„Ab da an haben wir auch für Moritz gespielt“, sagte Peterka rückblickend. „Ich bin einfach stolz auf das, was die Mannschaft geleistet hat. Das war überragend“, sagte der erneut starke NHL-Stürmer Nico Sturm, der sich in den Schlussminuten in jeden Schuss warf und das entscheidende dritte Tor in Unterzahl (39.) geschossen hatte. „Ich glaube, es ist noch viel möglich“, sagte der Stanley-Cup-Sieger von 2022 anschließend. Für Angreifer Marcel Noebels war es „ein Tag, der nicht besser hätte kommen können“. Die Mannschaft habe es „verdient“, sich endlich mal mit einer Medaille zu belohnen.
Dass die Mannschaft nach der Entwicklung der letzten Tage bei der WM nun auch einen Favoriten schlagen kann, bewies sie sich am Donnerstag. Erstmals seit dem unglücklichen Auftakt mit knappen Niederlagen gegen Schweden (0:1), Finnland (3:4) und die USA (2:3) war Deutschland wieder als Außenseiter in das Spiel gegangen. Die Schweiz als souveräner Erster der Vorrundengruppe B wurde in der Heimat bereits als „bestes WM-Team der Geschichte“ gefeiert, muss nun aber erneut vorzeitig die Heimreise antreten.
Auch weil Trainer Patrick Fischer einen folgenschweren Fehler begangen und auf seine Nummer eins Leonardo Genoni verzichtet hatte, der bei den vorherigen beiden K.o.-Spiel-Niederlagen gegen Deutschland 2018 (Olympia) und 2021 im Tor der Eidgenossen gestanden hatte. Für den bei der WM bislang herausragenden Torhüter stand Robert Mayer von Servette Genf im Tor und patzte früh entscheidend. Maximilian Kastner (7. Minute) vom EHC Red Bull München brachte Deutschland mit einem haltbaren Schuss in Führung.
Plötzlich war die Schweizer Furcht vor einer erneuten Pleite gegen Deutschland spürbar. Im Mitteldrittel leisteten sich Andreas Ambühl und Enzo Corvi Frustfouls mit fiesen Stockschlägen. In der nun hitzigeren Partie ließ sich auch Seider zu einem üblen Check gegen Gäetan Haas hinreißen, der das deutsche Team schwächte.
„Ich hoffe, dass der Mo im Halbfinale spielen kann. Das ist vielleicht das Einzige, was nicht perfekt war“, sagte Kapitän Müller zu einer möglichen Sperre für den Verteidiger der Detroit Red Wings. Die Reaktion von Seiders Teamkameraden darauf war indes besonders stark. „Wir sind eng zusammengewachsen in der kurzen Zeit. Es gibt hier keine Egos. Immer kommt der Teamgedanke zuerst. Einer spielt für den anderen, nur so kann man hier erfolgreich sein“, sagte Müller.
In der intensiven Schlussphase warfen sich die deutschen Spieler vehement den drückenden Schweizern entgegen. „Mein Puls war über 200“, meinte Peterka: „Es war unglaublich, wie sich jeder in jeden Schuss geworfen hat, manchmal zu zweit.“
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