Achtung Schuldenfalle: Beratungsstellen beklagen Hürden | FLZ.de

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Veröffentlicht am 25.05.2022 11:36

Achtung Schuldenfalle: Beratungsstellen beklagen Hürden

Immer weniger Menschen wenden sich bei Geldproblemen an Insolvenzberatungsstellen. (Foto: Lino Mirgeler/dpa/Illustration/Archivbild)
Immer weniger Menschen wenden sich bei Geldproblemen an Insolvenzberatungsstellen. (Foto: Lino Mirgeler/dpa/Illustration/Archivbild)
Immer weniger Menschen wenden sich bei Geldproblemen an Insolvenzberatungsstellen. (Foto: Lino Mirgeler/dpa/Illustration/Archivbild)

Arbeitslosigkeit, Erkrankung, Scheidung - finanzielle Probleme habe viele Ursachen. Nur wenige Menschen suchen rechtzeitig Rat in Schulder- und Insolvenzberatungsstellen.

„Die meisten kommen zu spät in die Schuldnerberatung“, sagt Ines Moers, Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung (BAG-SB). „Ganz viele Menschen wissen nicht, dass sich nicht erst dann in die Beratung kommen können, wenn ihnen die Insolvenz droht.“

Schätzungen zufolge sind in Deutschland drei bis sieben Millionen Menschen überschuldet. Im vergangenen Jahr nahmen gerade einmal knapp 575.000 Männer und Frauen Hilfe von Beratungsstellen in Anspruch. Das waren nach Angaben des Statistischen Bundesamtes etwas weniger als ein Jahr zuvor (588.000).

Mit einer bundesweiten Aktionswoche (30.5. bis 3.6.2022) wollen die Schuldnerberatungen das ändern und ihren Anliegen Nachdruck verleihen.

„Wir haben während der Corona-Krise steigende Beratungszahlen in unseren Schuldnerberatungsstellen gesehen“, schilderte Moers. „Aktuell sind wir wieder auf einem ähnlichen Niveau wie vor der Pandemie. Wir rechnen aber tendenziell mit steigenden Zahlen auch angesichts der zuletzt extrem gestiegenen Preise.“ Hohe Energie- und Lebensmittelpreise werden für immer mehr Haushalte zur Belastung.

In einer YouGov-Umfrage im Auftrag der Postbank gab im März fast jeder siebte Erwachsene in Deutschland (15,2 Prozent) an, die Lebenshaltungskosten kaum noch bestreiten zu können. Im Januar hatten noch 11 Prozent angegeben, sie sähen wegen der hohen Inflation ihre Existenz bedroht. Die Teuerung ist auf den höchsten Stand seit Jahrzehnten geklettert: Im April lagen die Verbraucherpreise in Deutschland um 7,4 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats.

Die Schuldnerberatungen in Deutschland fordern einen gesetzlichen Anspruch auf kostenlose Schulder- und Insolvenzberatung. „Die Hürden sind oft zu hoch: In manchen Bundesländern ist der Zugang zu den Beratungsstellen über das Einkommen begrenzt“, kritisierte Moers im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Frankfurt. „Wir fordern einen rechtlichen Anspruch auf Schuldnerberatung.“

Den Zahlen des Wiesbadener Bundesamtes zufolge stand dem Haushalt einer überschuldeten Person, die sich an eine Beratungsstelle wandte, durchschnittlich ein monatliches Nettoeinkommen von 1368 Euro zur Verfügung. Im Schnitt ging mehr als ein Drittel davon (38 Prozent) für die Wohnung einschließlich Energie- und Nebenkosten drauf.

Als häufigsten Grund für Überschuldung nannten Betroffene demnach wie ein Jahr zuvor Arbeitslosigkeit (19,9 Prozent), gefolgt von Erkrankung, Sucht oder Unfall (zusammen 16,9 Prozent) sowie Trennung, Scheidung oder Tod der Partnerin beziehungsweise des Partners (zusammen 12,2 Prozent).

Tausende Verbraucherinnen und Verbraucher rutschen Jahr für Jahr in die Insolvenz. Von 2020 auf 2021 hat sich die Zahl der Privatpleiten in Deutschland nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes auf 79.620 fast verdoppelt. Dass die Fallzahlen erstmals seit zehn Jahren wieder nach oben gingen und dann auch noch sprunghaft, erklären Experten mit einer Gesetzesänderung, die etliche Betroffene abgewartet haben dürften. Verbraucher können nun nach drei statt nach bisher weitgehend üblichen sechs Jahren von ihren Restschulden befreit werden. Diese Verkürzung gilt seit dem 1. Oktober 2020.

Die Wirtschaftsauskunftei Crif prognostizierte im Februar für das laufende Jahr weiter steigende Zahlen von Verbraucherinsolvenzen. „Die finanziellen Reserven vieler Betroffener sind aufgebraucht. Dazu kommen die stetig steigenden Miet- und Energiepreise“, erläuterte Crif-Geschäftsführer Frank Schlein seinerzeit. „Daher gehen wir auch 2022 von weiter hohen Privatinsolvenzzahlen aus.“

Viele dieser Fälle könnten nach Einschätzung der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung verhindert werden, wenn Menschen frühzeitig in die Beratungsstellen kämen. Der Staat sei in der Pflicht, für eine bessere Finanzierung der Schuldnerberatung zu sorgen, forderte Geschäftsführerin Moers. „Auch die Gläubiger sollten sich an den Kosten der Beratung beteiligen, schließlich ist das Angebot auch in ihrem Interesse. Europaweit gibt es zahlreiche Beispiele, wie eine Gläubigerfinanzierung umgesetzt werden kann.“ Die Aktionswoche soll den Menschen ihre Möglichkeiten auftun und sie bei ihrem Vorgehen unterstützen.

© dpa-infocom, dpa:220525-99-425337/7

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