20 Jahre Welterbe: Das Rheintal boomt | FLZ.de

arrow_back_rounded
Lesefortschritt
Veröffentlicht am 22.06.2022 15:50

20 Jahre Welterbe: Das Rheintal boomt

Der Raddampfer „Goethe“ passiert den Loreleyfelsen bei St. Goar. (Foto: Thomas Frey/dpa)
Der Raddampfer „Goethe“ passiert den Loreleyfelsen bei St. Goar. (Foto: Thomas Frey/dpa)
Der Raddampfer „Goethe“ passiert den Loreleyfelsen bei St. Goar. (Foto: Thomas Frey/dpa)

Jubel im Oberen Mittelrheintal, die Unesco erhebt es zum Welterbe: Am Montag (27. Juni) ist diese Anerkennung genau 20 Jahre her. Seitdem steht die Region in einer Reihe etwa mit der Chinesischen Mauer und dem Grand Canyon in den USA.

Was hat sich seither getan in dem Tal mit der einzigartigen Burgendichte und dem sagenumwobenen Loreley-Felsen, mit mittelalterlichen Städtchen und steilen Waldhängen und Weinbergen?

67 Kilometer lang erstreckt sich das überwiegend rheinland-pfälzische Welterbegebiet zwischen Koblenz im Norden und Bingen und dem hessischen Rüdesheim im Süden. „Eine Gegend wie ein Dichtertraum“, so hat Heinrich von Kleist vor mehr als 200 Jahren vom Mittelrheintal als Inbegriff der Rheinromantik geschwärmt.

2015 hingegen bezeichnet der damalige Mainzer Kulturstaatssekretär Walter Schumacher (SPD) die weltberühmte Loreley als „relativ versifft“. Tourismus mit dem Charme der Nachkriegszeit, Bevölkerungsschwund, schrumpfender Weinbau und extremer Bahnlärm - schon 2002 hatte das Obere Mittelrheintal mit großen Problemen zu kämpfen.

Das begehrte Gütesiegel Welterbe empfanden daher viele als Segen: mehr Aufmerksamkeit, mehr Förderungen. Der stellvertretende Verbandsvorsteher des Zweckverbands Welterbe Oberes Mittelrheintal, Volker Boch, sagt, das Bewusstsein für die Einmaligkeit der Landschaft sei damit gestärkt worden.

Die geplante Bundesgartenschau (Buga) in dem Talabschnitt soll 2029 einen weiteren Schub bringen - wie auch schon die erfolgreiche Buga 2011 in Koblenz als Tor zum Welterbe. Denn: Der Unesco-Titel soll keine Käseglocke sein. Die Generaldirektorin der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, Heike Otto, spricht von einem „lebendigen Welterbe, also einer sich immer weiter entwickelnden Region. Daher wird es immer den Spagat zwischen Erhalt und Erneuerung geben.“ Es sei seit 2002 gelungen, „Highlights in Szene zu setzen“.

Damit bezieht sich Otto auf die Sanierung etlicher Baudenkmäler und die naturnahe Umgestaltung des Loreley-Felsplateaus hoch über dem Rhein in den Jahren nach der Kritik von Schumacher.

Und auch der Kegelclub- und Bustourismus im Tal sei längst Wander- und Radtouristen gewichen, sagt der parteilose Rhein-Hunsrück-Landrat Boch. Der rechtsrheinische Fernwanderweg Rheinsteig boomt - und linksrheinisch ist gerade erst der Welterbesteig hinzugekommen. „Die Leute wollen in die Natur, gerade in Corona-Zeiten“, betont Boch. Asiatische Urlauber blieben zwar aus - dafür kämen aber mehr deutsche Gäste.

Auch der Radtourismus müsse weiter ausgebaut werden. Der rechtsrheinische Radweg hat noch Lücken. Planungen und Bauarbeiten laufen. Die Geschäftsführerin des Zweckverbands Welterbe Oberes Mittelrheintal, Nadya König-Lehrmann, sieht weiteres Potenzial: „Jetzt werden auch Radwege mit der Einbindung von Höhenlagen entwickelt. Mit E-Bikes ist das ja inzwischen machbar.“

Aus dem wirtschaftsschwachen Tal sind viele junge Leute weggezogen. Inzwischen schöpft der Zweckverband zwar wieder neue Hoffnung. Laut König-Lehrmann ist die Einwohnerzahl im Welterbegebiet von 2005 bis 2015 von 297.000 auf 284.000 gesunken - seitdem jedoch wieder um 4000 gestiegen. Aber: „Der Zuzug zeigt sich vor allem in den Anfangskommunen wie Koblenz und Bingen. Je weiter man in die Mitte des Tals kommt, desto weniger stark ist der Zuzug.“

Hartmut Fischer vom Rheinischen Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz erklärt sogar: „Die Verödung mancher Ortskerne von Talgemeinden und Gemeinden in den Seitentälern mit dem damit verbundenen Leerstand konnte kaum gestoppt werden.“ Er sehe im Welterbetal kaum größere Verbesserungen seit dem Jahr 2002.

Jahrzehntelang dramatisch geschrumpft ist auch das Weinbaugebiet Mittelrhein mit seinen mühsam zu bewirtschafteten Steillagen. König-Lehrmann versichert jedoch: „Da ist aber die Talsohle erreicht. Es waren schon mal weniger als rund 450 Hektar - jetzt sind es etwa 500 Hektar.“ Junge Winzer bepflanzten teils wieder Brachflächen. „Sie arbeiten auch beim Marketing zusammen“, sagt die Geschäftsführerin.

Unterhalb der Steillagen mit ihren Weinreben verlaufen die zwei vor mehr als 150 Jahren gebauten Bahnstrecken. Die rechtsrheinischen Gleise gehören laut Deutscher Bahn zu Europas meistbefahrender Güterzugstrecke zwischen Genua und Rotterdam. Und das hat Folgen für die Menschen. Das schalltrichterartige Flusstal verstärkt den Lärm. Dem Verein Pro Rheintal zufolge leiden Anwohner unter Schlafstörungen, Kopfschmerzen und hohem Blutdruck.

Die Deutsche Bahn verweist auf Verbesserungen wie Schallschutzwände, Schienenstegdämpfer, geglättete Gleise und Flüsterbremsen ihrer Güterzüge. Schon lange im Gespräch ist ein gut 100 Kilometer langes Tunnelsystem durch Westerwald und Taunus für Güterzüge zur Entlastung des Welterbegebiets. Kommen könnte es wohl aber erst in Jahrzehnten.

Nicht entlang des Flusses, sondern einmal quer rüber gelangen Besucher des Oberen Mittelrheintals nur über Fähren - es gibt bis heute keine feste Querung. Schon seit einem halben Jahrhundert wird über die geplante Mittelrheinbrücke nahe der Loreley debattiert. Sie dürfte kaum vor der Buga 2029 fertig sein.

In Koblenz schwebt zudem eine Seilbahn über den Rhein hoch hinauf zur Festung Ehrenbreitstein. Bislang hat die Unesco dem Betrieb nur bis 2026 zugestimmt. Landrat Boch glaubt jedoch nach eigenen Worten an eine unbefristete Lösung in Absprache mit der UN-Organisation - an eine „welteerbeverträgliche“.

© dpa-infocom, dpa:220622-99-758332/2

north